Erfüllte Zeit

24. 04. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

"Die Entdeckung des leeren Grabes" (Johannes 20, 1-18)

von Kurt Remele

 

In seiner kunstvoll komponierten Ostergeschichte vereinigt der Evangelist Johannes zwei Erzähltraditionen: Eine frühere, in der Jesus nach seiner Kreuzigung und Grablegung verschiedenen Menschen erschienen ist, und eine spätere, in der Frauen das leere Grab entdeckt haben. Die Überlieferungen werden vom Autor aber auch erweitert: Ein "Jünger, den Jesus liebte" taucht auf, und die Rolle von Maria Magdalena als erster Zeugin der Auferstehung wird hervorgehoben. Maria Magdalena oder Maria von Magdala, wie sie hier genannt wird, begegnet dem Auferstandenen vor allen anderen und teilt den Aposteln daraufhin mit, was Jesus zu ihr gesagt hat. Deswegen wird Maria Magdalena auch seit dem 3. Jahrhundert als "apostola apostolorum" bezeichnet, als "Apostelin für die Apostel".

 

Die Szene, in der die Begegnung zwischen Maria von Magdala und dem auferweckten Jesus geschildert wird, erscheint mir allerdings unstimmig. Warum braucht Maria so lange, den Auferweckten zu erkennen und warum hält sie ihn zunächst gar für den Gärtner? Warum will Jesus nicht, dass Maria ihn berührt oder festhält, obwohl er kurze Zeit später den zweifelnden Apostel Thomas ausdrücklich auffordern wird, seinen Finger in die Wundmale und seine Hand in die Seite zu legen?

 

Es gibt es keine eindeutigen Antworten auf diese Fragen. Eindeutig freilich ist, dass es sich bei den Ostererzählungen der Bibel nicht um historische Protokolle handelt, sondern um dichterisch gestaltete Versuche, persönliche Erfahrungen darzustellen, die Menschen aus dem Kreis um Jesus nach seinem Tod mit ihm gemacht haben. Dabei werden die der menschlichen Lebenswelt entnommenen Begriffe "aufstehen" und "aufwecken" als Metaphern verwendet, um ein Geschehen zu benennen, das sich nur bildhaft beschreiben lässt: Der Gekreuzigte ist nicht im Tod geblieben, sondern er ist auferweckt worden, seine Botschaft hat Sinn, seine Sache geht weiter!

 

Die Auferstehung Jesu sei "kein Zaubertrick mit Knochen", hat der anglikanische Bischof David Jenkins einmal gesagt. Das mag provokant formuliert sein, in der Sache hat der frühere Bischof von Durham freilich recht: Die Auferstehung Jesu darf nicht als Wiederbelebung eines Leichnams verstanden werden. Das leere Grab ist weder Beweis noch Voraussetzung für die Auferstehung. Hätte man Jesus nicht gekreuzigt, sondern am Scheiterhaufen verbrannt oder in einer römischen Arena Löwen zum Fraß vorgeworfen, hätte es keinen Leichnam und kein leeres Grab gegeben. Doch wer wollte behaupten, die Auferstehung Jesu wäre deshalb nicht möglich gewesen?

 

Die Auferweckung Jesu wird in der christlichen Tradition als Urbild und Garant unserer zukünftigen, je eigenen Auferweckung von den Toten verstanden. Mir ist es jedoch ein Anliegen, Auferstehung nicht nur als jenseitiges und privates Geschehen zu begreifen, sondern auch ihre diesseitige und gesellschaftliche Dimension zu beachten. Es geht mir also, um es im Fachjargon auszudrücken, um "realisierte" oder "präsentische" Eschatologie und auch um politische Theologie. Was bedeutet das? Ich möchte es wie folgt erklären: Auferstehung und die Verheißungen des Reiches Gottes - Gerechtigkeit, Geschwisterlichkeit, ein Leben in Fülle - sind so gesehen nicht bloß für das Jenseits erhoffte und auf das Individuum bezogene Glaubensartikel. Auferstehung und die Verheißungen des Reiches Gottes - Gerechtigkeit, Geschwisterlichkeit, ein Leben in Fülle - sollten vielmehr schon im Hier und Jetzt und auch in der Gesellschaft sichtbar werden, nicht in himmlischer Vollkommenheit freilich, aber doch deutlich und klar.

 

Was das konkret heißen könnte, lässt sich an Hans-Joachim Sells Aufzeichnungen über den Pfarrer von Ríotinto beispielhaft illustrieren. Dieser Priester einer armen, auf Seite der Deklassierten stehenden Kirche Spaniens sprach wiederholt von einem "möglichen Ostern jedes einzelnen Tages". Sell berichtet: "(Der Pfarrer) las die Messe in der Kapelle eines Grafen, wo die Arbeiter des Gutes draußen zu bleiben hatten. Darauf belehrte der Padre den Grafen, dass (in der Kapelle) nicht der Herr des Gutes, sondern er als Priester zu bestimmen habe. Er werde die Messe für alle feiern. Der Graf versuchte, ihn über den Leiter der Schule, an der er damals arbeitete, zu entfernen. Doch misslang das."

 

Was hier geschildert wird, ist ein kleines Stück realisierter Eschatologie, einfacher ausgedrückt: Ein Stück Auferstehung im Hier und Jetzt, ein Stück Himmel auf Erden. Die beschriebene Beseitigung menschenverachtender Ausgrenzung zeigt, um es mit den Worten des Pfarrers von Ríotinto zu sagen, dass Ostern an jedem einzelnen Tag möglich ist.