Erfüllte Zeit

01. 05. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

                                                                                  
von Superintendent Paul Weiland

 

 

Es liegt ein seltsames Geheimnis um diesen Jesus Christus. Das war schon zu seinen Lebzeiten so. Wer ist er? Ein Lehrer, ein Prediger, ein Wunderheiler, ein Schwindler, der Sohn Gottes? Nur wenigen ist das auch zu Jesu Lebzeiten wirklich klar gewesen. Und das ist erst recht so in diesen Ostertagen. Und nicht nur für Menschen heute. Auch für die Jünger damals, die Augenzeugen. Der eben gehörte Text ist ein erstaunliches Beispiel dafür. Die Jünger sind offensichtlich wieder im Alltag angekommen, sie gehen wieder ihrer Arbeit nach. Vielleicht brauchen sie das auch, um mit den Enttäuschungen und Frustrationen fertig zu werden. Die Jünger sind jedenfalls noch beisammen, sieben erwähnt der Evangelist Johannes.

 

Das „ich will fischen gehen“ von Petrus klingt nicht sehr enthusiastisch, eher nach Ablenkung und besser, als nichts zu tun. Der Traum vom Menschenfischer – so nennt Jesus den Petrus im Lukasevangelium - ist ausgeträumt. Petrus und seine Gefährten sind wieder Fischefischer, und - so liest man im Johannesevangelium - wieder einmal nicht sehr erfolgreich. Und dann steht Jesus da, am Ufer des Sees Tiberias. Tiberias ist nur eine andere Bezeichnung für den See Genezareth. Und das Erstaunliche: Seine engsten Mitarbeiter erkennen ihn nicht. Dabei hätte doch gerade Petrus ein Dejavue Erlebnis haben müssen: Alles schon einmal gesehen, alles schon einmal erlebt. Und das sogar nicht als Einbildung, sondern als reales Erlebnis.

 

Weite Teile dieser Erzählung haben ihre Parallele in einer anderen biblischen Geschichte im Lukasevangelium. Damals, zu Beginn der Wirksamkeit von Jesus, als Jesus seine Jünger berufen hat. Da haben sie auch eine Nacht lang vergeblich gefischt. Das Umfeld, die Situation, die Stimmung, die gleichen einander in beiden biblischen Berichten.

 

In beiden Erzählungen sagt Jesus dasselbe: Fahre hinaus, brich auf, setze Aktionen, auch in scheinbar ausweglosen Situationen. Und die Netze werden voll. 153 Fische nennt Johannes. Die Zahl mutet etwas seltsam an und hat auch zu manchen Überlegungen und Spekulationen Anlass gegeben. Dass die Fische gezählt wurden, war an sich nicht unüblich. Schließlich lebten die Fischer von ihrem Fang, und das war gleichsam ihr Einkommen.

 

Zwei Deutungen der Zahl 153 möchte ich erwähnen. So waren die griechischen Zoologen damals der Meinung, es gibt genau 153 Fischarten. Daher die Interpretation: So wie alle Fischarten gefangen wurden, so richte sich das Evangelium an alle Menschen.

 

Die zweite Deutung stammt von Augustinus und hat eine mathematische Grundlage. Er hat festgestellt, dass die Summe der Zahlen 1 - 17 genau 153 ergibt. Die Zahl 17 teilt er auf in die Zehn Gebote und in die sieben Gaben des Heiligen Geistes.

 

Für mich genügt es, dass volle Netze heißt, die Fülle zu haben von dem, was man zum Leben braucht. Aber wer rechnet schon wirklich mit dieser Fülle? Petrus offensichtlich auch nicht. Auch nach dem Fischzug ist er immer noch ahnungslos.

 

Ein anderer erkennt Jesus zuerst. Es ist der im Johannesevangelium mehrmals erwähnte sogenannte Lieblingsjünger Jesu. Ich denke, das ist kein Zufall. Der kleine Prinz sagt zu diesem Phänomen 1900 Jahre später: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.

 

Was mir noch besonders auffällt: In keinem der biblischen Berichte, die von der Begegnung mit dem Auferstandenen erzählen, haben die Jünger Jesus aufgesucht. Auch die Frauen nicht, sie wollten ja zum Leichnam. Ja, es wird sogar deutlich, dass die Jüngerinnen und Jünger, die immerhin einige Jahre ganz eng mit Jesus zusammengelebt haben, nicht einmal erwartet hatten, den Auferstandenen zu sehen. Der Glaube an die Auferstehung ist also keine Projektion der unerfüllten Sehnsüchte der Jünger. Denn selbst als er da war, haben sie ihn nicht erkannt.  

 

Immer hat es sich so abgespielt: Jesus kommt. Jesus selbst nähert sich den Jüngern und geht mit ihnen. Jesus selbst kommt den Frauen entgegen. Jesus selbst kommt zum Ufer des Sees Genezareth.

 

Ich will fischen gehen, sagt Petrus. Das ist seine Arbeit, das ist sein Alltag. Mitten in diesen Alltag kommt der Auferstandene. Unerwartet, ohne besondere Vorleistungen der Jünger, von selbst. Und er kommt sehr fürsorglich. „Habt ihr nichts zu essen, Kinder?“, fragt er die ausgewachsenen Männer.

 

Mein Bild von Gott ist nicht, dass er erwartet, man möge sich durch irgendwelche Übungen, Rituale, Erkenntnisse, Einhaltung von Vorschriften oder Dogmen für ihn bereit machen. Das ist für mich das Schöne an dieser Erzählung von der Begegnung des Auferstandenen mit seinen Jüngern. Weil sie mir sagt: Gott findet mich in meinem Leben. Er kommt dort zu mir, wo ich verunsichert bin, wo etwas in Ordnung zu bringen ist, wo es Leid oder Mangel gibt. Dort zeigt er sich mir, schickt mich auf den Weg und schenkt die Fülle. Das ist Ostern.