Erfüllte Zeit

05. 06. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Trost für die Jünger

(Johannes 15, 26 - 16, 4)

von Pfarrer Dr. Christoph Weist

 

 

Es ist eine tiefe Sorge, die aus den Christusworten des Johannesevangeliums spricht. Und es ist ein tiefer Trost.

 

Nie wird ganz klar werden, was es für eine Welt war, in der jene frühen Christengemeinden gelebt haben, die man die „johanneischen Gemeinden“ nennt. War es das Denken der „Gnosis“, das hier unter Christinnen und Christen, die eigentlich aus dem Judentum gekommen waren, Einfluss gewonnen hatte? Also die Sehnsucht nach Erkenntnis darüber, woher der Mensch kommt, wie er aus dem Elend Welt erlöst und wieder zu seiner himmlischen Bestimmung zurückgeführt werden kann?

 

Aber es ist nicht modischer Weltschmerz, der die Christinnen und Christen um die erste Jahrhundertwende, auf die das vierte Evangelium zurückgeht, auf Erlösung hoffen lässt, es sind handfeste Bedrohungen. „Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht abfallt“, sagt der Christus des Johannesevangeliums. Und er spricht davon, dass sie, die sich noch immer dem jüdischen Glauben verpflichtet fühlen, aus der Synagoge ausgestoßen, ja getötet werden könnten. Mehr noch: „Wer euch tötet, wird meinen, er tue Gott einen Dienst damit.“ Ein schreckliches Motiv, das seine brutale Kraft in religiösen Auseinandersetzungen auch heute nicht verloren hat. Und das, wie manchmal die Nachrichten zeigen, sein Gift auch in Revolutionen streut, die Freiheit und Demokratie zum Ziel haben.

 

Man hat angesichts solcher Bemerkungen im Johannesevangelium von „Antijudaismus“ gesprochen. Es spiegelt sich aber hier eine ganz besondere Frontstellung: Nicht Christen gegen „die Juden“, sondern Judenchristen, also Christen, die bis vor Kurzem Juden waren, empfinden tiefen Schmerz über ihr eigenes Volk. Doch die Frontstellung geht noch tiefer: Nicht christlicher Glaube gegen jüdische Tradition, sondern christlicher Glaube gegen „die Welt“ überhaupt. Für das Johannesevangelium sind „die Juden“ nicht nur ein Volk, sie sind der Name für die gesamte Welt, weil die Gruppe der Judenchristen und –christinnen eben von Juden und Jüdinnen umgeben war. Und diese sie umgebende Welt ist es, die in den Augen dieser frühen Christen weder Gott erkannt hat noch den, den er gesandt hat, Christus. Und die seine Bekennerinnen und Bekenner mitunter geradezu hasserfüllt verfolgt.

 

Die Antwort, die das Evangelium auf diese bedrückende Lage gibt, ist der „Tröster“, oder besser der „Beistand“. Ihn schickt Gott auf Jesu Bitte nach seinem Tod zu den zurückgeblieben Jüngerinnen und Jüngern. Mit anderen Worten: Es ist der pfingstliche Geist. An der Stelle Jesu wird er Zeugnis von Gottes Offenbarung in dieser Welt ablegen. Die Glaubenden werden nach dem Weggang Jesu aus der Welt nicht allein sein. Sie werden einen Halt haben und um ein Ziel wissen. Und das wird sie in aller Bedrohung begleiten.

 

Das hat Folgen. „Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen“, sagt der Christus des Johannesevangeliums. Die Zusage enthält einen Auftrag. Und – auch ein Geheimnis des Johannesevangeliums! - in eben diesem Auftrag liegt der Trost.

 

Der Auftrag an die christliche Gemeinde ist die Predigt. Eindrucksvoll oder schwach, spannend oder fad, wird sie doch von Christus sprechen und davon, dass er der Erlöser ist, der Retter aus der Welt der Ungerechtigkeit, der Unterdrückung und der Hoffnungslosigkeit. Sie wird davon sprechen, dass er der Welt Sinn geben kann, und sie wird ein Ziel zeigen, ein Ziel, das über den Tod hinausgeht. Die Predigt in einem geheimen Hauskreis, öffentlich auf der Kanzel, in den Medien und in der täglichen Liebe zum Nächsten wird an ihn erinnern, und so wird er als Beistand lebendig sein. Die Predigt wird von Jesus reden, wie er damals redete, sie wird auf Menschen zugehen, wie er auf Menschen zugegangen ist. Wer predigt, muss es tun, als wäre er „von Anfang bei ihm gewesen“, er muss aber zugleich in seiner eigenen Zeit zu Hause sein, das Damals oder Heute spielt keine Rolle mehr.

 

Und wozu das alles? „Die Erinnerung an die von Jesus gesprochenen Worte öffnet dem Jünger den Blick für die Notwendigkeit des Leidens und gibt ihm damit die Kraft zu seiner Überwindung.“ Darin liegt der Trost, den der Beistand den Christinnen und Christen schenkt. Und er liegt in der Predigt, mit der diese den Trost weiter tragen in eine Welt, in der Menschen sich viel zu oft nicht zuhause fühlen.

 

Es ist eine tiefe Sorge, die aus den Christusworten des Johannesevangeliums spricht. Und es ist ein tiefer Trost. Er erreicht mich aus alter Zeit von Männern und Frauen, deren Lebens- und Denkwelt für Heutige in geheimnisvolles Dunkel gehüllt ist, und er möchte Menschen in Not und Leid aufrichten. Das bleibt jenseits aller Polemik und Auseinandersetzung zwischen religiösen Gruppen. Er will damals wie heute Mut machen allen Menschen, die bedrängt und geängstigt sind. Denn dieser Trost spricht von einer Hoffnung, die Menschen sich selbst nicht geben können.