Erfüllte Zeit

19. 06. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Ziel der Sendung Jesus“ (Johannes 3, 16 – 18)
von Susanne Gillmayr-Bucher

 

 

Wer ist Gott? Worauf lassen wir uns ein? Worauf dürfen wir hoffen? Diese Frage steht im Mittelpunkt der ersten Lesung römisch-katholischer Gottesdienste am heutigen Sonntag.

 

Der Text aus der Tora erzählt davon, dass das Volk durch die Abwesenheit des Mose, der am Gottesberg ihren Blicken entzogen und scheinbar im Schall und Rauch der Gottheit verschwunden war, an Mose und seinem Gott zu zweifeln begann. Deshalb suchten sie Sicherheit und Zuflucht bei einem greifbaren Symbol, einem goldenen Gottesbild. Dadurch steht Mose plötzlich alleine zwischen seinem Volk und Gott, die sich voneinander abgewandt haben. Trotzdem beginnt er zu vermitteln, und es gelingt ihm, Volk und Gott wieder einander anzunähern.

 

Dabei rückt für Mose und das Volk eben die Frage: Wer ist diese Gottheit? Worauf lassen wir uns ein? Worauf dürfen wir hoffen? in den Mittelpunkt. Die Antwort, welche die Gottheit Mose hören lässt, lautet: “Der Ewige ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue”. Diese Gottesbeschreibung ist ganz auf Beziehung hin formuliert, es ist ein Bekenntnis zu einer Gottheit, die den Menschen in einer ganz außergewöhnlichen Weise zugetan ist. Die hier genannten Aspekte versuchen die Zuwendung Gottes zu den Menschen umfassend zu beschreiben. Wenn ich versuche, die Liste der hebräischen Begriffe zu übertragen, so spiegelt sich in ihnen die unverbrüchliche Zuwendung der Eltern zu ihren Kindern, die wohlwollende Zuneigung eines Vorgesetzten, Güte und Freundlichkeit, Loyalität ebenso wie Treue.

 

Lese ich diesen Text weiter, dann erfahre ich, dass die umfassende Barmherzigkeit Gottes den Aspekt der Gerechtigkeit nicht aufhebt. Auch ein langmütiger und gnädiger Gott übt seine Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ordnung aus. Doch übertrifft seine Barmherzigkeit seine Strafgerechtigkeit um ein Vielfaches. Während der kritisch prüfende Blick auf drei bis vier Generationen begrenzt wird, umspannt die liebende, unterstützende und barmherzige Zuwendung tausende Generationen.

Dieser Gottheit will Mose sich und sein Volk anvertrauen, und so nehmen er und mit ihm die Israeliten und Israelitinnen das Angebot an, sich als Volk dieser Gottheit zu verstehen. Eine gegenseitige bindende Zusage bestätigt und bekräftigt diese Verbindung, die zur Grundlage der Hoffnung des Volkes wird.

 

Auch der soeben gehörte Text aus dem Johannesevangelium greift diese Zuversicht auf und steigert dabei die Rede von der Liebe Gottes zur Welt noch weiter. Die Zuwendung Gottes geht hier sogar so weit, dass Gott seinen Sohn in die Welt gesandt hat, um sie zu retten.

 

Der Evangelist Johannes gibt - wie auch andere neutestamentliche Schriften - der liebenden Zuwendung Gottes in der Person Jesu eine konkrete Gestalt. Damit verleiht er der Hoffnung der Menschen, die an Jesus glauben, einen Körper, ein Gesicht, eine Stimme. Das menschliche Bedürfnis nach einem Bild Gottes, das seine Gegenwart repräsentiert und in unserer Welt gegenwärtig ist, das sieht der Evangelist Johannes in Jesus erfüllt. Die Begegnung, die am Gottesberg Mose zuteil wurde, wird in der Botschaft des Evangeliums nun für alle Menschen in der Begegnung mit Jesus möglich.

Wie in der Offenbarung an Mose die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes als zwei eng miteinander verbundene Aspekte erschienen, so auch in der Begegnung mit Jesus.

 

Der Evangelist Johannes wird nicht müde zu betonen, dass ewiges Leben und damit ein gelingendes, auf eine Zukunft hin angelegtes Leben, nur durch Jesus möglich ist. So erscheint es auch konsequent, wenn Johannes in der Haltung der Menschen Jesus gegenüber sowohl Heil als auch Gericht sieht. Wer Gottes Angebot ablehnt, habe bereits sein eigenes Urteil gesprochen. Wie bei Mose am Gottesberg, so geht es auch in der eben gehörten Evangelienperikope um eine Grundsatzentscheidung. Allerdings um eine Entscheidung angesichts der Überfülle an Zuwendung, Liebe und Barmherzigkeit Gottes.

 

Die Verkündigung dieser Zuwendung Gottes bildet für mich die Kernaussage beider Texte. Das ist es, was Mose einem noch unsicheren Volk vermitteln will und was Jesus im Gespräch mit dem ebenfalls noch unsicheren Nikodemus hervorhebt. Wie schwierig die Entscheidung für Gott, für Jesus, trotzdem ist, davon berichten beide Erzählungen. Sei es, dass die Menschen immer wieder vor ihrer eigenen Entscheidung erschrecken und einen Schritt zurück machen, oder sei es, dass sie wie Nikodemus den Mut zur Entscheidung doch nicht aufbringen. Die biblischen Erzählungen nehmen diese Zweifel ernst, sie wischen sie nicht einfach weg. In immer neuen Anläufen erzählen sie deshalb von der ständig neuen Zuwendung Gottes.

 

Beide Texte, sowohl den Text aus der Tora als auch die Perikope aus dem Johannesevangelium, verstehe ich als engagierte und werbende Texte. Sie richten sich an jene Menschen, die bereits in ihrer Glaubenstradition beheimatet sind und einen oder auch beide Texte zu ihren heiligen Schriften zählen. Diese Menschen werden in ihren Zweifeln angesprochen und dazu ermuntert, ihre Zuversicht und ihr Vertrauen zu bewahren. In der Hoffnung auf ein ewiges Leben und im Vertrauen darauf, dass “der Ewige ein barmherziger und gnädiger Gott ist, langmütig und reich an Huld und Treue”.