Erfüllte Zeit

23. 06. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Kommentar zu Johannes 6, 51 - 58

von Prof. Dr. Josef Schultes

 

 

Brot: Etwas Unscheinbares, Alltägliches. Ganz selbstverständlich esse ich davon, fast jeden Tag. Erst sein Fehlen zeigt mir, wie sehr ich es brauche. Brot: Ein Grundnahrungsmittel. Und gleichzeitig mehr: Ein Zeichen, ein Symbol. Des Glücks etwa, das zufrieden reimt „wo Brot – keine Not“. Oder der Lebenslust, die nach „Brot und Spielen“ schreit. Aber auch der Armut, die „brotlose Zeiten“ kennt. Und selbstverständlich der Gastfreundschaft, die „auf einen Bissen Brot“ einlädt, wie einst Abraham die drei Männer in sein Zelt, bei den Eichen von Mamre, nachzulesen im ersten Testament im Buch Genesis.

 

„Wer dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit“. Schon der erste Vers des eben gehörten Bibeltexts provoziert. „Und das Brot, das ich geben werde“, heißt es weiter, wörtlich übersetzt, „mein Fleisch ist es für das Leben des Kosmos.“ Was Johannes hier Jesus in den Mund legt, lässt mir den Atem stocken. „Wie kann er uns“, kommt auch prompt der Widerspruch, „sein Fleisch zu essen geben?“ „Amen, amen“, fährt Jesus mit doppelter Bekräftigung fort und wendet sich direkt an die Menschen: „Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch“ (Vers 53). 

 

Solche Worte waren schon damals missverständlich. Auch heute sind sie es, nicht zuletzt durch die Textauswahl. Denn sie ist auf Fronleichnam zugeschnitten und damit aus dem Zusammenhang gerissen. Allerdings: Dieses 6. Kapitel des Johannes-Evangeliums umfasst ganze 71 Verse – zu lang selbst für mich als begeisterten Bibeltheologen!

 

Mich fasziniert, wie diese große „Brotrede“ komponiert ist. Zuerst „fünf Gerstenbrote und zwei Fische“, die bekannte Speisung der 5000: Jesus überbietet den Propheten Elija und reicht irdisches Brot in Fülle. Ein Geschehen voll tiefer Symbolik; das erläutert der danach folgende Abschnitt, der um das Manna in der Wüste kreist. Schließlich dieser Text – Jesus offenbart sich nicht als dingliche, sondern als sich hingebende Speise, als Nahrung in Person. Und dann – nicht eben zu Fest und Feier von Fronleichnam passend – das Finale: Nach der herausfordernden „Brotrede“ wenden sich viele Jünger von Jesus ab.

 

Für das Evangelium nach Johannes ist charakteristisch: Sein Verfasser arbeitet mit theologischen Kategorien. „Ich bin das Brot des Lebens“: Wer diesen Satz so liest, also mit Betonung auf „Brot des Lebens“, der muss noch johanneisch denken oder besser - glauben lernen. „ICH BIN das Brot des Lebens“, darauf liegt der Schwerpunkt. „ICH BIN das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“, darum geht es dem Autor, um einen direkten Bezug zu JHWH, dem Gott vom Berg Sinai, in der hebräischen Bibel gedeutet mit „Ich-bin-da“. „Ich-bin-da“: EGÓ EIMÍ übersetzt die griechische Septuaginta. EGÓ EIMÍ schreibt auch Johannes: All seine „ICH BIN“-Worte Jesu – „das Brot des Lebens“, „das Licht der Welt“, „der gute Hirt“, um nur drei zu nennen – all das sind göttliche Attribute, Bilder für JHWH, wie ihn die Menschen erfahren haben in der Ersten Bibel. Diese Bilder und ihre Beziehung zu Jesus, die im Johannesevangelium hergestellt wird, haben sich den Menschen damals unmittelbar und selbstverständlich erschlossen.

 

Die Erste Bibel, das Alte Testament - immer wieder Basis des Johannes-Evangeliums. Die Weisungen der Tora - in seinen Text eingewoben, immer wieder meditiert. Wie etwa jene kleine Brot-Theologie nach Mose, die am heutigen Fest als erste Lesung dient. Sie steht im Buch Deuteronomium, der zentrale Vers daraus lautet: „Durch Hunger hat JHWH dich gefügig gemacht und hat dich dann mit dem Manna gespeist, das du nicht kanntest und das auch deine Väter nicht kannten. Er wollte dich erkennen lassen, dass der Mensch nicht nur von Brot lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was der Mund JHWHs spricht“ (Dtn 8,3).

 

Fronleichnam, das katholische Fest, in dessen Mittelpunkt das Brot des Lebens steht, ist für mich keine äußere Demonstration, sondern eine innere Wirklichkeit. Eine mystische Realität wie Christsein oder andere Formen der Gottesbeziehung. Wie jede Tiefen- oder Liebeserfahrung nicht leicht in Worte zu fassen. Ein eucharistisches Gedicht begleitet mich schon einige Jahre. Guillaume van der Graft, ein niederländischer Pfarrer, der vor ein paar Monaten als Neunzigjähriger gestorben ist, er hat diesen Text geschrieben. Peter Pawlowsky hat ihn so übersetzt:

 

„Wir sprechen Worte aus Brot

Lieder aus Wein verschütten wir

wir horchen mit unseren Händen

mit unseren Lippen hören wir

Worte aus Brot werden Fleisch

während der Wein sich zu Blut singt

dann wachsen wir in die Zeit

zurück zum Tage der Schöpfung

voraus ans Ende der Welt.“