Erfüllte Zeit

26. 06. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Kommentar zu Matthäus 10, 37 – 42
von Susanne Gillmayr-Bucher

 

 

Die biblischen Texte, die am heutigen Sonntag in römisch-katholischen Gottesdiensten vorgetragen werden, erzählen von Beziehungen, sie sprechen von der Offenheit für neue Begegnungen und den Chancen, die darin liegen. Wenn ich diese Texte lese, so wird mir wieder einmal klar, wie begrenzt mein Blick auf andere Menschen mitunter ist und wie viele bereichernde Begegnungen nur darauf warten, dass ich sie zulasse.

 

Begegnungen verändern - wer hat das nicht schon erfahren? Das können winzige Änderungen sein, aber ebenso Erfahrungen, die alles auf den Kopf stellen. Eine Begegnung zuzulassen heißt, sich auf einen Prozess einzulassen, der eine ganz eigene Dynamik entwickeln kann.

 

Die Lesung aus dem zweiten Buch der Könige, die heute in römisch-katholischen Gottesdiensten vorgesehen ist, berichtet von einer solchen Begegnung. Sie erzählt von einer wohlhabenden Frau, die den Propheten Elischa, der regelmäßig ihren Ort bereist, immer wieder einlädt und ihm ihre Gastfreundschaft anbietet. Sie sucht diese Begegnung, denn sie hat erkannt, dass dieser Mann ein heiliger Mann Gottes ist. Dabei scheut sie keine Kosten, sie lässt ein Zimmer anbauen, richtet dieses ein und stellt es dem Gottesmann als Wohnung zur Verfügung. Die Frau handelt ohne Hoffnung auf eine Gegenleistung, sie gibt dem Mann und mit ihm Gott bei sich Wohnung. Sie öffnet ihr Haus und ist offen für eine Begegnung. Elischa weiß diese Unterstützung zu schätzen und bietet der Frau eine Gegenleistung an. Als sie nichts nennen will, erkundigt er sich über sie und erfährt, dass sie kinderlos und ihr Mann bereits alt ist. Gegen alle menschlichen Erfahrungen macht Elischa ihr Hoffnung auf einen Sohn und eröffnet ihr damit eine bereits verloren geglaubte Lebensperspektive. Wenngleich sich die Erzählung von Elischa und der Frau noch dramatisch zuspitzen wird, erfährt die Frau am Ende erneut, dass in der Begegnung mit dem Gottesmann Leben auch dann noch möglich ist, wenn es nach rein menschlichem Ermessen keine Hoffnung mehr gibt. Die Begegnung mit dem Gottesmann Elischa wird für die Frau zum entscheidenden Wendepunkt in ihrem Leben.

 

Diese Erzählung ist für mich eine fast märchenhafte Hoffnungsgeschichte. Sie bezeugt ein offen Sein für neue Begegnungen und erzählt vom Glück, das sich darin finden lässt.

 

Das Thema “Begegnungen” steht auch im Mittelpunkt der eben gehörten Evangelienstelle und wird dort weitergeführt. Die Begegnung mit Jesus wird darin - anders als in der Erzählung von der Frau und Elischa - schon vorausgesetzt, und die Auswirkungen der Beziehung werden in den Blick genommen. Der zentrale Punkt ist dabei die Exklusivität der Beziehung: “Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig.”

 

Die Hinwendung zu Jesus - so wird in diesen Worten mahnend erinnert und eingefordert - lässt sich mit nichts vergleichen, nicht einmal mit der Liebe zu Mutter oder Vater, Tochter oder Sohn.

 

Diese Exklusivität bleibt im Evangelium jedoch nicht einseitig, sondern sie setzt sich dann auch im Leben der Menschen fort. Diese, so heißt es weiter, werden ihrerseits einzigartig für andere, ja sogar so wie Jesus selbst. Die Begegnung mit Jesus verändert die Menschen, sie werden mit hineingenommen in die Lebenswirklichkeit Jesu: “Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat.”

 

Nun drehen sich die Rollen um. Aus denen, die Jesus in ihr Leben aufgenommen haben, werden nun selbst Menschen, die ihrerseits Aufnahme finden. Diese Überlegungen sind bei Matthäus Teil einer Rede Jesu an die Jünger, die sich in Jesu Namen auf den Weg machen, um seine Botschaft zu verkünden. Dabei werden sie selbst zu Unbekannten und Fremden. Für sie selbst, aber ebenso für die Menschen, denen sie begegnen, beginnt damit ein Prozess der Annäherung, der gelingen kann, aber ebenso auch scheitern.

 

Die Ausführungen werden im Folgenden noch etwas konkreter und sprechen die Vorstellungen und Erwartungen, die Menschen an Begegnungen knüpfen, direkt an. Zunächst werden vertraute Beispiele genannt: Wer einen Propheten oder einen Gerechten bei sich aufnimmt, kann auf eine positive Auswirkung seiner Gegenwart hoffen. Nicht zuletzt war ja das Beispiel von der Frau und dem Gottesmann Elischa damals allen bekannt. Daran anknüpfend werden diese Beispiele entscheidend erweitert: Auch wer sich gegenüber einem der “Kleinen”, der unbekannten und scheinbar unbedeutenden Menschen, hilfsbereit verhält, wird einen Lohn erhalten. Für diese Menschen gilt sogar in besonderer Weise die zuvor erwähnte allgemeine Aussage: “Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf”. Für sie, so lese ich den Text des Evangeliums, übernimmt Jesus selbst die Zusage und Garantie einer gelingenden und bereichernden Begegnung. Damit erweitert der Evangelist Matthäus das, was die Frau im zweiten Königsbuch an Elischa erkannt hat, auf alle Menschen, die sich Jesus zuwenden: In ihnen allen ist Gott gegenwärtig; sie alle sind heilige Männer und Frauen Gottes.

 

Sich in einer Begegnung zu verschenken oder sich durch sie bereichern zu lassen fordert beides gleichermaßen eine riskante Offenheit. Die Zuwendung zu Jesus ermutigt gläubige Menschen zu dieser Offenheit für die vielfältige Begegnung mit dem Leben und zugleich liegt in ihr ein gewisser Schutz vor Enttäuschungen. Denn unabhängig davon, ob die Begegnungen gelingen, wissen sich diese Menschen in ihrer Beziehung zu Gott geborgen.

Der Text der heutigen Evangelienstelle ist gleichzeitig eine Ermunterung für diejenigen, die andere Menschen aufnehmen und ihnen offen begegnen. Sie werden explizit darauf hingewiesen, welche Chancen in solchen Begegnungen liegen. Dabei finde ich es besonders schön, dass der Text nicht zwischen scheinbar wichtigen und weniger wichtigen Menschen unterscheidet: Es steckt schließlich in jeder Begegnung eine Gottesbegegnung.