Erfüllte Zeit

10. 07. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

 

Matthäus 13, 1-23

von Prof. Dr. Josef Schultes

 

 

Das Gleichnis vom Sämann bzw. der Saat: oft schon habe ich mit ihm gearbeitet. Bei Kursen und Tagungen und natürlich - fast 30 Jahre lang - in meinem Beruf als Bibeltheologe. Und doch: immer wieder entdecke ich Neues, jedes Mal spricht mich eine andere Facette dieses Gleichnisses an.

 

"Weil sie hören und doch nicht hören" (V. 13b): daran bleibe ich hängen. Nicht festgetretener Weg, felsiger Boden oder erstickende Dornen sind heute mein Fokus. Auch nicht das gute Erdreich, über dessen vielfache Frucht ich schon oft nachgedacht habe. "Weil sie hören und doch nicht hören": das hat mich gepackt, das lässt mich nicht mehr los.

 

Warum denn, fragen die Jünger Jesus, warum redest du in Gleichnissen? "Sehen sollen sie", lässt ihn schon der Evangelist Markus in aller Schärfe antworten, "sehen, aber nicht erkennen; hören sollen sie, hören, aber nicht verstehen, damit sie sich nicht bekehren und ihnen nicht vergeben wird" (Mk 4,12). Jesu Verkündigung polarisiert damals wie heute. Eindringlicher aber als Markus begründet Matthäus, woher der Widerstand gegen die zentrale Botschaft vom Himmelreich rührt. Matthäus bringt dafür ein sogenanntes ´Erfüllungszitat´. An den Gegnern Jesu, so formuliert er hier, "erfüllt sich die Weissagung Jesajas" (V. 14a).

 

Der Name Jesaja bedeutet: "Rettung ist JHWH". Nabi Jeschajahu. Programmatischer Name eines Propheten.

Was Matthäus im Neuen Testament zwischen dem Gleichnis vom Sämann und seiner Deutung ausführlich zitiert, das ist die Berufungsvision dieses Propheten, nachzulesen im Ersten Testament. Gottesnähe bringt Lebenswende. Im Tempel hört Jesaja den Ruf der Serafim: "Qadósch, qadósch, qadósch. Heilig, heilig, heilig. JHWH Zebaoth". Dieses "Sanctus": oft auch von mir gebetet und gesungen, in vielen Eucharistiefeiern, seit Kindertagen.

 

Metallen hart sind sie, die Imperative JHWHs an seinen Propheten Jesaja, unmittelbar nach dessen Gotteserfahrung: "Verhärte das Herz dieses Volkes, verstopf ihm die Ohren, verkleb ihm die Augen" und dann weiter im Originaltext: "Damit es mit seinen Augen nicht sieht und mit seinen Ohren nicht hört, damit sein Herz nicht zur Einsicht kommt und sich nicht bekehrt und nicht geheilt wird" (Jes 6,10). Erst durch mein Theologiestudium in Tübingen habe ich verstehen gelernt: Jesajas Misserfolg - "Verstockung Israels" genannt - der Widerstand gegen sein Reden und Tun wurzelt schon in seiner Berufung; erlebt von seinen Jüngern, niedergeschrieben erst viel, viel später.

 

Jeschajahu, Jesaja - Jeschua, Jesus: Ähnlich nicht nur die Namen der beiden, ähnlich auch ihr Schicksal: auf taube Ohren stoßen. Schwerhörigen Menschen Gottes Wort zu sagen: Rufer-Schicksal. Uneinsichtige Augen öffnen wollen und an versteinerte Herzen pochen müssen: Prophetenschicksal!

 

Einig sind sich die Bibel-Fachleute aber auch darin: Jesus selbst hat das Gleichnis vom Sämann bzw. von der Saat erst nach seinen besten Tagen erzählt. Gegen Ende des sogenannten "Galiläischen Frühlings", als manche seiner Jünger ihm die weitere Nachfolge verweigern. Vom Boot aus redet er zu den Leuten am Ufer des Sees, auf schwankendem Holz steht er: ein sprechendes Bild für seine Mission.

 

Woher nimmt Jesus die Zuversicht, seine Saat werde schon aufgehen? Sicher auch, so meine ich, aus dem Buch Jesaja. "Kol omér qerá", heißt es da, "eine Stimme sagt: Verkünde! Alles Sterbliche ist wie Gras, und all seine Schönheit gleicht der Blume des Feldes." In Kafarnaum, in seiner Heimatstadt, könnte es Jesus vorgelesen haben, an einem Schabbat in der Synagoge. "Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, wenn die Ruach, also die Geistkraft JHWHs sie anweht", so weiter in Jesajas Schriftrolle. "Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; das Wort aber unseres Gottes bleibt für immer, es erwächst in Ewigkeit" (Jes 40,6-8).