Erfüllte Zeit

31. 07. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Matthäus 14, 13 – 21
von Wolfgang Treitler

 

 

Gebt ihr ihnen zu essen!

Eine seltsame Aufforderung Jesu, heute noch seltsamer, ja beschämender als damals, weil sie nicht realisiert worden ist.

 

Denn etwa jeder siebte Mensch der Welt hungert massiv. Seit Jahrzehnten jagt eine Hungerkrise nach der andern durch Afrika. Um die großen Metropolen der Welt legen sich Elendsviertel, in denen nicht Brot, nicht Fisch, sondern Müllreste die Hauptnahrung bilden. In Österreich lebt etwas mehr als eine Viertel Million Menschen in akuter Armut und kennt den täglichen Hunger, nicht das tägliche Brot. In Lateinamerika hungern landlos gewordene Bauern, die ihre eigene Arbeit nicht nährt.

 

Und warum? Wer gibt ihnen nicht zu essen?

 

Neben vielen großen und kleinen Ursachen trägt daran auch Schuld das, was die Menschen der Wohlstandzonen so übersättigt hat. Subventionierte Landwirtschaft in den Industrieländern zerstört schlichtweg die Nahrungsmittelproduktion in anderen Ländern, die wirtschaftlich schwächer sind. Dazu kommen noch die humanitären Skandale, die sich rechnen: Mit Nahrungsmitteln wird spekulativer Handel betrieben; man kauft sie auf und hält sie so lange zurück, bis der Preis empfindlich steigt. Im hochgelobten freien Markt, der heute wie ein pseudoreligiöses Dogma unantastbar gilt, entwickeln sich jene Widerwärtigkeiten, die mit dem Hungertod ihr Geschäft treiben - es ist zum Schreien! Alles, so scheint mir, ist Geschäft, alles ist Ware geworden: Katstrophen haben ihren ökonomischen Nutzen, Hungertote ebenso.

 

Wenn früher der Hunger ständiger Begleiter der Menschheit war, weil die technischen Voraussetzungen der Nahrungsmittelproduktion ärmlich waren, so produzieren die sog. Marktkräfte heute den Hunger als Abfallprodukt der unersättlichen Geldgier.

 

Das, so bin ich mir sicher, sind die wirklich tragischen Anzeichen dafür, wie wenig biblischer Glaube der Propheten und Jesu heute noch Bedeutung hat. Religionsinterne Streitigkeiten, in denen es um rechtgläubige oder angebliche häretische Auffassungen gehen soll, sind geradezu obszön angesichts des Niedergangs schlichter menschlicher Selbsterhaltung durch Essen und Trinken. Die steigende Irrelevanz biblischen Glaubens in den Reichtumszonen der Erde macht steigend unempfindsam gegen den Hunger der Andern.

 

Mich interessiert daher überhaupt nicht, ob Jesus da ein Wunder gewirkt hat und wie es zugegangen sein soll, dass so viele satt wurden, obwohl so wenig da gewesen sein soll; die ganze Geschichte ist voll von symbolischen Zahlen und Dingen und Andeutungen.

 

Mich interessiert auch nicht, ob der Aufruf des Propheten Jesaja, dass man kommen und ohne Geld Essen und Trinken kaufen soll, eine eschatologische Aussage ist, also eine Endzeitaussage - auf diesen prophetischen Text greift ja die eben gehörte Jesusgeschichte zurück. Das halte ich für eine gefährliche Verschiebung angesichts der gefährlichen Macht, die das Geld heute erreicht hat als Schicksalsmacht, als leitender Götze, der alles beherrscht.

 

Mich interessiert die enorme Geldkritik, die beide Texte offenbaren, die Kritik am Geschäft mit dem Hunger, die Kritik am Geschäft überhaupt. Mehr als früher kann man heute erkennen: Geld wirkt höchst zweideutig; mehr und mehr schafft und steigert es Leben nur für die, die es haben und es sich gegenseitig zuschieben mit steigenden Renditen; es schafft gleichzeitig Verödung, Dürre, Hunger und Tod für diejenigen, die im Fluss der Kapitalströme und im Spiel der Börsen und der Analysten weder Stimme haben noch Bedeutung - ökonomischer Schrott an den Müllhalden der polierten Geldwirtschaft.

 

Jesaia hat das radikal unterminiert: Kommt und kauft ohne Geld, schreibt er. Wer auf den Gott Israels zu hören lernt, kommt nicht nur zu einer scharfen Wahrnehmung des Unrechts, das damals und heute herrscht, sondern auch zu einer letzten Freiheit dieser scheinbaren Geldlogik gegenüber, einer Freiheit, die zur Praxis wird; diese Praxis fordert heute schon etwas Utopisches: ein Leben ohne den Zwang des Geldes; ein Leben, in dem der Hunger nicht erzeugt, sondern regelmäßig gestillt wird; also ein mitmenschliches Leben, das die List der Ausbeutung nicht mehr praktiziert und mit ihr die List der Lüge, des Betrugs, des Geschäfts mit dem Hunger, den Katastrophen und dem Untergang.

 

Hunger ist nur gnadenlos, wenn das Geld und seine reichen Agenten so herrschen wie eben jetzt. Davon bin ich überzeugt: Hunger wird gestillt, wenn die Ahnung Gottes aufbricht und dadurch eine neue Praxis wirklich wird, lokal und weltweit.

 

In einem Land wie Österreich mit der sechsthöchsten Millionärsquote der Welt müsste deshalb die Aufforderung Jesu, die er vom Propheten Jesaia her mitnimmt, wie ein Blitz einschlagen:

 

Gebt ihr ihnen zu essen!