Erfüllte Zeit

07. 08. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Johannes 6,30 - 35
von Olivier Dantine

 

 

 

Ich-Bin-Worte gehören zu den bekannteren Bibelstellen aus dem Johannesevangelium. Auf ein solches Ich-Bin-Wort Jesu spitzt sich ein Gespräch zu, das Jesus mit seinen Hörerinnen und Hörern führt. Was mir dabei besonders gefällt, ist, dass Jesus mit nur einem Satz eine Fülle von Aspekten der Zuwendung Gottes zu den Menschen zusammenfasst:

 

Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du? Unsre Väter haben in der Wüste das Manna gegessen, wie geschrieben steht "Er gab ihnen Brot vom Himmel zu essen."

 

Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben.

 

Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot.

 

Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.

 

Es ist ein Ausschnitt aus der so genannten Brotrede, der gerade zu hören war. Diese Brotrede ist im Grunde eine Auslegung eines der bekannten Wunder des Jesus, der Speisung der 5000: Fünf Gerstenbrote und zwei Fische sollen 5000 Menschen ernähren, dies gelingt nicht nur, am Ende bleiben zwölf Körbe mit Brocken übrig. Als Reaktion entwickelt sich ein Gespräch. Die Gesprächspartner Jesu brauchen offenbar Leitfiguren, denen sie folgen können. Leitfiguren, die mit Wundertaten ihre Macht beweisen. Jesus ist nach diesem Spektakulären Wunder offenbar ein Kandidat dafür. Aus Sicht der Gesprächspartner ist Jesus an Mose zu messen. Damit erinnern sie daran, dass das Volk Israel nach der Befreiung aus Ägypten in der Wüste mit Manna gespeist wurde.

 

Jesus muss aber zunächst ein Missverständnis aufklären: Nicht Mose hat den Israeliten das Manna gegeben, sondern Gott selbst. Das ist keine Abwertung der Rolle des Mose, eher ein zurechtrücken: Diese Speisungswunder sind keine Machtbeweise von Leitfiguren, sondern sie sind Zeichen für die Zuwendung Gottes zu den Menschen. Das Brot vom Himmel ist nichts weniger als Zeichen der Gegenwart Gottes. Das galt in der Zeit der Wüstenwanderung und auch für die Zeit Jesu.

 

Wenn Gott das Brot vom Himmel sendet, dann ist zweierlei gemeint: Zunächst geht es ganz konkret um die Sättigung des Hungers. Die Israeliten müssen in der Wüste ernährt werden, auch die Menge derer, die Jesus zuhören, muss mit Essen versorgt werden. Da wird die Zuwendung Gottes zu den Menschen mit Händen greifbar. Gott sättigt die Hungernden.

 

Aber es geht auch um etwas anderes: Das Himmelsbrot ist das Lebensmittel für das wahre Leben. Ein Leben, das ich dankbar aus Gottes Hand empfangen kann. Ein Leben, das mehr ist als das sichtbare Leben, ein Leben, in dem es um mehr geht als nur um die Versorgung mit materiellen Gütern. Ein Leben, dessen Ziel über die sichtbare Welt hinausreicht. Ein Leben, das auch durch nichts, nicht einmal durch den Tod bedroht wird. Für dieses Leben mit Fülle, so die biblische Botschaft, braucht es die Beziehung zu Gott. Eine Beziehung, um die ich mich nicht bemühen muss, sondern die Gott anbietet. Er gibt das Himmelsbrot, er gibt sein Wort. Und Gottes Wort, so verstehe ich diesen Text, führt zu diesem Leben in Fülle.

 

Das Gespräch gipfelt in einem der berühmten "Ich-bin-Worte" des Jesu: "Ich bin das Brot des Lebens!" Das ist ein enormer Anspruch, den Jesus hier erhebt: Der Evangelist Johannes schildert Jesus eben nicht als Leitfigur, von den Menschen als Führer oder Guru ausgerufen und verehrt, sondern als etwas anderes und mehr: Er selbst ist von Gott gesandt als Himmelsbrot, als Brot des Lebens. Und Jesus, das Brot des Lebens, gibt sich selbst hin. Und es ist hier auch die gar nicht harmlose Assoziation gemeint: Brot, das hingegeben wird für alle, wird gebrochen und verzehrt. Schon hier also ist eine Ankündigung von Leiden und Sterben Jesu herauszuhören. Jesus ist nicht einfach eine religiöse Leitfigur, in ihm, in seinem Leben und Sterben konzentriert sich Gottes Zuwendung zu den Menschen.

 

Jesus verbindet diesen Anspruch, dass er selbst das Brot des Lebens ist mit einer Einladung: "Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten." Zu Jesus kommen - gemeint ist damit: Zur Gemeinschaft derer zu kommen, die glauben. Ein erfülltes Leben ist ein Leben in Gemeinschaft. Ein Leben, in dem ich nicht seinem Sinn nachjagen muss. Ein Leben, in dem ich nicht nach Selbstverwirklichung streben muss. Dieses Leben ist schon erfüllt, der Hunger und der Durst nach dem Leben sind schon gestillt. Dieser Hunger nach Leben ist aufgehoben in der Gemeinschaft.

 

Und hier schließt sich ein Kreis. Die beiden Bedeutungen der Speisungswunder, nämlich das konkrete Stillen des Hungers nach Nahrung auf der einen Seite und die spirituelle Dimension auf der anderen Seite schließen einander nicht aus. Es sind zwei Seiten einer Medaille. Denn das Leben in Gemeinschaft bedeutet auch Solidarität in der Gemeinschaft. Und weil Jesus für sich beansprucht, für die ganze Welt das Brot des Lebens zu sein, gilt diese Solidarität nicht nur den Glaubensgeschwistern, sondern allen Menschen. Und die Rede vom Brot des Lebens wird so zu einer Anfrage an die menschliche Lebensweise generell.

 

Wie kann es sein, dass in unserem Land täglich Tonnen von Brot weggeworfen werden, die nur deshalb produziert wurden, damit ich auch am Abend noch eine reichhaltige Auswahl von Brotsorten vorfinde, während weltweit jeder siebte Mensch Hunger leidet? Wie kann es sein, dass trotz langfristiger Warnungen vor der Hungerkatastrophe am Horn von Afrika die Weltgemeinschaft erst reagiert, wenn es im Grunde schon zu spät ist?

 

Bei der Rede vom Brot des Lebens geht es nicht nur um die Stillung spiritueller Bedürfnisse, sondern auch um das Beenden von materieller Not. Und genau hier zeigt sich, ob die Gemeinschaft der an Jesus als das Brot des Lebens glaubenden, diesen Glauben und die Gemeinschaft ernst nimmt. Hier ist die christliche Gemeinschaft gefordert: Die Bemühungen um gerechtere Verteilung der Ressourcen auf unserem Planeten ist eine Grundaufgabe der Christinnen und Christen. Es ist keine einfache Aufgabe, aber das Brot des Lebens kann die Kraft dazu geben.