Erfüllte Zeit

15. 08. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Lukas 1, 39 - 56
von Wolfgang Treitler

 

 

Den Feiertag der Aufnahme Mariens in den Himmel gibt es schon lange. Auf vielen barocken Altarbildern wird eine wuchtige Szene gezeigt, in der sich Maria auf dem Weg in den Himmel befindet, getragen von Wolken, unter ihr eine Verehrergruppe, über ihr Gott, der sie empfängt.

 

Am 1. November 1950 hat dann Papst Pius XII. das feierliche Dogma der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel verkündet. Damit fand eine Entwicklung ihren dogmatischen Abschluss, in der Maria immer wichtiger wurde und immer mehr in die Mitte des katholischen Glaubens einrückte. Das zeigt sich auch in der Theologie: Vor dem späten 19. Jhdt. findet man keine ausgebildete theologische Marienlehre, also keine Mariologie. Heutigentags schreiben viele große und weniger große Theologen und Theologinnen über Maria. Die Gründe sind verschieden, das Ergebnis aber oft einheitlich. Man nimmt den Eindruck mit, aus der stillen Frau aus Nazareth wurde nach und nach ein leuchtender Stern gemacht, ein Star, um den sich viele Menschen scharen, wie das bei Stars eben sonst auch so ist.

 

Und so kam es auch dazu, dass Maia immer wichtiger und damit mehr und mehr zu einer Figur der Unterscheidung wurde: Der Unterscheidung zwischen Katholizismus und Protestantismus, zwischen Frömmigkeit und Rationalismus, aber auch zwischen Christentum und Judentum, weil Maria doch den Messias geboren habe, an den Jüdinnen und Juden nicht glauben.

 

Angesichts dieser Umstände wirkt der Gesang Mariens, den Lukas gedichtet hat, wie eine Enttäuschung. Denn trotz seiner sprachlichen Kunstfertigkeit deckt er von diesen Hochstimmungen in Bezug auf Maria kaum etwas ab – eher umgekehrt: Verbindungen werden sichtbar, denen Christen und Christinnen weithin entwöhnt wurden; menschliche Bescheidenheit, die kaum zum Bild der hoch erhobenen Frau passt; und vor allem nicht der geringste Hinweis darauf, dass Maria eine Mittlerin zu Gott hin wäre oder sogar gottähnlich.

 

Dieses Magnifikat, das seinen Titel aus dem Anfangswort des Gedichtes von Lukas empfangen hat, hat eine grandiose Grundtendenz: Über allem leuchtet der rettende Gott auf, der Leben schenkt. Maria verbucht da nichts auf sich, sondern weist alles, was an ihr wirkt, auf ihren Schöpfer. Er ist es, der die banale und gefährliche Weltordnung umwirft, indem er die Übersättigten, die Reichen und die Mächtigen von ihren Podesten holte. Maria ruft den Erlösergott auf und preist diesen, nicht sich.

 

Diesen Gott kennt Maria aus der Überlieferung und dem Glauben Israels. Es ist gar nicht metaphorisch gemeint, wenn Lukas Maria sagen lässt: Gott nimmt sich seines Knechtes Israel an. Wer ist dieses Israel? Es ist das Volk, das durch Jahrhunderte hindurch auch in seinen größten Katastrophen sich an diesen Gott gehalten und immer wieder zu ihm umgekehrt ist. In der Stimme Marias wird die ganz intime und dauerhafte Zugehörigkeit Gottes und Israels, also der ewige Bund Gottes mit Israel vernehmlich. Diesem Volk, das für den einzigen Gott immer wieder seine Existenz hingehalten hat – ihm schenkt Gott jetzt und künftig sein Erbarmen. Das gilt für das Israel aller Zeiten. So wenig wie Gottes Bund mit Israel aufhört, so wenig die Hoffnung Israels auf das sich dann und wann doch niedersenkende Erbarmen Gottes. Maria weiß das und glaubt es auch, weil sie aus Israel ist. Diese Dauerhaftigkeit wird auch ganz klar ausgesprochen: Gott hat das Erbarmen den „Vätern verheißen, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig“. Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.

 

Man hat vom Magnifikat aus nicht das Problem, wie es Israel nach Maria und Jesus noch geben kann. Lukas macht das im Mund Marias klar: Von Abraham weg sind Bund und Erbarmen Israel für alle Zeiten zugesagt. – Man hat eher ein anderes Problem: Wie kommen Menschen, die nicht wie Maria zu Israel, also zu Abraham und seinen Nachkommen gehören, mit diesem Bund in Beziehung?

 

Eine Antwort darauf liegt in Maria selbst: Sie, die ganz zu Israel gehörte, wird zu einer Botin, zu einer Zeugin des Glaubens an den Gott Israels, die auch unter den Heiden gehört wird. Wer diese Worte vom Gott Israels und seinem Erbarmen hört, findet Zugang zu ihm und seinem Bund mit Israel. Denn Marias Gesang bezeugt nichts anderes als den rettenden Gott, der die gesamte Überlieferung Israels seit mehr als drei Jahrtausenden bestimmt. Und er schenkt zugleich eine Hoffnung, die in Israel unendlich oft wirklich geworden ist: So klein und unbedeutend, so zerschlagen und niedergedrückt du auch bist – du gehörst doch zum Gott dieses Bundes. Er wird dich, er wird euch erheben an Seinem Tag.

 

Bund und Erbarmen gehören zusammen wie Maria und Jesus mit Abraham. Und das alles ist den Christinnen und Christen aller Zeiten mitgegeben, damit sie mit Maria nicht vergessen, woher sie geistlich kommen: Aus dem Bund Gottes mit Israel, aus dem Bund Gottes mit Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.