Erfüllte Zeit

21. 08. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Kommentar zu Matthäus 16,13 - 20

von Franz Gmainer-Pranzl

 

 

Wer schon einmal den Schlüsseldienst brauchte, weil er entweder vor verschlossenen Türen seines eigenen Hauses stand oder sein Auto nicht mehr aufschließen konnte; wer schon einmal länger nach einem Schlüssel gesucht hat, um eine Vitrine, einen Koffer oder ein Schreibtischfach zu öffnen, der weiß zu schätzen, was Petrus anvertraut wurde: Die Schlüssel. Allerdings nicht irgendwelche Schlüssel, sondern die Schlüssel zum Himmelreich, wie das Matthäusevangelium betont. Was nützt schließlich der Himmel, wenn er verschlossen bleibt – dieses biblische Motiv begegnet auf Schritt und Tritt, sei es als Tür zum Hochzeitssaal, die zugeschlossen wird (Mt 25,10); sei es als Warnung Jesu an die Gesetzeslehrer, die den Schlüssel zur Erkenntnis weggenommen haben (Lk 11,52) oder als Proklamation dessen, der endzeitliche Macht ausübt und „die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt“ (Offb 1,18) hat.

 

Der verschlossene Himmel: Ausdruck der vergeblichen Hoffnung, der unerfüllten Sehnsucht, des endgültigen Scheiterns. Wie gerne sperren Menschen einander aus, schließen sich voneinander ab, werden unzugänglich und verschlossen. Es sind nicht nur Banksafes und Hochsicherheitstrakte, die abgeschlossen werden; auch Grenzübergänge, Zugangsmöglichkeiten, Internetseiten und persönliche Freiräume werden gesperrt. Nicht selten erweisen sich auch religiöse Menschen als verschlossen; Unzugänglichkeit und Abgeschlossenheit gelten ihnen als Tugend, Offenheit und Aufgeschlossenheit als gefährlich und naiv. Jesus hingegen überreicht Schlüssel. Er will nicht, dass Menschen vor verschlossenen Türen stehen; er will, dass sich etwas erschließt; er eröffnet denen, die ihm nachfolgen, einen Raum der Freiheit und der Hoffnung. Wer mit ihm zu tun hat, dem öffnen sich im wahrsten Sinn des Wortes die Türen wie Petrus im Gefängnis, dem die Ketten von den Händen fielen, sodass er ins Freie gelangte (vgl. Apg 12,6 - 19a).

 

Schließlich hat die Freiheitsgeschichte des Christentums damit begonnen, dass verschlossene Türen wirkungslos wurden, wie in den biblischen Ostererzählungen nachzulesen ist. Der Auferstandene beruft die verängstigten Jünger, die sich eingesperrt hatten, zu Verkündern einer befreienden Botschaft. Dies ist gleichsam die „Schlüsselszene“ einer neuen Zeit, und Petrus wird zur Symbolfigur des Öffnens, des Erschließens, des Sich-Aufmachens. Er ist „der Mann mit den Schlüsseln“, der amtlich darstellt, worum es im Glauben geht: Zugang zu der Freiheit zu gewinnen, die durch die Verschlossenheit der Sünde unzugänglich wurde. Und das ist die felsenfeste Hoffnung, auf die die Kirche gebaut ist: In Christus öffnet sich, was verschlossen war; er selbst ist der eigentliche Schlüssel zu Gott und den Menschen. Offenheit ist demnach kein Trend der Zeit, sondern Ausdruck der Macht des Glaubens, die neue Lebensräume zu eröffnen vermag. Die Schlüssel des Himmelreichs sind somit allen gegeben, die sich wie Petrus von der befreienden Dynamik des Evangeliums Jesu bewegen lassen. Ihre Sorge wird es nicht sein, Menschen auszuschließen, sondern Türen zu öffnen, Blockaden zu entriegeln und Zugänge zu ermöglichen. Dieser „Schlüsseldienst“ muss sich gegenüber jenen „Wach- und Schließgesellschaften“ behaupten, die heute in Kirche und Gesellschaft nur auf Sicherheit und Abschließung bedacht sind und die Türen geschlossen halten. Mit dem heutigen Evangelium aber bin ich überzeugt: Christen leben bleibend aus der Erfahrung, dass der Glaube Türen öffnet; diesen Schlüssel sollten sie sich nicht aus der Hand nehmen lassen.