Erfüllte Zeit

04. 09. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Matthäus 21, 28 – 32
von Ines Knoll

 

 

Die alte Geschichte von Sein und Schein, vom Wollen und Nicht-Können, vom Gefallen und Enttäuschen und davon, wie wir alles bewerten, oft ohne tief zu blicken.

 

Die alte Geschichte vom: „So ist das Leben!“ Es ist ein tolles Stück über das Scheitern, über mein Scheitern.

 

Das Gleichnis kann ich gut brauchen für mein Leben und die Frage, die ich mir bin.

 

Ich kenne das: Ich muss, ja ich will sogar, aber ich kann nicht. Vielleicht, weil es mir ganz einfach widerstrebt, mir alles zu viel wird. Schon wieder will wer was von mir! Was soll ich denn noch alles tun? Ein Ende dem Geltungswahn für den kurzsichtigen Applaus. Lieber echt sein und meinem Innersten nachgehen und nachgeben, wenn es eben nicht geht und ich nicht funktioniere. Ist dafür Raum in meinem Leben? Für dieses Nein. Nein, jetzt nicht! Könnte es sein, dass der Jasager dieser Evangeliumsgeschichte, dessen Ja dann umschlägt in ein Nein, sich selbst einfach sehr genau spürt und weiß, was er jetzt will und braucht? Wie gut kenne ich das! Und die Angst, mich für dieses Nein zu entscheiden.

 

Ich finde, das Gleichnis ist nicht eines über zwei Brüder, deren eine der Böse und der andere der Gute ist. Es ist ein Gleichnis von Gottes Erbarmen: Über meinem Ja, das in ein Nein kippen kann und über meinem Nein, das sich aufschwingen kann ins Ja, ein Ja, das ich zuerst nicht für möglich gehalten hätte, aber jetzt ist die Kraft da und ich bin engagiert. Ich will und ich kann!

 

Das Gleichnis kann ich gut brauchen für mein Leben und die Frage, die ich mir bin. Mit ihm kann ich, um es mit Sloterdijk zu sagen: „Zur Welt kommen, zur Sprache kommen“ - zu Gottes Ja kommen! Religion ist dafür da, dass ich verstanden werde und einer tief blickt und den Beurteilungen der Masse das Stoppschild vorhält! Es könnte alles anders sein.

 

Und - mit Wittgenstein - „die Welt ist alles, was der Fall ist“. Schon bevor ich das Gleichnis lese, ist mein Leben immer schon so gewesen und wird es immer sein: Brüchig. Inkonsequent.

 

Ich hab ja auch einen Weinberg. Einen Gegenweinberg. Sein Erfolg wird gemessen von mir selbst. Der Zielsatz lautet: „Ich bin eine Erfolgsgeschichte!“ Sieh mich an! Es ist der perfekte Schein…

 

„Das Konsequente… ist etwas Furchtbares“, hat Ingeborg Bachmann gesagt, „und das Erleichternde, das Lösen, das Lebbare, das kommt inkonsequent einher“. Das Konsequente ist etwas Furchtbares. Es ist eine Jagd. Menschenjagd und Raub und Hunger und Gewalt, Verwüstung der Seele und der Werte, die ich in mir trage. Kann ich mich noch kümmern um meine Werte? Ich brauche Religion, die mich darüber tröstet und mir Mut macht, wo ich an meine Grenzen komme und die mich aushält in meinen Fragen…

 

Das Folgerichtige verfolgt mich am Ende - immer. Es ist ein Gesetz, das wirksam wird an den Herrlichen, den Gnadenlosen. Davon hat Luise Rinser schon geschrieben: „Da ist eine junge Generation, die religiös ist, die heraus möchte aus dem sterbensöden Materialismus, aus dem Konsumzwang, aus dem Herumgestreite der Parteien, die längst ihr Ziel aus dem Auge verloren haben: Den Menschen leben helfen, heraus aus dem Wachsfigurenkabinett, das sich Gesellschaft nennt und bevölkert ist von glatten, cleveren Typen, die das Rennen gemacht haben, aber heimlich saufen vor innerer Öde und nur mit Valium leben können aus Angst, abzustürzen vom Postament. Heraus aus dem Terror von oben und dem Gegenterror von unten, heraus aus dem Hass, heraus aus diesem lichtlosen Dasein. Heraus. Aber wohin? Und wie?“

 

"Wohin?" fragt Rinser. "Zu Gottes Ja" schlag ich ihr vor. Ohne Aufhebens, weil ich aufgehoben werde aus dem Staub in den Glanz.

 

Zöllner, Hure

Lehrerin, Pfarrerin

Häftling,

Ungeliebter, Geliebte:

Mensch - Von Gott verstanden.

 

„Die Armen will der Herr umarmen

Mit Gnaden hier und dort!

Er schenket ihnen aus Erbarmen

Den höchsten Schatz, das Lebenswort!“