Erfüllte Zeit

18. 09. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Kommentar zu Matthäus 20, 1 - 16a
von Pater Karl Schauer OSB

 

 

Wer sich auf IHN einlässt, kommt nie zu spät!

 

So erhalten auch die Arbeiter, die erst in der elften Stunde, also gerade noch im letzten Moment zur Arbeit kommen, ihren gerechten Lohn. Das Recht, zu allen gut zu sein, lässt sich Gott nicht nehmen, auch wenn das der Selbstgerechtigkeit der Menschen, oft auch der Vorstellung der sogenannten Frommen, nicht entspricht.

 

Der große Kardinal Franz König hat mit Überzeugung gesagt: „Ich glaube nicht daran, dass die Kirche dadurch besser wird, dass man alle ‚Fernstehenden’ aus ihr vertreibt. Denn das wäre gegen die Absicht Christi. Er selbst hat nämlich gerade jene gesucht, die sich im religiösen Leben nicht mehr selber helfen können. Er hat von sich selber gesagt, dass er nicht gekommen ist, die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder.“

 

Jesus ist ständig auf der Suche nach den „Fernstehenden“. Der Rabbi aus Nazareth hat den Menschen aus gesellschaftlich verachteten Randgruppen immer wieder einen zentralen Platz gegeben, den Samaritern, den Zöllnern, den Prostituierten und anderen Sündern. Er widmete sich den Aussätzigen, Behinderten und aus der Gesellschaft Verstoßenen. Er wendete sich den Armen, Unterdrückten und Ausgebeuteten, ja den zu spät Gekommenen zu.

 

Wer meint, Gott nur den „im religiös Sicheren“ überlassen zu können, irrt. Niemand hat das alleinige Anrecht auf ihn. Mein Gott ist zugleich der Gott der Anderen, der Gott der Suchenden, wie auch jener, die ihn nicht kennen und auch der Gott der Gottesleugner.

 

Mein Gott ist vorrangig ein Gott der Suchenden, der Menschen, die unterwegs sind und nicht jener, die schon ihre gesicherte religiöse Stellung haben. Mein Gott ist ein pilgernder Gott, ein Gott des Exodus, einer, der immer auf den Menschen zugeht, auch auf jenen, der ganze Wegstrecken seines Lebens diesen Gott versäumt hat. Ein solcher Gott ist stets ein größerer Gott und bleibt ein radikales Geheimnis. Ihn in die Regie des Menschen nehmen zu wollen, ist lächerlich und blasphemisch. Er selbst sucht jene, die ihn suchen, er hält Ausschau nach denen, die nach ihm Ausschau halten, sein Offensein den Menschen gegenüber ist immer radikal und uneingeschränkt.

 

Gottes Logik ist anders als die der Menschen, ja, sie ist paradox, wahrscheinlich riskant. Nicht Dogmen und Moral sind der Fahrplan Gottes, nicht Katechismen und Lehrbücher, nicht Disziplin und juristisches Denken, sondern die Torheit des Kreuzes und der Liebe. „Die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten die Ersten.“

 

Das Zweite Vatikanische Konzil – 2012 sind es 50 Jahre seit der Eröffnung – hat sich zur Aufgabe gestellt, die Kluft zwischen der katholischen Kirche und „den Anderen“ zu überbrücken, einen Dialog mit der modernen säkularen Kultur und dem säkularen Humanismus zu eröffnen, wie auch mit anderen christlichen Kirchen, mit Gläubigen nichtchristlicher Religionen sowie mit Agnostikern und Atheisten. „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und der Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi“, heißt es im Einleitungssatz des bedeutendsten Konzilsdokuments.

 

Deshalb bin ich auch sehr skeptisch denen gegenüber, die heute oft vorschnell von Neuevangelisierungsmaßnahmen reden – das Geheimnis der Verborgenheit Gottes wird nämlich gerade in der Solidarität mit dieser Welt erahnbar.

 

Und so sagt Kardinal König prophetisch: „Eine Kirche, die nur religiöse Athleten zu ihrer Gemeinschaft zulässt, wäre nicht die Kirche Jesu Christi. Deswegen glaube ich an die ‚Volkskirche’. Sie beherbergt viele Zöllner, Kinder, religiös Lahme, religiöse Krüppel, religiös Verlaufene, die von Gott und seinem Reich kaum etwas wissen und wenig verstehen.“

 

Mein Gott ist nicht nur anders, er ist der Andere. Mein Gott ist frei, auch den Menschen den gerechten Lohn zu geben, die ihn noch nicht gefunden haben, aber deren Sehnsucht ungebrochen bebt.