Erfüllte Zeit

09. 10. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Matthäus 22, 1 - 14

von Martin Stowasser

 

 

„Man muss die Feste feiern, wie sie fallen.“ Dieses lebensfrohe Sprichwort passt kaum noch in unsere Zeit, die Schritt für Schritt einer neoliberalen Wirtschaftslogik unterworfen wird: Leistungssteigerung, Gewinnmaximierung, perfektes Zeitmanagement. Ein Fest, etwas feiern, das riecht nach Spontaneität, nach Ausgelassenheit, nach vergnüglicher Verschwendung. Aber wo bleibt dann die Produktivität? Natürlich erzielen Feste eine Umwegrentabilität, man konsumiert schließlich, das tut der Wirtschaft gut-, aber einfach nur ein Fest feiern wollen? Lässt der Terminkalender das zu, ist das begrenzte Urlaubstagekonto noch belastbar? Bleibt nicht viel zu viel Arbeit liegen? Soll man wirklich alles beiseite legen und spontan ein Fest feiern? Geht denn das?

 

Jesus von Nazaret hat seinen jüdischen Zeitgenossen Gottes Einladung zum großen Fest überbracht. „Gottes Herrschaft ist nahe“, dieser Satz fasst es für Jesus präzise zusammen. Aber trotz aller Hoffnung auf Gottes endzeitliches Handeln kam die Nachricht dann doch vielen überraschend: „Es ist soweit“. Das Gleichnis vom Hochzeitsmahl reflektiert über diese Einladung Gottes und die Schwierigkeiten, auf die sie stieß.

 

Die Version, in der der aus einem jüdischen Umfeld kommende Autor Matthäus das Gleichnis überliefert – und die sich deutlich von der des Lukasevangeliums und des apokryphen Thomasevangeliums unterscheidet –, besitzt einige auffällige, geradezu schräge Züge. Mit solchen schrägen Zügen werden keine definitorischen Aussagen über Gott gemacht, der ja mit dem einladenden König gemeint ist, wohl aber lenkt Matthäus die Gedanken seiner Leser und Leserinnen gezielt auf neue Bahnen, da ihnen das Gleichnis sehr wahrscheinlich bereits bekannt war.

 

Dass man die Einladung eines Königs zu einem Fest ausschlägt, ist bereits ungewöhnlich, dass man als gebetener Gast die gesandten Diener auch noch tötet, ist geradezu grotesk. Wenn ein König daraufhin aber nicht die Täter bestraft, sondern eine ganze Stadt niederbrennt, darf seine Reaktion ebenso als überzogen gelten. Die Erklärung dieser drastischen Bilder ist meiner Überzeugung nach in der Kirchengeschichte des ersten Jahrhunderts zu finden: Bittere Erfahrungen der matthäischen Gemeinde haben hier ihren Niederschlag gefunden: Israel hat sich nicht nur seinem Messias Jesus verweigert, sondern auch die nachösterlichen Boten des Evangeliums verfolgt. Matthäus deutet deshalb die Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahre 70 n. Chr. als göttliches Strafgericht für diesen Unglauben und für die Verfolgung frühchristlicher Wanderprediger.

 

Gott lässt sich sein Fest aber nicht verderben, es gibt eine zweite Einladung. Diese zweite Runde holt auch die bislang nicht Geladenen zum Fest. Der exklusive Kreis wird erweitert. „Alle“ sollen nun am Fest teilnehmen. Es sind diejenigen, die bislang nicht zum auserwählten Volk gehörten, denen Jerusalem und sein Tempel nicht religiöse Heimat waren, es sind die Heiden. Ist Israel weiter eingeladen? Dazu sagt die Erzählung direkt nichts, dennoch ist es wahrscheinlich. Matthäus beschäftigt diese Frage hier allerdings nicht weiter. Er macht vielmehr eine auffällige Bemerkung über die neu geladenen Gäste und lenkt zu jenem Abschluss des Gleichnisses hinüber, den es in den biblischen Evangelien wiederum nur in seiner Version gibt und der ihm daher offenbar wichtig war.

 

Der Saal füllt sich, und zwar mit „Guten und Bösen“, wie betont wird. Der Blick des Matthäus ruht also nicht weiter auf dem Verhalten Israels, sondern Matthäus nimmt die eigene Kirche ins Visier. Die Unterscheidung der Gäste in „Gute und Böse“ bereitet nämlich einen neuen grotesken Zug vor. Der König betritt den Saal, aber er setzt sich nicht, um nun endlich mit dem Hochzeitsfest zu beginnen, sondern er überprüft die Kleidung seiner Gäste. Da wurden Menschen spontan von den Straßen weggeholt, jetzt aber wird Hochzeitskleidung verlangt. Und der unglückliche „Mr. Underdressed“ wird nicht hinauskomplimentiert, sondern an Händen und Füßen gebunden und aus dem Hochzeitssaal geworfen. Die Metaphorik löst sich hier endgültig auf. Der Christ wird dem Feuer der Hölle überantwortet, denn das fehlende Hochzeitsgewand symbolisiert für Matthäus die ausgebliebene christliche Lebenspraxis. Christsein inkludiert für ihn zwingend das richtige Tun. Die Einladung zum Fest ist ein Geschenk Gottes, aber es legt dem Menschen eine Verpflichtung auf. Als Geliebter soll er wiederlieben, und zwar sehr konkret in seinem alltäglichen Leben.

 

Hinter aller mahnenden Aktualisierung des Gleichnisses vom Hochzeitsmahl, die Matthäus als notwendig angesehen hat, sollte man m. E. eine freudige, grundsätzlich optimistische Seite darin nicht übersehen: Der Hochzeitssaal wird voll, das Fest findet statt. Gott lässt sein Fest für die Menschen nicht ausfallen.

 

Das Evangelium ist eine frohe Botschaft, deren vielfältig befreiendes Potential Jesus stets neu in den Bildern von Mahl, Fest und Hochzeit verdeutlicht hat. So wie ich es verstehe, müssen Christen und Christinnen dieses Fest feiern, gerade mit Menschen, die ein Fest bitter nötig haben.