Erfüllte Zeit

01. 11. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Matthäus 5, 1 – 12a
von Markus Schlagnitweit

 

 

Hochfest Allerheiligen... – Wer die aktuelle römische Praxis rund um kirchenamtliche Heiligsprechungsverfahren etwas aufmerksamer verfolgt, kommt kaum umhin, sich ein paar kritische Fragen zu stellen. Mitunter – v.a. in der jüngeren Vergangenheit – scheint diese Praxis ja eher an kirchenpolitischen Interessen orientiert zu sein denn an den soeben gehörten Seligsprechungen des Evangeliums. Die postumen kirchlichen „Ordensverleihungen“ muten aber auch generell fragwürdig an: Passiert dadurch nicht genau das Gegenteil dessen, was eigentlich angezielt wäre? Da werden für sich genommen gewiss außergewöhnliche, exemplarische Menschen in einer Weise heroisiert und „zur Ehre der Altäre“ erhoben, dass sie genau dadurch der einfachen Alltagswirklichkeit von Durchschnittsgläubigen entfremdet werden. Sie erscheinen dann plötzlich in einem völlig lebensfernen Licht – zu übermächtig, zu weit weg, zu exotisch, um wirklich noch Vorbilder sein zu können, die ermutigen, bestärken und vorwärts ziehen.

 

Inmitten dieser Fragwürdigkeiten rund um die Praxis kirchlicher Heiligenverehrung ist das Fest Allerheiligen geradezu ein Glücksfall: Entgegen vorschneller Assoziationen werden  heute ja gerade nicht die legenden-überfrachteten Heroen unserer Altäre gefeiert, die ohnehin schon ihren eigenen Festtag im Kirchenkalender haben. Nein, Allerheiligen ist seinem eigentlichen Sinn nach doch vielmehr das Fest der „kleinen“ Heiligen: also der in der Öffentlichkeit Unbekannten und Namenlosen, die man allzu leicht vergisst – jener kleinen Heiligen, die es wohl im Leben aller gibt oder gegeben hat: die Mutmacher, Animatoren, Energiespender der eigenen Lebens- und Glaubenspraxis; glaubwürdige Menschen der eigenen Lebensgeschichte also, Freunde, Verwandte, Nachbarn, sonstige Wegbegleiter.

 

Es ist gut und wichtig, sich dieser Menschen regelmäßig zu erinnern – v.a. aus zwei Gründen: Einmal weil die Erinnerung an sie den Blick freizulegen vermag auf die zumeist wesentliche Anfangszeit eigenen Glaubens, also auf dessen ursprüngliche Wurzeln, Grundmotive und Kraftquellen, die doch immer wieder überwuchert werden durch bloße Gewohnheit – oder profillos durch die ständigen Kompromisse, die einem das alltägliche Leben abnötigt – oder hohl in der rituellen und bürokratischen Erstarrung institutionalisierter Kirchlichkeit. Die Erinnerung an die Initialzünder des eigenen Glaubens kann dagegen sein wie Sauerstoffzufuhr für eine unter ihrer Asche zu ersticken drohende Glut. – Zugleich stellt diese Erinnerung aber auch eine heilsam-beunruhigende Anfrage an die eigene Fähigkeit und Bereitschaft, jene Glut auch wieder weiterzugeben, die mich selbst wärmt und mit Leben erfüllt.

 

Denn darüber kann es keinen Zweifel geben: Die Weitergabe religiösen Glaubens bedarf einer Art Fackelträgerschaft. Es braucht Menschen, die von einem Feuer so erfasst sind, dass ihr Funke auch auf andere überspringt und sie zu entfachen vermag. „Tradition ist Weitergabe des Feuers, nicht Anbetung der Asche“, lautet ein bekanntes, starkes Wort, das gerade auch in meiner Kirche gelten sollte. Denn ein Glaube, der nur in Form erkalteter Asche und erstarrter Schlacke weitergegeben wird, wird niemanden wärmen oder gar entfachen und darf getrost in der Müllkippe des Vergessens entsorgt werden.

 

Was aber das eigene Leben mit Freude und Hoffnung, mit Leben und Glück erfüllt – das verdient, erinnert und weitergegeben zu werden. Und was dabei helfen kann, ist die Erinnerung an die wahren Glücksspender des eigenen Lebens: ehrlich und glaubhaft um Frieden und Gerechtigkeit ringende Menschen, Menschen, die fremde und auch meine eigene Armut und Trauer zu teilen und damit zu heilen bereit und imstande sind, Menschen, die das haben, was Menschen menschlich macht: ein reines Herz am rechten Fleck. Selig, wer solche Menschen kennt!