Erfüllte Zeit

01. 11. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

"Und alles blieb still"  
Betrachtungen zu Gerhard Meiers Text "Ob die Granatbäume blühen"

 

 

"Dorli und ich machten noch kleine Spaziergänge. Die Herbstzeitlosen stellten sich ein, die Schwalben zogen davon. Die Novembersonne leuchtete hier einen Kirschbaum an, dort zwei, drei Birken. Dann kam der Schnee. (...)

 

Am Morgen danach - es war der 17. Januar 1997 - rief ich Dorli bei ihrem Namen und - alles blieb still." Aus dieser Stille heraus und in diese Stille hinein führt all das, was der schweizer Autor Gerhard Meier in dem Text "Ob die Granatbäume blühen" zu seiner Frau - nach ihrem Tod - gesagt hat. Die rasch aufeinander folgenden Gedanken, Erinnerungen und Episoden, dieses leise Ansingen gegen die Einsamkeit wird immer lautloser und verdichtet dennoch den unsagbaren Schmerz, der ausgespart bleibt, über den nicht gesprochen wird, umso mehr.

 

"Dorli, ist die Zeit wirklich die alterslose Schöne, die das Nordlicht mag, die große Lyra, den Tanz? Trägt sie wirklich Roben aus Morgenröte, Abendhauch, Sternenstaub?- (...) Dorli, zuweilen stelle ich Deine Gartenschuhe ein bisschen zur Seite, wische herangewehtes Laub weg, Halme, trockene Erde."  Aber die so Angesprochene ist nicht mehr da, antwortet nicht. Er redet dennoch um ihr Leben, als könnte er es noch einmal erschreiben, anschreiben gegen das Unwiederbringliche. Sein Anruf prallt an der Stille, die ihm scheinbar entgegensteht, ab. Aber die Gerufene hat längst geantwortet, einem Anderen, dem, der sie von Ewigkeit her beim Namen genannt hat. Und für Sekunden schaut ihn selbst bei dieser Totenklage, bei dieser Beweinung das Paradies an.

 

"Dorli, wenn wir wieder zusammen sind und die Wildkirschen blühen (...) gleiten du und ich in deinem Schattenboot von Walden her über die Waldenalp hin, (...)  eskortiert von Kohlweißlingen, Distelfaltern, Abendpfauenaugen und einem Admiral."

 

Christine Wiesmüller

 

Buch:

Gerhard Meier, "Ob die Granatbäume blühen", Suhrkamp Verlag