Erfüllte Zeit

06. 11. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Micha 4, 1 – 4
von Barbara Rauchwarter

 

 

Heute beginnen die Tage, die der Ökumenischen Friedensdekade gewidmet sind.

 

Ich bin sicherlich eine Wutbürgerin, aber bin ich auch eine Mutbürgerin? Mein Gefühl von Ohnmacht ist groß. Zu Unschuldsvermutungen bin ich nicht mehr fähig. Wenn sich da eine Stimme erhebt, die Gerechtigkeit für die Kleingemachten einfordert, wenn Mächtige kritisiert werden, in Frage gestellt werden, dann geht es mir besser. Ich atme kurzzeitig auf. Auch der Prophet Micha ist zu seiner Zeit vor ca 2800 Jahren so eine Stimme. Die Menschen damals hatten die Zerstörung des Nordreiches durch die hochgerüsteten Assyrer erlebt, das Südreich, in dem Micha lebte war noch einmal davon gekommen. Der Tempel auf dem Zionsberg, Garant für die Anwesenheit Gottes stand noch fest. Und an dieser Sicherheit rüttelt der Prophet.

 

Propheten sind unbequem, sie verunsichern – ein bisschen lächerlich in ihrem Ernst und störend, weil ihre Botschaft mein Leben kritisiert und korrigieren will. Sie sind kompromisslos: sie bleiben bei einem Wenn – Dann. Sie sind Analytiker und Prognostiker.

 

In den unserem Text vorangehenden Aussagen deckt Micha den Größenwahn der herrschenden Oberschicht und der Reichen auf, die das Volk in die Katastrophe führen werden. Denn es herrscht kein Friede: Korruption, Bestechung, Umgehung der Gesetze, Ausbeutung und Opportunismus der Priester bereichern eine kleine Oberschicht, die Masse der Kleinen verelendet. Die Großmacht Babylon erhebt sich bereits drohend. Er empört sich und urteilt im Namen Gottes und im Namen der Menschen, die das Unrecht der Eliten in Überlebensnot getrieben hat. Er kündigt die Vernichtung von Tempel und Staat an. Und er wird Recht behalten: Die Babylonier werden den Tempel zerstören und das Volk Israel in eine gewaltige Krise stürzen. Ich denke, dass die Situation damals dem Krisentaumel heute sehr ähnlich ist. Bereicherung, Korruption, Aufrüstung auf der einen Seite und der gnadenlose Überlebenskampf für die Menschen, die unten gehalten werden. Wie groß ist da die Sehnsucht nach Trost, nach einem Hoffnungsanker. In unserem Text heute macht Micha diesen Anker auf dem Berg Zion fest. Er entwirft das Bild der unbestrittenen, zweifelsfreien und weithin sichtbaren Gegenwart Gottes in seinem Haus, das weit mehr als ein von Menschen erbauter Tempel sein wird. Diese Endzeitvision knüpft an der Erfahrung Israels an, als kulturelle und religiöse Minderheit unter vielen Völkern zu leben. Aber Micha meint nicht die triumphierende Macht Israels, sondern die umfassende Herrschaft Gottes. Ihr erstes Ziel ist Friede. Nicht die Exklusivität eines Volkes ist im Blick, sondern die friedliche Koexistenz aller Nationen. Sie werden nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Schwerter werden zu Pflugscharen umgeschmiedet. Ab 1980 - mitten im Kalten Krieg - haben evangelische Christen dies Bild zu dem Motiv ihres Engagements für den Frieden und die Abrüstung gemacht, in Bronze gegossen steht heute die Statue eines Schmieds, der weitausholend ein Schwert bearbeitet vor dem Sitz der Vereinten Nationen in New York. Frieden erfordert also Anstrengung und Handanlegen.

 

Und auch vom Zufriedensein spricht Micha: die Menschen haben, was sie brauchen und was sie erfreut. Weinstock und Feigenbaum, Lebensfreude und Süße.

 

Der zugewiesene Lebensraum ist vor dem gierigen Zugriff der Fremdbestimmung geschützt, der Maßlosigkeit der falschen Bedürfnisse sind Grenzen gesetzt: Zwischen Geburt und Tod lebe ich von meiner Arbeit, habe genug Mittel zum Leben und freue mich daran. Arbeiten und Genießen bestimmen den Rhythmus meiner Lebenszeit. Meine Mühe, meine Tageslast wird nicht vergeblich sein. Ich werde in Frieden, zufrieden leben. So die Verheißung Gottes. So meine Vision von gelingendem Leben, an der ich festhalte. Amen.