Erfüllte Zeit

27. 11. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Markus 13, 24 - 37
von Wolfgang Treitler

 

Es ist Advent. Zimtgeruch zieht durch manche Küchen, die abendfinsteren Straßen erhellt schon Weihnachtsbeleuchtung, Weihnachtsmärkte haben geöffnet und bieten einen ganzen Jahrmarkt feil, Glitzer und Geleucht umgibt die Menschen, die sich auf ihnen drängen. Es ist Advent.

 

Bald werden die ersten Weihnachtskonzerte in den Kirchen gegeben werden, Melodien und Texte werden erklingen, die viele an die frühen Tage der Kindheit erinnern, da man anders am Advent und an Weihnachten hing, als dies vielen Erwachsenen noch möglich ist. Verloren das Paradies der Wintertage, aber wie von fern beschworen in dieser Zeit. Es ist Advent.

 

Wem das zu kitschig ist, der braucht sich gar nicht aus dem Christentum wegzubegeben, das diesen Kitsch mitbedingt haben wird. Wem das zu kitschig ist, den empfängt dieser Text des Markus mit einem ganz andern Blick, der besser zum Advent passt und ihn auch klarer auslegt: Advent – das heißt Ankunft. Ankunft des einen Gottes. Ankunft ohne Prognose. Ankunft als Überraschung, auch als Überfall. In dieser Richtung führt das der Text des Markus vor, der in der Bibelwissenschaft  auch als ein Teil der sogenannten Markusapokalypse gilt. Das Ende steht vor der Tür! Bleibt wach! Seid wachsam!

 

Diese Worte sind annähernd 2000 Jahre alt, manche von ihnen noch älter. Als sie niedergeschrieben wurden, war ihr Klang noch so frisch, dass er wirklich erzittern ließ. Man konnte die Mahnung nicht überhören, die in den Worten lag: „Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft.“ Das galt denen, die zeitlich knapp an Jesus dran waren.

Und heute?

 

Viele Jahrhunderte des alljährlichen Advent haben das Christentum offenbar ermüdet. Aus der sogenannten „Naherwartung“ des in Kürze wiederkommenden Messias wurde irgendetwas anderes. Ich kenne jedenfalls keinen Christenmenschen heute, der wirklich ernsthaft diese Naherwartung lebt, die ja nach Markus nicht einen Menschen allein und für sich, sondern alle betroffen hat. Was aber ist das Christentum heute, wenn es nicht diese messianische Naherwartung in sich trägt? Eine träge Masse, die, so hat man manchmal den Eindruck, resignativ oder bissig, zynisch oder apathisch ihr eigenes Ende in Europa verwaltet? Was ist ein Christentum ohne Naherwartung? Was ein Christentum ohne Advent? Advent und Naherwartung gehören zusammen. Doch wie soll man damit leben nach 2000 Jahren der alljährlich verschobenen Ankunft  – und einem Zeitausblick, der vom Advent, vom Kommen des Messias oder Gottes selbst nichts verrät?

 

Die Erben des Advent auf den Weihnachtsmärkten sind gewiss besser dran. Sie erwarten nach diesem Advent für das nächste Jahr wieder einen Advent, und das läuft, solang die Zeit weitergeht. Zimtgerüche werden die Luft durchziehen, Weihnachtbeleuchtung ein paar Straßen aufhellen, die Jahrmärkte des späten Kalenderjahres ihre Waren feilbieten aus Fernost und vom Nachbarn, Glitzer und Geleucht werden verzaubern wie jedes Jahr. Es ist eben Advent.

 

Und da hinein tönt der Ruf des Evangelisten, seit Jahrhunderten eigentlich widerlegt und doch eine Mahnung, nicht einzuschlafen im betörenden Duft des Rauchwerks und im milden Schein der Kerzen und des Geleuchts in den Zimmern und auf den Straßen: „Was ich euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!“

Denn Gott ist eine Überraschung.