Erfüllte Zeit

08. 12. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Lukas 1, 26 – 38
von Pater Gustav Schörghofer

 

 

 

Gefeiert wird heute in der Katholischen Kirche, dass Maria vom ersten Augenblick ihres Lebens, also von ihrer Empfängnis an von jeder Schuld befreit war. Im Evangelium des heutigen Festtags ist aber von einer anderen Empfängnis die Rede:

 

Das alles klingt schon ziemlich unglaublich. Ein Mädchen, ein Engel, Heiliger Geist, Gott - ein Kind soll geboren werden, doch gibt es keinen Mann, der zum Vater würde. Es wäre leicht, das Ganze ins Reich der Fantasie abzuschieben, ein Nachhall ferner Geschichten, von ägyptischen Herrschern und antiken Götterkindern. Sicherlich steckt auch das in der Geschichte von Maria und dem Engel, denn die Grenze zwischen Göttern und Menschen war in alten Zeiten nicht so dicht wie heute. Wir leben ja heute in einer Zeit scharf gezogener und streng überwachter Grenzen. Die gibt es auch im Denken. Einem Heiligen Geist, einem Engel oder gar einem Gott wird der Zugang zur Welt, zur Gesamtheit des Denkbaren, Beweisbaren und Nachweisbaren verweigert. Und tatsächlich: Wir kommen ohne sie ganz gut aus. Alles funktioniert, alles ist erklärbar, alles machbar. Allerdings hat diese Entscheidung auch ihren Preis. Die Welt wird sonderbar flach, sie verliert ihren Zauber, ihr Geheimnis. Es gibt nichts mehr zum Staunen, keine Wunder. Mich wundert es daher gar nicht, dass eine solche Welt langweilig ist, dass immer mehr Zerstreuung und Unterhaltung nötig wird, um sich die Zeit zu vertreiben.

 

Als Kind habe ich auch Grenzen gezogen. Die entscheidende Grenze war eine Tür, hinter der sich unheimliche Räume erstreckten. Da gab es Geister, gegen die wir Kinder uns zu schützen hatten. Eines Tages habe ich die Tür geöffnet. Dann kamen die ersten Schritte in unbekannte Reiche, Gänge, Dachböden, Türme, verborgene Räume. Bedrohliche Geister habe ich keine entdeckt, aber immer mehr Wunderbares, Zauberhaftes, Staunenswertes. Und so geht es mir auch noch heute. Das Fremde ist nicht Raum der Angst, der Bedrohung, sondern Raum der Verwunderung, des Zaubers, immer neuer Entdeckungen.

 

So gehe ich auch mit der Geschichte von Maria und dem Engel um. Sie ist für mich wie eine Tür. Ich kann sie geschlossen lassen. Es könnte ja Bedrohliches und Feindliches hinter ihr lauern. Etwas, das sich meiner bemächtigt und mich mir selber fremd macht. Aber könnte es nicht auch ganz anders sein? Vielleicht ist es ganz anders. Weil ich es gewohnt bin, Türen zu öffnen, mache ich auch diese auf. Da zeigt sich eine Welt, die ich aus vielen Bildern kenne. Die Grenzen einer kleinen Innenwelt werden geöffnet, von draußen kommt etwas in diese Welt hinein, mit einem Mal wird es weit und offen, keine Angst, keine Enge, kein Verkrampfen im Eigenen, sondern die Möglichkeit von etwas ganz Anderem. Ja, die Möglichkeit. Denn wirklich ist noch gar nichts. Es ist ein Angebot, von dem hier die Rede ist. Und ein Werben um Zustimmung. Zwang gibt es keinen in dieser Geschichte, auch keine Überwältigung. Alles Angekündigte wird nur wirklich durch die Zustimmung des Menschen. Wenn Maria nicht will, bleibt alles beim Alten. Angst, die ständige Begleiterin der Schuld, ist Maria offenbar fremd. Sie macht die Tür auf. Schauen wir, was kommt.

 

Diese Haltung beeindruckt mich sehr. Dem völlig Unfassbaren, das Gott ist, das für mich ja nur fassbar ist, insofern es sich mir zu erkennen gibt, diesem Unfassbaren gegenüber gibt es keine andere Haltung. Die Alternative wäre: Türe zu. Und die Folge: Langeweile. Nein, da lebe ich schon lieber mit dem Risiko, dass durch die offene Tür etwas eintritt, das mir völlig neu und fremd ist. Ich fürchte mich nicht vor Gott. Ich fürchte mich auch nicht vor der Welt. In ihr gehe ich dem Fremden und Unbekannten entgegen und entdecke immer neu Wunder und Geheimnis. So ist auch Maria ihrem Kind entgegengegangen. Ein Abenteuer bis zuletzt. Schmerzhaft mitunter und voller Freude, dunkel und zugleich schön, immer zauberhaft, immer wunderbar. Die Entdeckung der eigenen Gestalt auf dem Weg zum Anderen.