Erfüllte Zeit

11. 12. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Johannes 1, 6 - 8.19 – 28
von Pater Gustav Schörghofer

 

 

Am Beginn des Johannesevangeliums ist von Johannes dem Täufer die Rede. Es zeigt sich gleich, dass dieser Mann ein Rätsel ist, ein völliges Rätsel. So etwas gefällt mir sehr.

 

In dem eben gehörten Text gibt es sehr viele Verneinungen. Johannes sagt von sich, er sei nicht der Messias, nicht Elia, nicht der Prophet. Später spricht er von jemandem, den die anderen nicht kennen. Also nein, nein, nein, nein. Positiv sagt Johannes nur, dass er jemand sei, der einen anderen ankündigt. Die Identität des Johannes besteht darin, dass er jemandem vorangeht und ihm den Weg bereitet. Dazu sind viele Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Offenbar muss das viele Wissen, das allzu Klare, das Gewohnte und Vertraute ein Ende haben. Es kommt etwas ganz Anderes.

 

Ich bin für die Jesuitenkirche in der Wiener Innenstadt verantwortlich. Am Abend wird der herrliche Barockraum ganz bewusst nur sehr spärlich erhellt. Fast alles versinkt im Dunkel, Formen und Farben und Bilder. Immer wieder höre ich den Wunsch nach mehr Licht. Nein, sage ich dann, es muss auch einmal dunkel sein in der Kirche. Das Vertraute und Gewohnte muss auch einmal verloren gehen können. Die Bilder und Geschichten müssen auch einmal verschwinden können. Wer sich eine Zeit lang im Dunkel aufhält, sieht etwas anderes, etwas, das im hellen Licht verborgen wäre. Zu sehen ist dann der Reflex des wenigen Lichts von vielen vergoldeten Flächen, eine Art Lichtarchitektur aus zarten Linien. Dazwischen weite Räume im Dunkel. Dieses Dunkel ist nicht wie eine Mauer, es bedrängt mich nicht, sondern es öffnet sich als weiter Raum, weit und unfassbar und voller dunkler Geheimnisse. Ich weiß, da gibt es etwas zu entdecken, etwas, das sich mir entzieht und das sich mir auch zu erkennen geben kann. Ich muss nur etwas Geduld haben. Ich liebe diesen Zustand. Einmal habe ich während der Christmette das Licht abschalten lassen. Wir alle, ein paar hundert Menschen, sind im Dunkel gewesen. Gemeinsam einige Zeit im Dunkel auszuhalten und dann zu sehen, dass sich etwas verbirgt und zugleich zu erkennen gibt, das ist eine wunderbare Erfahrung. Für mich wenigstens.

 

Johannes der Täufer ist eine wunderbare Gestalt, finde ich. Er hat den Mut zur Dunkelheit. Nein, nein, nein sagt er, ich bin nicht das, was ihr euch denkt. Ich kündige jemand an, ich bereite seine Ankunft vor. Aber ihr kennt ihn nicht. Johannes der Täufer lehrt mich, auszuharren, das Dunkel nicht zu fürchten, ja mehr noch, das Dunkel zu lieben. Warum lieben? Weil ich aus dem Dunkel beschenkt werde.

 

Allzu viele sind heute damit beschäftigt, für künstliche Beleuchtung zu sorgen. Viele laufen mit selbst gebastelten Laternen herum. Alles ist da, alles ist klar, alles steht zur Verfügung. In jeden Winkel wird hineingeleuchtet, um auch noch die letzten Geheimnisse zu vertreiben. Bei der Aufklärung von Verbrechen mag das ja sehr sinnvoll sein. Das Leben besteht aber doch nicht nur darin, Verbrechen aufzuklären. Es gibt Dinge, die nur zu entdecken sind, wenn sie sich mir zu erkennen geben. Mit allem wirklich Wichtigen verhält es sich so. Die wahre Freude besteht für mich darin, mich beschenken zu lassen. Ich schalte einmal meine eigene Beleuchtung ab. Ich schaue, was sich zeigt. Im Unbekannten gibt sich etwas zu erkennen. Ich muss es nur einmal dunkel werden lassen. Dann geht mir ein Licht auf. Nicht das eigene. Die Welt, die Menschen, Gott werden mir zum Licht.