Erfüllte Zeit

18. 12. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Ja, ich bin Knechtin Gottes“. Eine Prophetenberufung (Lukas 1, 26 – 38)

von Helga Kohler-Spiegel, Feldkirch

 

 

Mein eigener Zugang zu Maria war früher eher versperrt durch eigenartige Formen von Frömmigkeit, die aus ihr eine unterwürfige, farblose Frau gemacht haben. Bis ich die heutige Bibelstelle, diese Begegnung Marias mit dem Engel Gabriel wieder entdeckte, die „Verkündigung der Geburt Jesu“, wie sie im Lukas-Evangelium oft heißt. Lukas erzählt die Geburt des Täufers Johannes parallel zur Geburt Jesu, die Steigerungen heben Jesus vom ersten Moment der Empfängnis an hervor. Der Text nimmt ein Motiv aus der Antike auf, nämlich dass ein neuer Anfang ohne Zutun eines Mannes geschieht. Leben kommt ausschließlich von Gott, Marias Zustimmung ist aber dazu nötig.

 

In dem heutigen Evangeliumstext ist eine Prophetenberufung überliefert. Die Berufung von Propheten läuft in der ganzen Bibel nach einem vorgegeben Muster ab: Der Prophet wird angesprochen, von Gott selbst oder von einem Engel (Engel sind ja die sichtbare Seite Gottes, weil der Mensch Gott selbst gar nicht sehen kann). Der Mensch antwortet, Gott, bzw. der Engel verkündet den Auftrag. Der Mensch widerspricht diesem Auftrag und zweifelt, dass es nicht möglich sei, diesen Auftrag Gottes zu erfüllen. Darauf folgt ein Zeichen Gottes/des Engels zur Bestätigung, dass für Gott alles möglich sei. Und dann bestätigt der Prophet „Ja, ich bin Knecht Gottes.“ Genau so auch bei Maria, nur dass sie natürlich zur Bestätigung nicht „Knechtin Gottes“, sondern die weibliche Form „Magd Gottes“ sagt.

 

Maria wird als Prophetin vorgestellt, Marias Widerrede ist prägnant und klar: „Es geht nicht“, lässt sie den Engel wissen. Immer wieder finden wir den Einspruch der Erwählten, immer wieder folgt auf das Erschrecken die Gegenrede. Mose sagt: „Ich kann nicht reden“, Jeremia sagt: „Ich bin zu jung.“ Und vielleicht fügen sich dem auch unsere Einreden hinzu: Ich kann das nicht, das überfordert mich, das geht nicht. In seinem Gedicht „Gründe“ beschreibt Erich Fried die Gegenreden:

 

„Gründe

 

Weil das alles nicht hilft

Sie tun ja doch was sie wollen

 

Weil ich mir nicht nochmals

die Finger verbrennen will

 

Weil man nur lachen wird:

Auf dich haben sie gewartet

 

Und warum immer ich?

Keiner wird es mir danken

 

Weil da niemand mehr durchsieht

sondern höchstens noch mehr kaputtgeht

 

Weil jedes Schlechte

vielleicht auch sein Gutes hat

 

Weil es Sache des Standpunktes ist

und überhaupt wem soll man glauben?

 

Weil ich das lieber

Berufeneren überlasse

 

Weil man nie weiß

wie einem das schaden kann

 

(…)“ (Erich Fried: Gründe, in: ders.: Gründe. Gedichte. Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk. Berlin 1989, 29)

 

Bis heute gibt es viele - begründete - Gegenargumente, sich einzulassen, es gibt viele Argumente, sich den Herausforderungen im eigenen Leben nicht zu stellen, den eigenen Auftrag nicht auszuführen, das „Lebensthema“ nicht ernst zu nehmen. Maria ermöglicht mit ihrem „Ja“ einen Neubeginn: Das junge Mädchen ist zugleich die Prophetin, die dann im Magnifikat (LK 1,46-55) von der Veränderung dieser Welt zum Guten singt, die vom Eingreifen Gottes singt. Und dieses „Eingreifen Gottes“ geschieht ganz unspektakulär: indem Maria ihr Kind zur Welt bringt, ein neues Baby in diese gewalttätige und ungerechte Welt. Und plötzlich habe ich verstanden, wieso Maria für so viele Frauen zu einer so wichtigen Person wird, für Frauen an den vielen Orten dieser Welt, an denen Leben und Überleben schwer ist, an denen Gewalt und Krieg herrschen: Weil sich Maria nicht abfindet mit der Welt, wie sie ist, weil sie nicht resigniert, weil sie nicht aufgibt. Mit ihrem Baby, mit ihrem Erstgeborenen auf dem Arm hofft und kämpft sie für eine andere, eine bessere Welt.