Erfüllte Zeit

01. 01. 2012, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Josua 1,1 - 9
von Superintendent Paul Weiland (St. Pölten)

 

 

Neujahr. Der 1. Tag des Jahres 2012. Erst wenige Stunden alt. Viele werden noch schlafen nach den ausgiebigen Feiern, andere müssen auch heute zur Arbeit, manche feiern die ganze Nacht durch.

 

Für alle hat das neue Jahr begonnen. Das säkulare Jahr sozusagen, denn das kirchliche neue Jahr hat ja mit dem 1. Adventsonntag angefangen, ist also schon ein paar Wochen alt. Und die Jahreseinteilungen der anderen Religionen unterscheiden sich ebenfalls vom bürgerlichen Kalender.

 

Neues ist aufregend, macht neugierig, erzeugt Spannung, kann auch Angst und Unsicherheit hervorrufen. Das ist wohl der Grund, warum es so viele Rituale rund um den Übergang vom alten zum neuen Jahr gibt. Das neue Jahr wird von guten Wünschen und von guten Vorsätzen begleitet. Der vierblättrige Klee, Rauchfangkehrer und Schwein sollen für das notwendige Glück, für Erfolg und für die Gesundheit sorgen. Mit Bleigießen wird versucht, einen Zipfel der Zukunftsdecke zu öffnen, um jetzt schon mehr als nur ahnen zu können, was die kommenden Tage und Monate bringen werden.

 

Aufbruch in das Neue, das ist die Klammer, die den empfohlenen Predigttext mit dem heutigen Neujahrstag verbindet. Für beide ist die Situation eines Übergangs vom Alten zum Neuen wesentlich. Beim Predigttext in mehrfacher Hinsicht. Gleich zu Beginn ganz existentiell mit dem Tod des einen – Moses – und der Berufung des Neuen – Josua. Für mich ist das gleich eine wichtige Botschaft, die der Text enthält: Wenn etwas zu Ende geht, ja selbst wenn der Tod kommt, bedeutet das in diesem Leben nicht das Aus. Es geht weiter. Anders als bisher und mit anderen, aber unter der gleichen Verheißung, mit derselben Perspektive.

 

Da leuchtet Gottes Barmherzigkeit durch, die über das mögliche Scheitern von einzelnen die Gnade für das Ganze nicht aus den Augen verliert.

 

Der Josua Text ist die Ermutigung des Volkes Israel, den Aufbruch über den Jordan zu wagen. Heute wird der Ausdruck über den Jordan zu gehen oft verstanden als eine Metapher für Sterben. Aber damals war das die Perspektive, in das gelobte Land zu kommen. Dort, wo es endlich besser, freier, menschlicher wird. Dort, wo das Volk Gottes endlich nach seiner Bestimmung leben kann.

 

Wenngleich unser Jahreswechsel nicht mit der Landnahme des Volkes Israel vergleichbar ist, so hoffen wir auch von Jahr zu Jahr, dass es besser wird. Einfach wird das für uns nicht werden.

 

Einfach ist es für das Volk Israel auch nicht gewesen. 40 Jahre Wüstenwanderung lag hinter der Zeit, als das Volk endlich am Ufer des Jordan angekommen ist. Hunger, Entbehrungen, Hoffnungslosigkeit, Zweifel und Verzweiflung waren oft stärker als die Perspektive, in einem neuen Land ein neues Leben zu beginnen.

 

Ich bin mir sicher, dem Volk Israel ist es damals nicht besser gegangen als es uns heute geht, was die Zuversicht und die Sicherheit betrifft, mit der Gottes Zusagen angenommen werden können.

 

Im eben gehörten Bibeltext fällt mir dazu auf, dass am Beginn die Aktion steht. Nicht das Nachdenken darüber, nicht die Vorschriften und Gebote. Das alles kommt auch. Aber am Anfang steht das Betreten des Landes mit den Fußsohlen, das Hingehen statt des Auf-der-Stelle-Tretens. Das Austeilen des Landes statt des ängstlichen Wartens, was denn auf mich zukommen wird. Und hinter dieser Aktion steht die Zusage: Sei getrost und unverzagt.

 

Aber dann kommt auch die Bedingung dafür, die zugleich ein Meditieren und ein Nachdenken über diesen Weg ist. Die Bedingung ist, die Gebote Gottes einzuhalten, und zwar genau einzuhalten auf Punkt und Beistrich oder wie es im Text heißt, weder zur Rechten noch zur Linken abzuweichen. Dann – so wiederholt der Bibeltext– steht die Zusage: Sei nur getrost und ganz unverzagt.

 

Bei alledem geht es um die Gegenwart Gottes. Um die Gegenwart Gottes gerade auch in den Zeiten der Krise und des angstbesetzten Neuanfangs. Gottesbegegnungen können, so steht in der Bibel zu lesen, sehr unterschiedlich sein. Im Feuer, im Beben, im Donner, im leisen Sausen des Windes. In der Stille um Mitternacht. In den Geboten Gottes. Für gläubige Christen haben sich alle diese Gottesmanifestationen in der Geburt von Jesus von Nazareth in Bethlehem vollendet.

 

Das nehme ich mit in das noch junge Jahr mit allen seinen uns unbekannten und unvorhersehbaren Ereignissen, mit der Unsicherheit der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung: Wo immer sich Menschen auf die Gottesbegegnung einlassen, dort gilt: Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst. Dort gilt das Gebot: Sei getrost und unverzagt.