Erfüllte Zeit

08. 01. 2012, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Kommentar zu Markus 1, 7 - 11
von Wolfgang Treitler

 

 

Mit Johannes dem Täufer hatte das frühe Christentum seine Not. Er musste eine ungeheuer markante Gestalt gewesen sein, weil in allen vier Evangelien die Mühe erkennbar ist, ihn von Jesus abzugrenzen – und das geschieht dadurch, dass er klein gemacht wird, auf jeden Fall kleiner als Jesus. Offenbar gab es Konkurrenzen durch die Nähe zwischen beiden. Johannes und Jesus sind manchmal ja fast deckungsgleich: Beide hatten einen Jüngerkreis; beide demaskierten die politisch Mächtigen und wurden durch sie umgebracht, Johannes durch Herodes, Jesus durch Pilatus; beide sprachen in dramatischen Bildern vom Ende der Zeit; beiden kam prophetisches Profil zu.

Der Evangelist Markus setzt Johannes  ganz deutlich unter Jesus, vermerkt aber auch, dass viele Juden zu ihm in die Wüste gezogen waren, um ihn zu hören. Unter ihnen war auch Jesus. War er ein Jünger des Johannes? Oder stand er ihm anders irgendwie nahe?

Man weiß es nicht. Die Beziehung zwischen beiden blieb undeutlich und wurde undeutlich überliefert.

Doch eines blitzt neben der Faszination, die Johannes offenbar umgab, ganz klar hervor: Er weist alles von sich, was ihn zu einem Helden, zu einem Superstar machen könnte. Und die römisch-katholische Kirche hat das auch auf ihre Weise aufgenommen und ihm im Jahreslauf eine Stelle zugewiesen, die das direkte Gegenüber zu Jesus und seiner Größe ist: Die Geburt Jesu, von der man historisch gar nichts weiß, wird in die Zeit der Wintersonnenwende gesetzt, nach der die Tage länger werden; damit wird gesagt, dass Jesus mit jedem Tag wichtiger wird; der Geburt Johannes des Täufers, von der man gleichfalls historisch gar nichts weiß, gedenkt man in der Zeit der Sommersonnenwende, nach der die Tage kürzer werden; das besagt, dass Johannes mit jedem Tag, der vergeht, unwichtiger wird.

Das wird den Wüstenpropheten nicht stören, diesen Anti-Helden, der am Jordan steht. Was kümmert ihn, wer ihn wie einschätzt? Er schaut nicht aufs Ranking, er zittert nicht vor Evaluierungen, er flicht nicht Netzwerke, die ihm seinen Aufstieg garantieren, er fürchtet sich nicht vor Visitationen, die von oben kommen, und verbiegt seine Worte nicht, damit ihm nichts zustößt; er kleidet sich nicht fein, um zur guten Gesellschaft zu gehören, und vertritt keine Partei; er gehört nicht zur Elite und ist kein Berufsrevolutionär, er ist kein Typos und kein Anti-Typos, eigentlich auch kein Vorläufer und kein Nachläufer. Er ist ein prophetischer Geist seines Volkes Israel, gemeißelt wie aus dem Granit des Sinai.

Und so ist er, der nirgends ganz dazu passte, auch nichts geworden und blieb eine Randnotiz in den großen Erzählungen über Jesus aus Nazareth.

Doch gerade das fasziniert mich an ihm. Denn er stellt das Beste des Glaubens Israels, auch des christlichen Glaubens vor: Es geht nie um die Boten und Zeugen selbst, nie um deren Wichtigkeit, sondern darum, auf Gott zu hören, der gesprochen hat. Johannes weist in jedem seiner Worte weg von sich, er bindet niemanden an sich. Er weist mit jeder Geste auf den Gott Israels und die Überlieferung Israels, die auch den Evangelisten Markus instand setzte, von Jesus zu sagen, dass er einer ist, an dem Gott Gefallen gefunden hat. Und damit weist diese knappe Geschichte des heutigen Evangeliums auch nicht auf Jesus direkt und ausschließlich, sondern auf denselben Gott, der auch für Johannes das Ein und Alles war.

Es könnte also doch durchaus so sein: Statt der Abgrenzung, die zwischen Johannes und Jesus aufgerichtet wurde, wäre von Johannes und seiner Haltung zu lernen, wer Jesus war und wofür er stand und lebte; und besonders heute ist von Johannes zu lernen, welche Größe und Klarheit in der einsamen, ungebeugten Kraft liegt, sich nicht den öffentlichen Ideologien einfach zu unterwerfen, die verlangen, sich permanent bewerten zu lassen, Netzwerke zu schmieden, einer pressure group anzugehören oder ein markanter Typos zu sein, den man sich merken muss.

Die Größe eines Menschen wie Johannes liegt darin, dass man all diesen Dingen nicht erlaubt, wie ein Göttliches zu wirken, also absolut und unwidersprochen. Denn Gott ist nur einer und einzig. Das hat Johannes immer gewusst, davon hat er stets gesprochen, dafür hat er gelebt und sein Leben gegeben – genau wie Jesus. Deshalb ist Johannes ein ganz Großer.

In ihrer Ausrichtung auf den einen Gott waren er und Jesus einander zum Verwechseln ähnlich. Auf überraschende Weise wird damit von Johannes her auch Jesus deutlicher und besser verstehbar.