Erfüllte Zeit

11. 03. 2012, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Johannes 2, 13 – 25
von Markus Schlagnitweit

 

 

War Jesus gehorsam? – Als im vergangenen Sommer der „Aufruf zum Ungehorsam“ der österreichischen Pfarrer-Initiative die Wogen der innerkatholischen Reformdiskussion hochgehen ließ, schmetterten betuliche Hüter der Tradition den Appell der ungehorsamen Pfarrer mit dem Verweis ab, Gehorsam gehöre zu den Haupteigenschaften christlicher Jüngerschaft, sei doch Gehorsam eine Grundtugend Jesu selbst gewesen. Sie beriefen sich dabei vor allem auf eine bekannte Passage aus dem Philipper-Brief des hl. Paulus, in der es heißt: „Jesus war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“ Den Text des heutigen Sonntagsevangeliums haben die dienstfertigen Gehorsamsapostel offensichtlich verdrängt.

 

Auch wenn in diesem Text der Begriff des Gehorsams selbst nicht vorkommt, so schlägt er das Thema sehr wohl an: Jesus begegnet uns hier in drastischer, nahezu gewalttätiger Gegnerschaft zu religiös-kultischen Sitten und Gebräuchen seiner Zeit. Er hält die Geschäftemacherei im Umfeld der Wallfahrt zum Jerusalemer Paschafest für eine Pervertierung seiner Religion: „Macht das Haus meines Vaters – also den Tempel – nicht zu einer Markthalle!“ – Die Zeitgenossen Jesu scheinen an dem Marktbetrieb im Tempel keinen Anstoß genommen zu haben. Für sie scheint das einfach dazuzugehören – zum Tempel und zu den dort üblichen religiösen Verrichtungen. Und was im Bewusstsein dazugehört, wird irgendwann integraler Bestandteil davon. Wer dagegen aber aufbegehrt, handelt ungehörig; er verweigert den geltenden Sitten und Regeln den Gehorsam.

 

Die übrigen drei Evangelien setzen diese Szene vom Ungehorsam Jesu gegen die religiösen Sitten und Gebräuche im Jerusalemer Tempel erst relativ spät an: nach dem Einzug Jesu in Jerusalem, wie ihn die Kirche am Palmsonntag erinnert, also knapp vor seinem Tod. Beim vorhin gehörten Johannes-Evangelium verhält es sich ganz anders: Es stellt diese Szene ziemlich an den Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu. Und was am Anfang steht, trägt meistens so etwas wie programmatischen Charakter. Der Evangelist will sagen: Was Jesus da tut, ist Programm; das ist typisch für Jesus; es gehört zu seinem Kern und zu seinem Selbstverständnis.

 

War Jesus also ungehorsam? – Oh ja, das war er! Er war ungehorsam gegen das, was die geistlichen Anführer seiner Zeit zum scheinbar festen Bestandteil ihrer und seiner religiösen Tradition machten oder zumindest zuließen, dass es dazu wurde. Er begehrte dagegen auf und forderte klare Orientierung an den eigentlichen Wurzeln, am eigentlichen Kern biblischen Glaubens, und er forderte die Reinigung dieses Glaubens von allem, was diesem im Laufe der Zeit an zusätzlichem Brimborium und Ballast, an zusätzlichen Sitten und Regeln umgehängt und aufgeladen wurde. Der Ungehorsame forderte in diesem Sinn einen höheren Gehorsam: Das Hinhören auf Gott allein.

 

Nur in diesem Sinn war meines Erachtens Jesus also gehorsam und sogar „gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“. Ansonsten aber war er ein unduldsamer Querkopf in den Augen des religiösen Establishments, alles andere denn ein gehorsamer Untertan und Partei-Soldat. Denn das ist wohl ein unbestreitbares Faktum im Blick auf Jesu Leben: Was Jesus in einen unversöhnlichen Konflikt führte, der ihn schließlich auch das Leben kostete – das waren sicher nicht seine charismatischen Fähigkeiten als Umkehrprediger, seine heilenden Kräfte oder seine Zuwendung zu Armen und Ausgegrenzten, sondern das war letztlich sein ungehorsames Aufbegehren gegen die etablierten, aber keineswegs fundierten religiösen Sitten, Regeln und Gebräuche seiner Zeit, auch gegen die damals offizielle Interpretation der religiösen Gesetze durch die zuständigen Autoritäten.

 

Sein Ungehorsam war ein Gehorsam bis zum Tod: aber ein Gehorsam, der Gott allein gebührt – und niemandem sonst!