Erfüllte Zeit

25. 03. 2012, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Kommentar zu Johannes 12, 20 – 33
von Veronika Prüller-Jagenteufel

 

 

Das Wort vom Weizenkorn, das in der Erde sterben muss, um Leben zu bringen, wird zwar oft zitiert, aber insgesamt ist es ein schwerer Text, weil sehr dicht und doch eher sperrig. Ich versuche eine erste Annäherung, indem ich mir die Szenerie vorstelle, damals in Jerusalem, multikulturelle Stadt mit römischer Besatzungsmacht, knapp vorm größten religiösen Fest im Jahr, wahrscheinlich eine angespannte und zugleich bunte Stimmung:

 

Immer öfter wird nach Jesus gefragt – von Anhängern wie auch von Gegnern. Diesmal sind es Mitglieder einer griechischen Pilgergruppe, die auf den umstrittenen Lehrer und seine Anhängerschar neugierig geworden sind. Ich stelle mir vor, wie Jesus spürt, dass sich die Schlinge zuzieht. Der Konflikt mit den geistlichen und politischen Führern ist unausweichlich. Jesus will nicht davonlaufen. Das, was ihm bevorsteht, ist für ihn Teil seiner Aufgabe, seines Auftrags. Er geht seinen Weg weiter im Vertrauen darauf, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, dass Gott auch aus dem Tod Gutes wachsen lassen wird.

 

Das ist ein Grundduktus aller christlichen Erzählungen vom Leben, Streben und Auferstehen Jesu. Mich fasziniert an dieser Botschaft, dass Jesus kein in einem oberflächlichen Sinne politisches Ziel damit verfolgt hat. Er stellt einfach den Anspruch, Gottes Sohn zu sein, also den Anspruch, dass Gottsein und Menschsein zusammengehören. Wo das deutlich wird, wird für mich Gottes Herrlichkeit, sein Glanz, sein Strahlen, seine ganze Macht und Größe sichtbar – hier unter uns Menschen, weil Gott einer von uns geworden ist. Aus dieser Erfahrung kann eine neue Kultur des unbedingten Respekts vor anderen Menschen und der Bereitschaft zur Selbsthingabe für andere erwachsen.

 

Zwei Lebensbildern, die zeigen, wie das konkret aussehen kann, bin ich in letzter Zeit begegnet. Das eine stammt aus meinem Freundeskreis: ein Paar – er Arzt, sie Krankenschwester – sie sind aufs Land gegangen, um eine echte Landarztpraxis aufzumachen, mit Nacht- und Wochenend­bereitschaften und einer Türe, die auch außer Dienstplan nicht verschlossen ist; mit einem offenen Blick auf die Menschen und die Bedürfnisse und Nöte, die hinter ihren Krankheiten liegen; mit der Bereitschaft, z.B. auch die Verantwortung für eine Hospizpflege daheim mitzutragen; mit Integration ins Gemeindeleben von der Erstkommunion bis zum Kinderfasching. Dazu noch Familienleben und Achtsamkeit aufeinander als Paar. Einfach gute Leute, keine Engel, auch mal grantig und auch mal schwierig etc., aber ehrlich und anständig, und eben voller Menschenliebe. Dass sie beim Hochwasser, das ihr Haus gerade nicht erwischt hat, die Gummistiefel anziehen und den Nachbarn helfen, ist nur selbstverständlich. Für mich leben die beiden eine echt christliche Existenz und ich weiß, dass sie die Kraft dafür aus diesem Glauben schöpfen. Sollte ich je ernstlich krank werden, wären die zwei mein Vertrauensarzt.

 

Ein ganz anderes Bild habe ich in einer Geschichte aus Syrien gehört: Eine Zwanzigjährige gerät in den Bürgerkrieg, weil sie ein unverdrängbares Gespür für Gerechtigkeit hat. Sie hat nie vorgehabt, eine Heldin zu sein, aber sie kann und will nicht mehr zurück. Erst nachdem sie im Gefängnis gefoltert wurde, flieht sie nach Ägypten, aber ein Schlägertrupp der Regierung findet sie auch dort. Brutal zusammengeschlagen kann sie sich in einem Kloster verstecken. Sie ist keine Christin, aber auch hier gilt, dass aus der Hingabe im Einsatz für Gerechtigkeit die Freiheit wächst. Sie jedenfalls baut darauf.

 

Mich bewegen solche Lebensbilder und Schicksale. Ich sehe in ihnen den Glanz und die Herrlichkeit Gottes, der mir in Jesus Christus den Weg der Hingabe vorausgegangen ist. Um dieses menschgewordenen Gottes willen und um seiner Botschaft von der unbesiegbaren Macht der Liebe willen, bin ich mit Freude Christin und möchte nicht aufhören, nach diesem Jesus zu fragen und zu vertrauen, dass er mich und alle zu sich, in sein Leben in Gott, hineinziehen will.