Erfüllte Zeit

09. 04. 2012, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Kommentar zu Lukas 24, 13 – 35
von Veronika Prüller-Jagenteufel

 

 

Die Begegnung der beiden Jünger mit Jesus auf dem Weg nach Emmaus, ihr Gespräch, ihr Zusammensein beim Mahl und wie sie Jesus endlich erkennen und umkehren, um auch den anderen Jüngern und Jüngerinnen davon zu erzählen – diese Geschichte spiegelt eine Grundsituation von Kirche; sie ist typisch für den Weg vieler, die Jesus verstehen wollen und ihm nachfolgen und von ihm lernen wollen.

 

Ich sehe ein paar Grundelemente in dieser Geschichte: Sie gehen zu zweit – wer in Sachen des Glaubens weiterkommen will, geht nicht allein, sondern mit anderen; zumindest mit einem oder einer Zweiten, Vertrauten.

 

Sie sprechen miteinander über das, was sie bewegt – ich weiß aus eigener Erfahrung, dass ich dann etwas lerne im Leben, wenn ich mich in den ehrlichen Austausch mit anderen wage. Einem jungen Paar habe ich vor Kurzem den Rat mitgeben: Reden reden reden – bleibt miteinander im Gespräch: über euch, über das, was ihr spürt und erfahrt und euch umtreibt. Nur über das zu reden, was getan und erledigt werden muss, genügt nicht. Helft einander, indem ihr einander wissen lasst, wie es um euch steht! Die beiden Jesusjünger auf dem Weg nach Emmaus lassen einander und auch den scheinbar Fremden, der zu ihnen stößt, wissen, wie enttäuscht, traurig und ratlos sie sind – all diese Gefühle, die zum Versagen gehören. Erst wo so ehrlich miteinander geredet, gerungen, getrauert werden kann, ist dann auch ein neuer Aufbruch miteinander möglich. Ich habe oft erlebt, dass dieser Schritt zur Ehrlichkeit der entscheidende Durchbruch ist – in persönlichen Beziehungen wie in der Kirche bis heute. Es bedeutet, auch zur Enttäuschung, zum Versagen, zur Ratlosigkeit zu stehen.

 

Damit vertrauen sich die Jünger dem scheinbar fremden Weggefährten an. Er versucht ihnen anhand der Heiligen Schrift zu zeigen, wie sie ihre Erfahrungen aus der Perspektive Gottes auch anders sehen und anders deuten könnten. Er versucht ihnen begreiflich zu machen, dass Jesus genau so – durch seinen Weg ans Kreuz – seine Sendung (als Messias) erfüllt hat, seine Sendung als Messias, als von Gott erwählter und bevollmächtigter Mensch.

 

Ob sie das verstanden haben, wissen wir nicht. Die Geschichte erzählt nur, dass sie den Fremden zum Bleiben nötigten und ihn als Jesus dann erkannten, als er ihnen das Brot brach. Als sie so mit dem Fremden teilten, wie sie es bei Jesu gelernt hatten, erkannten sie ihn wieder, war er plötzlich erkennbar unter ihnen. Und aus lauter Begeisterung darüber gehen sie zurück, um es den anderen zu berichten.

 

Ich habe mich schon oft gefragt, was Jesus ihnen da wohl erklärt hat aus der Heiligen Schrift, also dem, was heute das erste Testament oder die hebräische Bibel genannt wird. Auf welche Stellen mag Jesus verwiesen haben? Was war der Kern, den er wollte, dass ihn die Jünger endlich verstehen? „Musste nicht der Messias all das erleiden?“, lautet die rhetorische Frage, die er ihnen wohl doch beantwortete. Bis heute ringen Christen und Christinnen mit dieser Frage. Für mich ist klar, dass die Provokation, die in dieser Frage steckt, zu dem gehört, was für mich meine Religion so anziehend macht. Wäre Christus als strahlender Held in den Kampf gezogen oder als hochbetagter Weisheitslehrer gestorben, würde dem christlichen Zeugnis in dieser Welt Wesentliches fehlen: Ich versuche dieses Geheimnis so zu buchstabieren: Was mit Gewalt geschaffen wurde, vergeht; was aus der Hingabe wächst, bringt Leben und zugleich geht es nicht um Rückzug, sondern um Leidenschaft. Christus - das lateinische Wort für Messias - streckt alle Waffen und bleibt aber mitten drin, er entzieht sich nicht.

 

Aus diesem Geheimnis des Messias zu leben, heißt für mich, beständig zu üben, meine Waffen zu strecken, auch mein Recht nicht zu erkämpfen, und zugleich mitten in die Auseinandersetzungen des Lebens hineinzugehen – mit nicht mehr als dem Vertrauen auf die unbesiegbare Liebe. Sie erkenne ich wieder, wo ich mich auf andere einlasse, mit ihnen gehe und rede und um die richtigen Fragen ringe. Wo ich ihr Geheimnis erkunde und wir mit anderen dabei zu Menschen werden, die wirklich miteinander teilen: die Enttäuschungen, aber auch das Brot und das Dach und vor allem die Freude darüber, den Auferstandenen erkannt zu haben – daran, dass das Herz brannte. Das heißt es für mich auch heute, als Jüngerin Jesu unterwegs zu sein.