Erfüllte Zeit

15. 04. 2012, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Kommentar zu Johannes 20, 19 – 31
von Gustav Schörghofer

 

 

Natürlich konnte die Geschichte Jesu nicht einfach mit dem Begräbnis seines Leichnams zu Ende sein. Da musste doch noch etwas kommen. Die gesprochenen Worte, der Zauber seiner Person mussten doch in den Herzen, in der Erinnerung seiner Jünger einen Nachhall hinterlassen. Aber eine Auferstehung hat niemand erwartet, darin sind sich die Berichte der Evangelien einig. Warum eine Auferstehung? Ist das nicht ein bisschen viel, ein bisschen zu viel? Nein, das wäre wirklich nicht nötig gewesen, könnte ich sagen. Das hätten auch die Jünger sagen können. Aber da war es nun schon einmal geschehen.

 

Vielleicht wäre alles viel einfacher, wenn nach Tod und Begräbnis Jesu dem Verstorbenen ein ehrendes Gedächtnis bewahrt worden wäre, und damit aus. Warum ist Jesus auferstanden? Julian Schutting schreibt dazu in einem kleinen Text zum heutigen Evangelium: „Einem, der sowohl glaubt als auch nicht glaubt, läge oder liegt nahe ein Unbehagen über die Serie seiner Zukehr bei den Seinen, als müsste er nach Tod und Auferstehung sein Leben unter den Menschen wiederholen, auch um ihnen seinen letzten Willen einzuprägen und vor allem, um sie an seine verwandelte Existenz glauben zu machen, auch ganz drastisch, indem einer, der das alles bezweifelt, die Hand in die Wunde zu legen hat, die ja wohl nicht mehr von Fleisch ist.“

 

Ein Unbehagen kommt auch mir, denn es scheint, der Auferstandene würde sich regelrecht hineindrängen ins Leben der Überlebenden. Warum macht er das? Überleben allein ist mir zu wenig. Ich will leben. Ein Leben hinter verschlossenen Türen, in einer gesicherten und überwachten Zone ist mir zu eng. Ich will ins Offene, ins Freie. Ein Leben geplagt von Ängsten ist mir zuwider. Ich will ins Helle oder ins Dunkel der großen Freude. Den Überlebenden, den Eingesperrten, den von Angst Gequälten kommt Jesus noch einmal entgegen. Gott kommt mir in der Menschwerdung entgegen, er wird Mensch für mich. Er geht mit mir meinen Weg durch ein Leben, dessen Sinn sich immer mehr verliert und schließlich erlischt im Tod. Und er kommt mir noch einmal entgegen, gewissermaßen von der Rückseite des Lebens, von jenseits des Todes. In diesem nicht enden wollenden Entgegenkommen zeigt sich die Liebe Gottes. Ich werde von einer Liebe getragen, die den Tod hinter sich hat. Wenn ich mich dieser Liebe anvertraue, habe ich selber den Tod hinter mir und die Liebe vor mir. Was heißt das, sich dieser Liebe anzuvertrauen?

 

Ich kann die Fenster meines geschützten Bereichs öffnen und hinausschauen. Ich kann meiner Neugier auf das Leben freien Lauf lassen. Ich kann mich über die Grenze des Abgesicherten hinauswagen, ein Risiko eingehen und muss nicht immer alles kontrollieren. Ich kann mich freuen über die kleinsten Dinge, über Unscheinbares und scheinbar Nebensächliches. Ich kann die Sorge um mich selber loslassen. Ich kann die anderen entdecken und die Welt. Ich kann selber lieben. Oder anders gesagt: Ich kann zu all dem, was um mich ist, zu den Dingen der Welt, zu Tieren und Menschen, zu all dem, das so hinfällig ist und doch so schön, zu all dem kann ich sagen: Ich will nicht ohne dich leben. Ich kann das sagen, über alle Unzulänglichkeit, alle Sinnlosigkeit des Lebens hinaus, weil Gott es ist, der zu mir sagt: Ich will nicht ohne dich leben. Darum ist Jesus auferstanden. Er will nicht ohne mich leben.