Erfüllte Zeit

17. 05. 2012, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Kommentar zu Markus 16, 15 – 20
von Reinhold Esterbauer

 

 

Der Text aus dem Markusevangelium fasziniert mich, weil er nicht nur über Jesus Christus und seine Himmelfahrt berichtet, sondern auch Wesentliches über den Menschen aussagt. Die Hauptaussage für mich ist: Der Mensch gelangt zu Gott und hält Gott in der Welt gegenwärtig.

 

Mit der Glaubwürdigkeit der christlichen Kirchen scheint es derzeit nicht zum Besten bestellt zu sein. Geht man vom Evangelium aus, das heute in den römisch-katholischen Kirchen gelesen wird,  so muss man feststellen, dass Glaubende oftmals nicht nur hinter gesellschaftlichen Standards zurückbleiben, sondern auch nicht erfüllen können, was Jesus Christus über sie voraussagt. In der eben gehörten Stelle aus dem Markusevangelium verheißt der auferstandene Christus, bevor er in den Himmel aufgenommen wird, dass diejenigen, die zum Glauben gekommen sind, Wunderbares vollbringen werden: Sie werden Kranke heilen, gegen Gift immun sein und neue Sprachen sprechen. Das scheinen annähernd paradiesische Zustände zu sein: die Krankheiten besiegt, die Gefahren gebannt und die Verständigungsprobleme ausgeräumt. Doch tatsächlich scheint nicht einmal die letzte Schwierigkeit aufgehoben, sondern vielmehr besonders bedrängend. Intern gibt es heute in Kirchen große Spannungen, und die Ökumene scheint stillzustehen.

 

Da passen biblische Texte wie jener über die Himmelfahrt Christi ins Bild. Sie sind nur sehr schwer verständlich. Denn im Zeitalter von Raketenstarts wirkt die Himmelfahrt einer Person entweder als Science Fiction oder als mythische Erzählung. Angesichts dessen wäre die von Jesus verheißene neue Sprache erst recht gefragt, die verständlich machen könnte, was man unter Himmelfahrt zu verstehen und was sie mit dem Heil des Menschen zu tun hat.

 

Die Suche nach einer solchen neuen Sprache könnte von der Aussage ausgehen, dass mit der Himmelfahrt Jesu der Mensch endgültig bei Gott angekommen ist. Denn Jesus Christus, in dem sich Gott offenbart und der nach christlicher Überzeugung Gott und Mensch zugleich ist, verliert im Tod und in der Auferstehung seine Menschennatur nicht. Er erscheint seinen Jüngern, isst mit ihnen und zeigt ihnen sogar seine Wunden. Das gilt auch für die Himmelfahrt: Gottes Sohn legt sein Menschsein nicht ab, sondern kehrt als Gott und Mensch zum Vater zurück. Damit ist der Mensch nicht nur zum Schicksal Gottes geworden, sondern er ist auch hineingeholt in Gott selbst. Höher kann man vom Menschen kaum denken. Denn durch die Himmelfahrt ist der Mensch in Gott.

 

Die Hochschätzung des Menschen, die dieses Fest ausdrücken soll, zeigt sich noch auf eine zweite Weise. Die Himmelfahrt markiert nämlich eine Grenze, was die Präsenz Jesu Christi in der Welt betrifft. Zunächst erscheint der Auferstandene den frühen Christinnen und Christen immer wieder. Doch dann begegnet er den Glaubenden auf diese Art nicht mehr und entzieht sich. Nicht von ungefähr setzt der Evangelientext deshalb unmittelbar vor die Himmelfahrt die Aufforderung Jesu an die Jünger, sie sollen in die Welt hinausgehen, sein Wort verkünden und die Taufe spenden. Denn die neue Präsenz Jesu in der Welt hängt nun wesentlich von den Menschen ab, die sich zu ihm bekennen und in seinem Namen auftreten. Nun kommt Jesus zu den Menschen nur durch Menschen, die sich zu ihm bekennen. Sie repräsentieren ihn in der Welt und halten damit Gott in ihr gegenwärtig.

 

An dieser Stelle wird neuerlich deutlich, wie hoch das Evangelium vom Menschen denkt. Die Gegenwart Gottes in der Welt ist wesentlich an glaubende Menschen gebunden. Christinnen und Christen treten demnach mit derjenigen Vollmacht auf, die Jesus ausgezeichnet hat: Das Markus-Evangelium verspricht, dass die Glaubenden Ähnliches vermögen wie Jesus selbst: Kranke heilen, Dämonen austreiben und eine neue Sprache finden für das, was Gott dem Menschen an „Heilsein“ verheißt.

 

Mit der Himmelfahrt Christi hat Gott seine Gegenwart in der Welt den Menschen anvertraut. Mir scheint, dass derzeit Gottes Präsenz besonders dadurch auf die Probe gestellt ist, dass Menschen, besonders die Getauften, sich schwer tun, die richtigen Worte zu finden, wenn sie über Gott reden und ihn dadurch gegenwärtig halten wollen. Gott heute öffentlich zur Sprache zu bringen, fällt sehr schwer und wird nur allzu leicht peinlich. Die Himmelfahrt Jesu Christi schärft denen, die an ihn glauben, jedoch ein, dass es dennoch notwendig ist, einen solchen Versuch immer wieder zu unternehmen. Doch – mit der Lyrikerin Nelly Sachs gesprochen:

 

„Wo nur finden die Worte
[…]
für deine entzündete Himmelfahrt
die Worte
die ein zum Schweigen gesteuertes Weltall
mitzieht in deine Frühlinge –“