Erfüllte Zeit

20. 05. 2012, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Kommentar zu Johannes 17, 6a. 11b – 19 von Pater Emmanuel Bauer

 

 

Der Name dient dazu, einen Menschen oder in abgeleiteter Weise auch Institutionen und Tiere in ihrer Einmaligkeit auszumachen und von anderen zu unterscheiden. Der Name kann aber auch die Bedeutsamkeit einer Person meinen. In diesem Sinn sind viele Menschen – oft aus Sorge, zu wenig wertgeschätzt zu sein – darum bemüht, sich durch hervorragende Leistungen einen Namen, d.h. quasi unsterblich zu machen. Im biblischen Sprachgebrauch fungiert der Name aber auch als Benennung des Wesens einer Person. Im Namen zeigt sich, was und wer jemand ist. Mit dem Aussprechen des Namens wird das Wesen der bezeichneten Person präsent. In diesem Sinn beginnen Christinnen und Christen viele ihrer Zusammenkünfte im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, getragen vom Glauben, dass der dreifaltige Gott gegenwärtig ist.

 

Im Abschiedsgebet, im 17. Kapitel des Johannesevangeliums, legt Jesus nun einerseits rückblickend Rechenschaft ab über sein Wirken und bittet andererseits vorausblickend auf die Zeit nach seiner Himmelfahrt für die Seinen, die in der Welt zurückbleiben. Als eigentliches Werk erkennt er die Aufgabe, den Namen Gottes in seiner Person den Menschen geoffenbart zu haben. In dieser Selbsteinschätzung begegnet den Lesenden und Hörenden das Bekenntnis der urchristlichen Gemeinde, dass dieser Jesus von Nazaret der von Gott gesandte Gesalbte, der Messias, übersetzt: der Christus ist, durch den für die Menschen erfahrbar wird, wer Gott ist und wie er ist. Seine Bitte für die Jüngerschaft, also für die spätere Kirche, umfasst zwei Stoßrichtungen, die in den beiden zentralen Formeln "Bewahre sie in deinem Namen!" und "Heilige sie in der Wahrheit!" zum Ausdruck kommen.

 

Mit dem Verfasser des Johannesevangeliums glaube ich, Gottes Wesen ist Heiligkeit und Liebe. Und als der schlechthin Heilige ist er der Welt enthoben, von allem Nichtgöttlichen wesentlich unterschieden. Die Christusgläubigen in Gottes Namen zu bewahren meint demnach, sie vor der Lebensart der Welt, die durch Lieblosigkeit und Selbstgenügsamkeit charakterisiert ist, zu bewahren und sie im Wesen Gottes zu beheimaten.

 

Christliche Jüngerschaft und Welt treten hier also antagonistisch auseinander. Doch damit will Jesus in dieser Textstelle die Jüngerinnen und Jünger nicht ermutigen, aus der Welt herauszutreten, die Welt zu verachten oder in eine Jenseitsabgehobenheit zu flüchten. Es geht vielmehr darum, dass sie sich durch die Wahrheit heiligen lassen. Der Terminus „Heiligung durch die Wahrheit“ bedeutet, sich vom Wort Gottes bestimmen zu lassen, im eigenen Denken, Tun und Lassen von Gottes Wesen, also von der Liebe durchdrungen zu sein. Ich übersetze das so: Sind die Christen Menschen, die Güte, Liebe und Respekt im Umgang mit den Menschen erlebbar machen, dann wird durch sie auch die Welt geheiligt, dann wird die Selbstbezogenheit aufgesprengt. So verstanden, kann die Wesensart Jesu die Menschen, die sich an ihm orientieren, heilen und verändern.

 

Wenn Jesus für die Seinen um Bewahrung im Namen Gottes und um Heiligung in der Wahrheit, die im Wort der Offenbarung aufleuchtet, bittet, dann verstehe ich das auch als Einladung, eine Gebetsform zu pflegen, die mir in meinem Leben sehr wichtig geworden ist, das Jesusgebet oder das Namen-Jesu-Gebet. Diese Gebetsweise, die vor allem in der russisch-orthodoxen Kirche eine lange Tradition hat, besteht darin, im Herzen beständig – zuerst bewusst und nach langer Übung ganz unbewusst mit jedem Herzschlag – den Namen Jesu anzurufen. Etwa mit folgenden Worten: "Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme Dich meiner/unser." Mit jedem Atemzug stellen die Betenden ihr Leben ganz in die Gegenwart Jesu und rufen die Liebe und das Erbarmen Gottes auf die Welt herab, damit er sie heiligt und vor dem Bösen bewahrt.