Erfüllte Zeit
27. 05. 2012, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
Kommentar zu Johannes 15, 26f.; 16 ,12 - 15 und 20,19ff.
von Andrea Taschl-Erber
Am
Pfingstsonntag heißt es wieder Bühne frei für den „Heiligen Geist“ -
der sonst eher mit einer Nebenrolle versehen scheint ... Aber wen
oder was kann ich mir unter dieser Größe vorstellen, die als
Sturmwind, Taube, Feuerzungen durch die Bibel „geistert“?
Wenn ich
mich auf die Reflexionen der theologischen Schule, die hinter dem
Johannesevangelium steht, einlasse, bietet sich mir eine
Perspektive, die jenseits der althergebrachten Bilder den Blick auf
Aspekte lenkt, wo ich heute leichter anknüpfen kann.
In diesem
Evangeliumsentwurf sagt Jesus seinen Jüngern und Jüngerinnen für die
Zeit nach seinem Tod einen Beistand, einen Tröster zu, der ihnen
hilft, in seinem Geiste an seiner Sache weiterzuarbeiten. Diese
göttliche Kraft wird sie zu tieferem Verstehen anleiten. Auch wenn
sie ihrem Lehrer nicht mehr in derselben Weise wie früher begegnen
werden, ist er ihnen weiterhin nahe. Darin spiegelt sich auch die
Zuversicht, dass es für die Zeit, wenn er nicht mehr auf die gleiche
Art und Weise wie vorher da ist, dennoch eine Zukunft für die
Gemeinschaft der ihm Nachfolgenden gibt. Jesus traut seinen
Schülerinnen und Schülern zu, dass sie sein Werk in seinem Sinne
fortsetzen können und überantwortet sie ihrer eigenen Kompetenz und
Selbstständigkeit. Sie brauchen sich nicht sklavisch im Wortlaut an
seine Aussprüche und Gebote zu halten, sondern werden ermächtigt,
diese in neuen Zeiten neu zu interpretieren.
Das im Zuge
der Abschiedsrede gemachte Versprechen, den Geist zu senden, wird in
der Erzählkomposition des Johannes-Evangeliums an dessen
ursprünglichem Schluss eingelöst, wenn Jesus nach der Begegnung mit
Maria von Magdala (am Ostermorgen) „am Abend dieses 1. Tages der
Woche“, wie es heißt also, zur sonntäglichen Versammlungszeit der
frühchristlichen Gemeinden, in die Mitte seiner Jüngerinnen und
Jünger tritt: Die Erfahrung, dass der Gekreuzigte lebt, verwandelt
ihre Angst in Freude. Damit sie ihrer Sendung gerecht werden, haucht
der Auferstandene sie an, damit sie Gottes Geist als göttlichen
Lebens-Atem in sich aufnehmen. Nach dem Johannes-Evangeliums handelt
es sich um das Geburtsdatum der in die Eigenständigkeit entlassenen
Jesusgemeinschaft - die vom Beistand Gottes getragen ist.
Dieselbe
göttliche Kraft, welche in der Genesis die Schöpfung in Bewegung
setzte, setzt hier Jesu Schüler und Schülerinnen in Bewegung, führt
sie aus ihrer ängstlichen Verschlossenheit heraus und gibt ihnen
vitale Lebenskraft und Energie, sodass sie sich aufmachen und ihren
Auftrag erfüllen. Gerade in der Phase tiefster Trauer, als die
Situation hoffnungslos schien, wird ihnen neuer Mut und Schwung,
neue Lebensfreude geschenkt.
Es ist
diese schöpferische Kraft, die immer wieder neue Horizonte zu
eröffnen vermag, die belebt, erneuert, inspiriert. In ihr teilt sich
Gott mit – als einer, der nicht in unendlicher Ferne, sondern
konkret da ist.
So erweist
sich die Gabe des Geistes als großes Geschenk für all die
Gemeinschaften, die in dieser Tradition stehen – wenn sie der
innovativen Kraft Gottes Raum geben.
Und auch
ich kann in all meinen Lebens-Aufgaben darauf vertrauen, dass ich
nicht alleine gelassen bin, dass mich die Gegenwart Gottes
unterstützt und mich ermächtigt, selbstständig mitzuarbeiten. Stets
von neuem holt mich die göttliche Kraft aus Ängsten, Verzweiflung
und Resignation und schenkt mir Energie und Kreativität, um selbst
schöpferisch zu wirken. Ich kann gelassen sein, wenn ich Gottes
Geist in mir atmen lasse – gerade dann, wenn mein Atem nicht mehr
reicht.
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