Erfüllte Zeit

28. 05. 2012, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Nicht ganz einfache Beziehungen…“ (Lukas 10, 21 – 24)

von Helga Kohler-Spiegel, Feldkirch

 

 

Es ist ein eigenartiger Abschnitt, der heute am Tag nach Pfingsten in den römisch-katholischen Kirchen gelesen wird. In dem Text im Lukasevangelium heißt es, Jesus hat in Galiläa seine Botschaft verkündigt: Gott wird im Hier und Jetzt das Gesicht der Welt verändern, Jesus zeigt diese Art zu leben und zu glauben, er heilt, wo Menschen leiden, er integriert, wo Menschen ausgeschlossen sind, er versöhnt, wo Menschen einander missachten…

 

Es blitzt die Frage auf, wer denn Jesus sei. Immer wieder wird diese Frage in den Evangelien zum Thema. Einen anderen Menschen zu erfassen, zu verstehen, wer der andere ist, auch zu ahnen oder zu wissen, wer ich selbst bin, ist eine Aufgabe, die den Menschen das ganze Leben begleitet. Es ist vermutlich zuerst verwirrend, wenn Lukas in seinen Worten beschreibt, wer Jesus ist. Es geht um Beziehung, das ist klar. Es geht um Beziehung zwischen „Vater“ und „Sohn“, es geht um eine sehr enge Beziehung, um eine in der Erfahrung der Menschen oft nicht ganz unbelastete Beziehung, hier männlich formuliert: zwischen Sohn und Papa. Selbstverständlich öffnen Menschen heute die Bilder, väterlich-mütterlich, Sohn und Tochter, die Bibel ist durchgängig offener in den Bildern als es eine patriarchal geprägte Tradition dann über viele Jahrhunderte hinweg war.

 

Die zentralen Bindungen im Leben eines Menschen, die Beziehung zwischen Sohn,  bzw. Tochter und Mutter, sowie die Beziehung zwischen Sohn oder Tochter und Vater als Bild für die Beziehung des Menschen zu Gott. Das ist – finde ich – ein gewagtes Bild, ein Bild, das Schönes und Enttäuschungen beinhaltet, das mit Verletzungen rechnet und diese einplant, das Gelingen und Misslingen, Veränderungen, Annäherungen und Distanzierungen zulässt. Diese so zentralen Beziehungen sind keine „einfachen“ Beziehungen – und genau diese sind in der Bibel genannt, um die Beziehung zwischen Gott und Mensch zu verstehen. Mich hat es sehr beschäftigt, selten wurde mir so deutlich, welche zentralen Beziehungserfahrungen mir zu erinnern zugemutet sind, wenn es um die Beziehung zu Gott geht. Und wie viel an Erfahrung zugedeckt wird, wenn zu schnell die theologischen Begriffe wie „Dreifaltigkeit“ oder „Trinität“ verwendet werden.

 

Nun: Wie Gott erfahren wird und wie Gott zu denken ist – diese Frage beschäftigt Menschen seit jeher. Jesu Weg zeigt nicht nur die innige Beziehung Jesu zum Abba-Gott, zum Papa-Gott - das hebräische Wort "Abba" lässt sich wohl am besten mit "Papa" übersetzen - sondern alle Menschen, die Jesu Weg mitgehen, können Gott so nah sein. Klingt vielleicht ungewöhnlich. Ich denke: Jesus zeigt einen Weg, wie Männer und Frauen leben können: den anderen heilen statt quälen, einander aufrichten statt verletzen, versöhnen, wo es möglich ist, den Menschen wichtiger zu nehmen als Gebote und Vorschiften… Jesus zeigt aber auch einen Weg, wie Frauen und Männer dem „Geheimnis des Lebens“ und dem „Geheimnis des Glaubens“ begegnen können: „Gott“ ist nicht abstrakt, sondern unter den Menschen, der Name JHWH ist Programm: „Ich bin da, ich werde da sein, als der ich da sein werde“, wie Mutter und /oder Vater, irgendwie anders und vielleicht auch ähnlich…

 

Im diesem Text wird diese Erfahrung im Jubel, im Hymnus formuliert, „vom Heiligen Geist erfüllt“, so sagt Lukas. Es gibt Erfahrungen, die nicht empirisch fassbar, die nicht in der Sprache der Logik und im linearen Denken zu verstehen sind. Es gibt Erfahrungen, die sprengen die Kategorien des Denkens, die Dimensionen von Raum und Zeit. Um über diese Erfahrungen zu reden, braucht es eine andere Sprache, es ist die Sprache „im Heiligen Geist“, also in Gottes eigener Sprache. Es ist der Jubel, ein Hymnus, ein Gebet. Sich dem Geheimnis des Lebens zu nähern, sich dem zu nähern, was das Innerste des Menschen und zugleich das Größte ist, sich heranzutasten an das, was viele Menschen „Gott“ nennen… - im Lukasevangelium wird ausdrücklich gesagt: wenn sich Menschen im Glauben dem Innersten und Wertvollsten nähern, dem „Geheimnis des Glaubens“, dann braucht es eine entsprechende Art des Denkens, dann braucht es auch eine Sprache, die dem gerecht wird.

 

Bis heute gibt es sie, die bekannten und nicht bekannten Menschen, die sichtbar machen, dass Jesu Art zu leben und seine Art zu glauben, zusammen gehören. Sich in der Beziehung und in der Liebe Gottes positiv gebunden zu wissen, macht mutig. Das wissen wir: Kinder, die bei ihren Bezugspersonen sicher gebunden sind, sind auch im Alltag offener, mutiger, interessierter… Menschen, die sich bei Gott gebunden wissen, können vermutlich eher leben, wie Jesus gelebt hat. Dazu sind alle eingeladen: beizutragen, dass sich das Gesicht der Welt auch künftig im Sinne Gottes verändert. Dann ist es möglich, wie im Bibeltext zu sagen: Selig seid ihr…