Erfüllte Zeit

07. 06. 2012, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Kommentar zu Markus 14, 12 – 16. 22 – 26
von Wolfgang Treitler

 

 

Fronleichnam – das heißt so viel wie heiliger Leib und wird im offiziellen liturgischen Kalender auch „Hochfest des Leibes und Blutes Christi“ genannt. Dieses Fest wird in Österreich am 2. Donnerstag nach Pfingsten begangen – in wörtlichem Sinn: Viele Gemeinden ziehen hinter dem Priester durch die Straßen; der Priester trägt die Monstranz, ein Kunstwerk, das das liturgische Brot umfasst. Man zieht dabei von Altar zu Altar, meist sind es vier. Je ländlicher, umso prächtiger ist dieses Fest ausgestaltet. Überall aber gibt es ein paar eilige Autofahrer, die sich auf ihren Wegen gestört fühlen. Immerhin ist ja Feiertag, man hat arbeitsfrei und muss das meist verlängerte Wochenende nutzen, wird aber aufgehalten durch eine Art von Demonstration. Fronleichnam ist eine Demonstration, das Wort Monstranz besagt das schon: Man zeigt her, was im Christentum und seiner Liturgie entscheidend ist.

Doch wie lange noch?

 

Es sind zurzeit kaum Angriffe auf diesen Feiertag zu vernehmen. Für das katholische Christentum ist er wichtig, weil sich in ihm alles das zusammenfasst, was von Weihnachten bis Pfingsten zeitlich ausgebreitet wurde: die Geschichte Jesu von Nazareth. Fronleichnam bietet die Summe dieser Geschichte und zentriert sie um das letzte Mahl Jesu, sein Abendmahl, die Geburtsstelle von Eucharistie und Jesusgemeinde, die Geburtsstunde von Kirche überhaupt.

 

Doch wie lange noch wird das so begangen werden können?

 

Im heutigen Evangelium hört man, wie Jesus offenbar ganz genau dieses Mahl vorbereitet hat. Er schickt Jünger, die auf einen Mann treffen werden, der Wasser trägt, das Wasser der rituellen Reinigung für das Pessachmahl, in dessen Rahmen Jesu letztes Mahl begangen worden sein dürfte. Dieser Wasserträger ist damit auf dem Weg zum Hausherrn, der alles für Jesu Pessachfeier hergerichtet hat.

 

Hier wird klar: Zentrum ist Pessach. Seiner Feier ist alles untergeordnet. Weder Jesus noch seine Jünger klagen über irgendeinen Mangel. Pessach, das Mahl des Exodus, des Auszugs aus der Knechtschaft in Ägypten, feiert das große Versprechen Gottes, der Israel befreit, errettet, erwählt und nach Hause bringt.

 

Und wenn Markus überliefert, dass Jesus sich mit den wichtigen Mahlgaben von Brot und Wein identifiziert, dann zeigt das klar: Jesus identifiziert sich mit dem Exodus Israels und feiert an diesem Tag nichts anderes als das große Versprechen des Gottes Israels. Da darf kein Mangel herrschen.

 

Diese Spur Jesu und Israels ist heute, am Fronleichnamstag, kaum zu sehen. Vielfacher Mangel herrscht vor. Der Klerus ist überaltert. Die Pfarrgemeinden sind ausgedünnt. Die Feier des Abendmahles, das der Grund der Kirche ist, nimmt ab, Pfarrgemeinden werden aufgelöst oder zusammengelegt; Personallöcher werden mühsam gestopft. Es ist wie bei einem alten Gewand: Man näht ein Loch zu, und morgen brechen drei neue auf. Irgendwann ist es schlicht kaputt. Unruhe herrscht auf vielen Seiten über die Zukunft der Eucharistie, derer heute besonders gedacht wird. Vorschläge und Widerstände gibt es zuhauf. Positionen unter den Verbliebenen wurden und werden bezogen, man diskutiert um Gehorsam, Zölibat und demografische Entwicklungen, um Eucharistiefeiern und Wortgottesdienste, bei denen andernorts massenhaft konsekrierte Brote ausgeteilt werden, damit man eben irgendetwas halbwegs Eucharistisches am Sonntag auch in Wortgottesdiensten hat. Man diskutiert, streitet, klagt und revoltiert, unterwirft sich oder pflegt feige Schweigsamkeit und Uneindeutigkeit – und hofft vielleicht, doch worauf? Auf Gott? Seit Jahrzehnten wird intensiv um geistliche Berufe gebetet – und sie versiegen, wenn man die traditionellen Formen ansieht. Ist Gott Schuld an der Misere, weil er nicht erfüllt, was Eucharistie am Leben erhält? Weil er keine Kleriker hergibt, damit Eucharistie weiter gefeiert werden kann?

 

Nein. Von ihm her ist eigentlich alles klar. Eucharistie ist das Zentrum der kirchlichen Gemeinschaften. Kirche entsteht durch Eucharistie, nicht die Eucharistie durch die Kirche. Das Gefälle ist ganz klar. Daher: Die kirchlichen Ämter und Formen sind so zu ordnen, dass Eucharistiefeier immer und überall möglich bleibt. Für die Eucharistiefeier braucht es eine Ordnung, doch sie orientiert sich eben grundsätzlich an der Eucharistie, nicht an bisherigen Entwicklungen des kirchlichen Amtes. In der Bergpredigt heißt es einmal: „Euch aber muss es zuerst um Gottes Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ Das könnte man meines Erachtens auch so übersetzen: Euch muss es zuerst um die Eucharistiefeier gehen, alles andere wird euch dazugegeben.

 

Fronleichnam heute erinnert daran, dass die katholische Kirche in Europa neue Wege öffnen und gehen muss, um das Geheimnis der Eucharistie nicht durch ihr Festhalten an traditionellen Formen auszulöschen. Darin liegt die schwerste Bedrohung christlichen Glaubens und Feiern heute; verglichen damit sind die atheistischen Kräfte von heute nicht annähernd so bedrohend wie die Reglosigkeit in der Frage der Voraussetzungen des Eucharistiefeierns. Denn was ist ein Christentum noch, wenn es Jesu Pessach verloren hat und nicht mehr feiern kann durch Unnachgiebigkeit oder Taubheit für den Hunger und Durst der Menschen heute nach Brot und Wein, das ihnen den Geschmack der Befreiung, der Errettung, den Duft der Erwählung und der Heimkehr verspricht?

 

Dieses Brot und mit ihm der Wein dürfen nicht wie in einem Trauerkondukt zu Grabe getragen werden; sie sollen wieder als Zentrum des katholischen Christentums hergezeigt werden, angesichts dessen alle anderen Regelungen bloße Folgen sind.