Erfüllte Zeit

17. 06. 2012, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Kommentar zu Markus 4, 26 – 34
von Generalvikar Nikolaus Krasa

 

 

Für die Primiz, die erste Messe, der ein neugeweihter katholischer Priester vorsteht, ist es üblich, einen Bibelspruch zu wählen, und anschließend bei einem speziellen Segen auf Erinnerungskärtchen zu verteilen. „Lebendig ist das Wort Gottes und voll Kraft.“ Diesen Vers aus dem Hebräerbrief habe ich mir vor 25 Jahren für meine Primiz ausgesucht. Und er begleitet mich bis heute. Daher freue ich mich, das Sonntagsevangelium der heutigen katholischen Messe auszulegen. Denn es erzählt davon, dass Gottes Wort, sein Reich, wächst. Gleichzeitig aber ist mir dieses Nachdenken gar nicht so leicht gefallen. Denn an seinem Ende geht es eigentlich auch darum, ob man es überhaupt verstehen, erklären kann.

 

Diese vermutlich leicht verwirrende Vorbemerkung hat mit den beiden Schlusssätzen des Evangeliums zu tun. Da heißt es zunächst, dass Jesus all seinen Zuhörern das Evangelium nur in Gleichnissen, in Bildworten erzählt. Den Jüngern aber, wird hinzugefügt, erklärt er alles. Die Jünger verstehen, die draußen können gar nicht verstehen. Diese Unterscheidung von innen und außen, von denen, die nur Gleichnisse bekommen und denen, die verstehen, ist im Markusevangelium gut vorbereitet.

 

Ein paar Seiten zurück im Evangelium: die beiden Gleichnisse des heutigen Evangeliums, das von der Saat und das vom Senfkorn, stehen hier am Ende einer längeren Rede, in der Jesus Gleichnisse erzählt. Alle haben mit Bildern des Wachstums zu tun. Und schon nach dem ersten Gleichnis, dem vom Sämann, ruft Jesus den Zuhörern zu: Wer Ohren hat zu hören, der höre. Also: Offensichtlich sind die Gleichnisse, die er erzählt, nicht so einfach zu verstehen, offensichtlich bedürfen sie einer besonderen Anstrengung des Zuhörens, des bewusst Hinhörens. Knapp danach wird Jesus noch deutlicher: Den Jüngern ist das Geheimnis des Reiches Gottes anvertraut, denen draußen (so wörtlich) nur Gleichnisse. Da ist sie also wieder, die Unterscheidung von Innen und Außen, von denen, die nur Gleichnisse verstehen und von denen ... Stop!

 

Genau hier fällt ein spannendes Wort: Was Jesus den Jüngern erklärt, ist auch nicht Klartext, die message, die allgemein gültige Zusammenfassung, die 10 wichtigsten Punkte des Gottesreiches. Ganz im Gegenteil: Er erzählt ihnen das Geheimnis, das μυστήριον, des Gottesreiches.

 

Was aber heißt das für den heutigen Bibeltext? Für die beiden Gleichnisse von der selbst wachsenden Saat und dem so groß aufwachsenden kleinen Senfkorn? Im ersten Gleichnis kommt das Mysterium, das Geheimnis, direkt ins Wort: der Sämann heißt es, weiß nicht wie, aber der Samen wächst, von selbst (automatisch könnte man wörtlich, vielleicht wenig poetisch übersetzen, aber das griechische Wort heißt so: υτοματή). Das ist das Geheimnis: Ohne Zutun des Bauern wächst hier etwas von selbst. Beim zweiten Gleichnis müsste man sagen. So groß wird etwas so Kleines. Geheimnis des Wachstums, aus Kleinem, Unscheinbarem wird von selbst Großes. Erfahrung Jesu: Er hat trotz Predigt und Wunder die Menschen nicht in seiner Hand (im Gegenteil, im Markusevangelium beginnt er sehr schnell Widerstand zu spüren), und trotzdem: Seine Botschaft wächst. Und dass sie in Menschenherzen ankommt, und wächst bleibt Geheimnis. Und auch wenn die Anfänge klein und unscheinbar sind (eben Senfkorn), das Wachstum ist unbegrenzt.

 

Erfahrung der jungen Kirche, im Rückblick auf den Weg Jesu: Dieser Jesus selbst ist Geheimnis: klein, verletzlich und doch voll Leben, das sich nicht umbringen lässt. Wenn Gottes Wort Menschen trifft, in ihrem Leben Wurzeln schlägt und etwas bewegt, manchmal Großes bewegt, ist das nicht machbar. Es bleibt unverfügbares Geheimnis des Wachstums.