Erfüllte Zeit

24. 06. 2012, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

Kommentar zu Lukas 1, 57 – 66. 80
von Karl-Heinz Steinmetz

 

 

„Was wird wohl aus diesem Kind werden?“, so fragten sich die Menschen, welche die überraschende Geburt des Johannes und seine Namensgebung miterlebt hatten. Er sollte später als „Johannes der Täufer“ bekannt werden. Vom Ende der Lebensgeschichte dieses Mannes her kann man diese Frage mit einem einfachen Satz beantworten: „Johannes ist ein Mann der Freiheit“. Dieser Freiheit des Johannes möchte ich im Folgenden ein wenig nachspüren...

 

Johannes wurde in eine krisenhafte Zeit hineingeboren, in die Regierungszeit des Königs Herodes Antipas, der von 4 v. Chr. bis 39 n. Chr. regierte. Die glorreichen Anfänge des Volkes Israel waren ferne Erinnerung – der Auszug aus der ägyptischen Sklaverei in eine neue, von Gott geschenkte Freiheit. In der Realität war von dieser göttlichen Freiheit Israels kaum mehr etwas zu spüren: Sowohl politisch wie kulturell hatten die Römer längst die Führung übernommen. Die Zeichen der Zeit standen auf Globalisierung. Für Israel brachte diese Dynamik wenig Erfreuliches: Konzentrierung des Wohlstands bei einer kleinen Elite, bei gleichzeitiger Verarmung der Mittel- und Unterschichten; periodische Wirtschaftskrisen in der Region, welche die sozialen Spannungen nur noch verschärften. An religionspolitischen Programmen verschiedener Parteien zur Überwindung der Krise mangelte es nicht: die Anpassungspolitik der Gruppe der Sadduzäer, der Totalausstieg der Essener, die in Qumran ein Kommune errichteten, das Sozialethikprogramm der Pharisäer oder der politische Radikalismus der Zeloten. Zugegeben: Die Zeit Johannes des Täufers mit ihren Konstellationen unterscheidet sich ganz massiv von der unsrigen Zeit. Antike ist nicht Postmoderne. Und dennoch gibt es meines Erachtens spannende Parallelen: eine in manchen Punkten ähnliche Krise sowie die bekannten Patentrezepte diverser Parteien zur Krisenbewältigung.

 

Vor diesem Hintergrund nun geschieht die (geheimnisvolle) Geburt des Johannes als Sohn des Priesters Zacharias aus der Priesterklasse Abija und der Elisabeth aus dem Geschlecht Aarons. Im Lukas-Evangelium wird sie geheimnisvoll und symbolträchtig geschildert. Bei diesem Sohn wäre Kontinuität zu erwarten gewesen: Der neugeborene Sohn hätte den hebräischen Namen des Vaters tragen sollen, nämlich „Zacharias“, auf gut Deutsch: „Gott stiftet Kontinuität“. Er wäre beruflich in die priesterlichen Fußstapfen des Vaters getreten. Doch kam es ganz anders: Gott griff in die Geschichte ein. Der Sohn des Zacharias und der Elisabeth erhielt auf göttliches Geheiß den programmatischen Namen „Johannes“, die griechische Version des hebräischen Namens „Jochanan“ – „Gott stiftet gnadenhaften Umschwung“. Worin lag nun der „gnadenhafte Umschwung“ des Johannes? Johannes predigte zunächst nicht Anpassung, Ausstieg, Ethik oder Radikalismus sondern „Umkehr“. Ich verstehe das so: Wenn sich der Mensch existentiell umwendet – von der „selbstgemachten Welt“ zu Gott – dann strahlt ihm das göttliche Licht in die Finsternis, in den Todesschatten, und leuchtet ihm Wege des Friedens aus. Die Predigt des Johannes kreist also um einen zentralen Punkt: Nur wenn der Mensch von der Welt frei ist, dann kann er auch für sie frei sein. Diese Freiheit aber stammt aus der radikalen Hinkehr zu Gott – das heißt aus einer Wende zum tragenden Grund meines Daseins, der sich gleichsam zu Wort meldet, wenn ich ihm Raum gebe.

 

Ich persönlich mag Johannes den Täufer sehr: Später tritt er auf als eine geheimnisvolle, ja wilde Gestalt, die an den Propheten Elija erinnert – Kamelhaar-Gewand, Predigt in der Wüste, wilder Honig und Distelböden als Ernährung. Johannes der Täufer – ein Heiliger, der gerade der Postmoderne viel zu sagen hätte: Eine Kontinuität des gutbürgerlichen Christentums, aber auch der Reformrezepte der 1970er bis 90er Jahre ist nicht zu erwarten. Die Zukunft des Christentums liegt in einer existentiellen Wende, in authentischer Spiritualität. Ansonsten bleibt die wahre Stärke des christlichen Glaubens nach wie vor die „Freiheit“: Freiheit von der Welt, als Freiheit für die Welt.