Gedanken für den Tag

04. 04. 2008, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr
im Programm Österreich 1

 

"Zum 50. Todestag von Theodor Kramer"

 

von Cornelius Hell, Literaturwissenschaftler und Feuilleton-Chef der Wochenzeitung "Die Furche"

 

 

Musik: Wiener Frauen Schrammeln: "Lumiere" von Astor Piazzolla

 

 

 

 

 

„Für die, die ohne Stimme sind“

 

Schön sind Blatt und Beer

und zu sagen wär

von der Kindheit viel und viel vom Wind;

doch ich bin nicht hier,

und was spricht aus mir,

steht für die, die ohne Stimme sind.

 

In diesem Gedicht sagt Theodor Kramer, was den inneren Kern seines Werkes und seine Faszination bis heute ausmacht: Er taucht ein in die Landschaft und in die Dorfwelt, aus der er kommt, aber er sieht sie vom Rand aus. Vom Rand, an dem er selbst als Kind des jüdischen Gemeindearztes in Niederhollabrunn gelebt hat. Seine Gedichte spielen nicht in den großen Dorfgasthöfen in Ortsmitte, sondern in der „Unteren Schenke“, wie ein Gedicht betitelt ist – dort, wo billiger Tabak stinkt, wo Kleinhäusler und Tagelöhner verkehren. Kramer schreibt Verse „Auf eine erfrorene Säuferin“, er rückt Bettgeher, eine Weinmagd und Vagabunden ins Zentrum eines Gedichtes.

 

Kramer gibt diesen Außenseitern eine Stimme, er macht sie nicht zum Objekt von Mitleid oder sozialer Analyse. Sie behalten ihre Würde und Autonomie. Und ihre Sinnlichkeit. In Kramers Gedichten wird gegessen, getrunken und geliebt, hat der Körper sein Recht.

 

Heute gibt es keine Mägde und Bettgeher mehr, aber nicht weniger Außenseiter ohne Geld und Arbeit; den Blick auf sie lehren Kramers Gedichte noch immer. Das gelingt ihnen vor allem, weil sie jeden falschen Ton, jede verlogene Harmonie vermeiden. Einmal heißt es bei Kramer:

 

Nicht fürs Süße, nur fürs Scharfe

und fürs Bittre bin ich da;

schlag, ihr Leute, nicht die Harfe,

spielt die Ziehharmonika

 

 

Buchtipps:

"Gesammelte Gedichte", hrsg. von Erwin Chvojka, 3 Bände, Paul Zsolnay Verlag

"Lass mich still bei dir liegen. Liebesgedichte", hrsg. von Erwin Chvojka, Paul Zsolnay Verlag
 

Erwin Chvojka und Konstantin Kaiser "Vielleicht hab ich es leicht, weil schwer gehabt. Theodor Kramer 1897 - 1958. Eine Lebenschronik", Theodor Kramer Gesellschaft

 

Theodor Kramer "Solange der Atem uns trägt. Sechs mal zwölf Gedicht", Theodor Kramer Gesellschaft

 


 

 

>>Paul Zsolnay Verlag