Katholischer Gottesdienst

 

Sonntag, 31. 05. 2009, 10.00 Uhr - 11.00 Uhr, 

ORF Regionalradios

 

 

Pfarre Weiz, Steiermark

 

           

(Pfingstsonntag)          

 

 

Predigt

von Paul Michael Zulehner

 

HABT KEINE ANGST. ES BRENNT. Das geht nicht zusammen. Denn weil es brennt, haben wir Angst. Zumindest auf den ersten Blick.

 

Wir sind weltweit in eine prekäre Lage geschlittert. Die globalen Finanzmärkte sind erschüttert, die Wirtschaftsleistung schrumpft, Arbeitsplätze sind bedroht. Im Hintergrund lauert die ökologische Krise. Der Befund ist ernüchternd. Die Jagd nach den Schuldigen hat schon begonnen: ein entfesselter, neoliberaler Kapitalismus, die Manager mit ihren unglaublichen Gehältern, die Reichen. Diese machen wir zu unseren Sündenböcken. Ihre Hinrichtung ist medial im Gang. Und schon hoffen wir, dass danach alles wieder weitergehen wird wie zuvor. Kurzum: Wir haben die Schuldigen und opfern diese. Uns selber aber halten wir für unschuldig.

 

Das Evangelium eröffnet uns einen anderen Blick. Es entlarvt unser Spiel. Es fordert uns auf, dieses zu beenden. Das wäre die rettende Einsicht: „Wir alle sind mit Schuld an der Krise.“

 

Der zeitgenössische Philosoph Rene Girard hilft uns beim Aufdecken. In jedem menschlichen Herzen, so lehrt er, steckt ein ausuferndes Begehren. Wir sehen es bei anderen und ahmen es nach. Es erfasst immer mehr Menschen, wird eine gemeinsame zerstörerische Kultur. Es ist so gefährlich, dass das 10. Gebot es aufgreift und uns aus Liebe zum Leben warnt, uns davon nicht versklaven zu lassen.

 

Dieses Begehren richtet sich auf Menschen und Güter. Es wird in unseren modernen Kulturen nicht gezähmt, sondern geschürt. Die Wirtschaft lebt davon, dass dieses Begehren nach Gütern möglichst hemmungslos ausgeübt wird. Längst sind wir Gefangene dieser Logik: Sogar in Zeiten der Krise fordern selbst Arbeiterführer eine Stärkung des Konsums, damit unser Kaufrausch nicht nachlässt. Ohne zu merken stecken wir in einem Teufelskreis. Lassen wir unserem Begehren nach Gütern nicht freien Lauf, stagniert die Wirtschaft, gefährden wir unsere Arbeitsplätze, geraten immer mehr Menschen und mit ihnen Familien und Kinder in das neue Prekariat.

 

Schuld an der Krise sind also nicht nur die anderen. Mitschuld sind wir selbst, die wahre Ursache der Krise steckt in uns allen. Ohne unser eigenes Begehren wären all jene machtlos, die es dann in der Konsumwirtschaft ausnützen. Wären wir alle von unserem Begehren frei oder hätte dieses eine andere Ausrichtung, wären wir arm wie der heilige Franz, hätte eine Wirtschaft wie unsere keine Chance. Vor unseren Augen würde jenes System in sich zusammenfallen, das wir durch unser dunkles Begehren stützen.

 

Ein Ausweg:

Ist einmal unsere Beteiligung an der Krise der Welt erkannt, sind wir auch eher fähig, andere Wege einzuschlagen. Die Alternative zum ichverängstigten Begehren heißt liebende Solidarität. Sie ist – wie die Liebe grundsätzlich – eine Frucht des Wirkens jenes Gottesgeistes, der das Antlitz der Erde erneuert und uns anstelle des vom Begehren versklavten alten Herzens ein neues liebesfähiges Herz schenkt.

 

Diese rettende aus Liebe geborene Solidarität hat zwei Gesichter. Das eine Gesicht: Einsatzbereite Solidarität befähigt uns zur Linderung der akuten Not. Diese Art der Solidarität hilft uns, die in der jetzigen Krise zu Opfern gewordenen Menschen zu stützen. In den kommenden Monaten wird es davon immer mehr geben: jene, die durch Kurzarbeit, durch den Verlust der Arbeitsplätze, aber auch durch die Entwertung ihrer Rentenversicherung oder ihres riskant eingesetzten Ersparten unter die Räder kommen, brauchen eine solche einsatzbereite Notsolidarität.

 

Eine solche Solidarität in Zeiten der andrängenden Not hat deutlich erkennbare Züge und fordert unsere besten Sinne.

 

Es ist eine Solidarität der offenen Augen. Wir schauen dann von der Not nicht mehr weg, sondern haben den Mut und die Courage, hinzuschauen. Wir kennen dann das Leid der Familien, die schon bisher nur mit zwei Einkommen auskommen konnten und die jetzt, mit nur einem Einkommen ins Schleudern geraten.

 

Wir begnügen uns aber nicht nur mit dem Hinschauen. Wenn wir schon helfen, möchten wir nachhaltig helfen. Wir üben unsere Solidarität mit wachem Verstand. Wir helfen so, dass wir morgen womöglich nicht noch einmal helfen müssen. Denn es demütigt Menschen, wenn sie immer wieder auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Unsere Notsolidarität sprießt aus einem mitfühlenden Herzen. Sie wird aus einer Bereitschaft zum Mitleiden gespeist, das den Schmerz und die Angst der Armen mitfühlen kann. Nicht zuletzt haben Menschen mit einer solchen einsatzbereiten Solidarität engagierte Hände.

 

Jeder von uns, dem es nicht ganz schlecht geht, solidarisiert sich mit einem anderen, dem es schlechter geht. Das kann in den Familien anfangen, greift aber auf Netzwerke über. Weiz hat eine Solidarregion errichtet, in der alle solidarisch Fühlenden über alle Lagergrenzen hinweg zusammenwirken.

 

Es ist Zeit für einen Frühling der Solidarität in unserem Land. Es wäre ein Aufbruch in erlebte und erlittene Menschlichkeit pfingstlicher Art. Eine Kultur der Liebe, die sich in der Solidarität konkretisiert, könnte im Land wachsen. Genau darin besteht das innere Ziel jenes Weges der Hoffnung, den die Weizer Pfingstvision soeben ausgerufen hat.

 

So wichtig es in der nächsten Zeit sein wird, den Opfern durch Solidarität zur Seite zu stehen: Wir brauchen zudem in hohem Maß eine Solidarität einer anderen Art. Sie hilft nicht Opfern, sondern tut alles Erdenkliche, dass es immer weniger davon gibt. Eine solche Solidarität ist nicht eine helfende, sondern eine politische. Opfer werden nicht versorgt, sondern verhindert.

 

Das ist ein längerfristiges Programm. Zu ordnen sind durch eine mutige Politik – die Finanzmärkte. Es braucht eine Bindung des erwirtschafteten Reichtums an die Bedürfnisse aller Menschen. Es kann nicht sein, dass die Sozialstaaten in Krise kommen, weil sich immer mehr Reichtum – international vagabundierend – seiner nationalen Verpflichtung entzieht.

 

Solch eine am Menschen orientierte Politik wird es umso eher geben, wenn sich auch Christinnen und Christen in die Politik einmischen. Die Kirchen im Land werden es gewiss als ihre vordringliche Aufgabe ansehen, Menschen in das Geheimnis Gottes einzuführen. Wer aber von Gott erfasst ist, den treibt es mit Gott in dessen Welt hinein, und dies in hochkompetenter Weise. Gerade gläubige Menschen werden daher morgen wieder mehr als derzeit in die Politik gehen, in die Wirtschaft, in die Gewerkschaften, in die Medien, in die Bildung. Dazu werden sie jene Fächer studieren, die dazu befähigen: Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Finanzwissenschaft usw. Es kann und darf nicht sein, dass aus den Kirchen keine Personen mehr hervorgehen, welche aus dem Geist des Evangeliums das Land, Europa, die Weltgemeinschaft gestalten. Die Theologie kennt dafür eine einfache Formel: Wer mystisch ist, wird unweigerlich auch politisch. Wer in Gott eintaucht, taucht mit Gott neben den Armen auf.

 

HABT KEINE ANGST. ES BRENNT. Dieser auf den ersten Blick widersprüchliche Satz bekommt auf den zweiten Blick einen völlig neuen Hoffnungssinn. Wenn nämlich unser Herz nicht mehr vom selbstverängstigten Begehren versklavt, sondern von liebender Solidarität entflammt wird, dann haben wir selbst inmitten der beklemmenden Weltkrise keinen Grund zu Angst. Wir haben dann den Weg der Hoffnung betreten.

 

 

Musik:

Orgelpräludium zum Eröffnungslied

Robert Feiner/Andrea Sailer: „Keine Angst, es brennt“

Kyrie aus dem Gesangbuch „Du wirst ein Segen sein“, Nr. 136

Veronika Feiner: „Ehre sei Gott in der Höhe“

W. Schweighofer/H. Schweighofer, F. Berger: „Magis“

irisches Halleluja mit Vers „Komm          Heiliger Geist“ von R. Feiner

Robert Feiner/Anna Kalcher: „Und Wein sei mein Blut“

V. Wickendick/R. Schönfelder „Heilig bist du, Herr der Schöpfung“

Spiritual: „Let us break bread together"

W. Schweighofer/B. Leitner: “Wie am Weinstock die Rebe” und Robert Feiner/Andrea Sailer: „Keine Angst, es brennt“

M. + W. Reischl „Ihr sollt ein Segen sein"

 

 

Ausführende:

Vorsteher des Gottesdienstes:

Dechant Franz Lebenbauer

Predigt: Prof. Paul Michael Zulehner

Musik: Robert Feiner und Freunde

Sandor Kadar, Orgel