Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Äbtissin Schwester Mirjam Dinkelbach (Abtei Marienkron in Mönchhof, Bgld.)

 

 

Sonntag, 13. November:

Frühaufsteher

In der Regel des heiligen Benedikt von Nursia, nach der wir Zisterzienser leben, ist ein ganzes Kapitel zu lesen über das Aufstehen am Morgen. Dort heißt es: Wenn in der Früh das Zeichen ertönt, soll man ohne Zögern aufstehen. Und man stand damals sehr früh auf. Immer wieder frage ich mich, wie das wohl war, damals im sechsten Jahrhundert. Zu einer Zeit, als es noch keine Apparate zum Wecken gab. Wenn es ein Zeichen zum Aufstehen gegeben hat, muss es doch auch jemanden gegeben haben, der den anderen dieses Zeichen gab. Aber wer hat den geweckt? Musste er die ganze Nacht wach bleiben? Oder gab es immer schon Früh- und Sehr-Frühaufsteher, die von selber munter wurden?

Auf jeden Fall kam mir der Gedanke, was man alles denen verdankt, die vor den anderen auf sind. Die vielen ungesehenen Dienste, bevor noch der Hahn kräht. Da gibt es die einen, die die anderen wecken und ihnen das Frühstück bereiten. Den Zug oder den Bus fahren, der zur Arbeit bringt. Die Zeitungen drucken, die Radiosendungen sprechen, die Brötchen backen und sogar ins Haus bringen. Bis die einen in den Genuss dieser Wohltaten kommen, haben andere ihr Tagewerk schon längst begonnen oder vielleicht sogar schon vollbracht. Mögen die Gedanken dieser frühen Morgenstunde dankbar all denen gelten, die immer schon vorher wach und auf den Beinen sind, anderen zum Wohl.

 

 

Montag, 14. November:

Radiowecker

Mit dem Wachwerden ist es so eine Sache. Manchen ist es in die Wiege gelegt, Zeit ihres Lebens froh und leicht aus dem Bett zu kommen. Andere haben jemanden, der sie zur rechten Zeit sanft oder auch nachdrücklich mahnt. Im Sommer wird man durch den Gesang der Vögel und die Sonnenstrahlen geweckt. Aber die Winterzeit bedeutet für alle Langschläfer eine besondere Herausforderung: wenn die Nächte länger sind; wenn nicht nur das Betttuch, sondern auch die Dunkelheit einen wohlig umhüllt. Was machen da all die Armen, die keine Frühaufsteher sind oder niemanden haben, der sie weckt?

Not macht erfinderisch, und ich kenne jemanden, der sich mit Hilfe der Technik wunderbar organisiert hat. Es ist gar nicht schwer. Das erste, was man dazu braucht, ist ein Radiowecker. Dann bastelt man an dem Radiowecker herum. Der soll nämlich morgens zur gewünschten Zeit eine schöne Melodie spielen. Aber nicht nur das: man richtet es nämlich so ein, dass zugleich mit der Musik auch das Licht angeht für den Weg zum Badezimmer. Und außerdem, das ist das Besondere: gleichzeitig setzt sich auch die Kaffeemaschine in Gang. So kann man also aufstehen mit Musik, macht sich dann schön für den Tag, lächelt sich im Spiegel freundlich zu und folgt anschließend frohen Herzens dem Kaffeeduft, der schon verlockend und verheißungsvoll den Raum erfüllt und den Schwung für den neuen Tag schenkt.

 

 

Dienstag, 15. November:

Uhrenmännchen im Alten Haus

Ich erinnere mich gut an das schöne alte Kinderbuch „Das alte Haus“ von Wilhelm Mathiessen. Im alten Haus wohnen die Kinder Peter und Gretel bei ihrer Großmutter. Auch der alte Hund, die uralte Katze und der ururalte Hahn wohnen dort. Wie es in Kinderbüchern ist, hausen im alten Haus noch jede Menge kleine Wesen, von denen die Erwachsenen wissen, dass es sie in Wirklichkeit nicht gibt. Aber es gibt sie eben doch. Man beschreibt mit ihnen all das, was im Leben geheimnisvoll und wunderbar ist. So gibt es im alten Haus z.B. das Kellermännchen. Sein Beruf ist die Mäuse zu fangen und die Kartoffeln zu sortieren. Aber es gibt auch das Uhrenmännchen. Es wohnt in der alten Standuhr. Es hat einen langen und strengen Tag und eine große Verantwortung; und es nimmt seinen Dienst sehr genau. Stunde um Stunde schlägt das Uhrenmännchen mit einem kleinen goldenen Hämmerchen die Zeit. Der wunderbare volle Klang durchtönt das alte Haus und alle wissen, dass es nun Zeit ist zum Aufstehen, Zeit für das Frühstück, für diese oder jene Tätigkeit. Man weiß, in alten Zeiten liefen die Uhren anders. Im alten Haus ist diese Ruhe im Herzen bewahrt bis auf den heutigen Tag. Dort läuft die Zeit nicht davon, damals nicht und heute nicht. Dort kommt sie einem von Stunde zu Stunde zu mit jenem vollen Klang, der ein Geschenk ist.

 

 

Mittwoch, 16. November:

Blumenuhr

In meiner Heimatstadt gibt es eine Sehenswürdigkeit, die fast auf jeder Ansichtskarte abgebildet ist. Es ist eine Blumenuhr aus richtigen Blumen. Sie nimmt die Hälfte einer ganzen Wiese ein und ist den ganzen Sommer über in Betrieb. Das Zifferblatt besteht aus einem riesigen runden und bunten Blumenbeet mit den verschiedensten Blumen der Saison. Die Zahlen sind aus kleineren runden und lesbaren Blumen-Rabatten gebildet. Die großen hölzernen Uhr-Zeiger streichen in sichtbarer Langsamkeit von Stunde zu Stunde. Hierher kommen die Spaziergänger nicht, um zu sehen, wie spät es ist. Zu dieser Blumenuhr geht man, um sie zu betrachten. Um zu sehen, zu welcher Jahreszeit welche Blumen blühen, oder um welche Tageszeit die Blütenkelche sich öffnen oder schließen. Um zu sehen, wie langsam die Zeit vergeht, wenn man den Zeigern zuschaut. Und wie schnell, wenn man schon wieder gehen müsste. Die Blumenuhr ist nicht die Uhr, die einen in der Früh aus dem Bett holt, zumindest nicht als Wecker; dafür aber vielleicht als Ausflugs-Ziel, zu dem man sich auf den Weg machen möchte. Und vielleicht ist eben das in der Früh eine Aufsteh-Hilfe, sich vorzustellen, was einen am Tag schönes erwartet; sich ganz auf das einzustellen, auch wenn es eine unscheinbare Kleinigkeit ist, nur ein Bild, eine Erinnerung, die das Herz erfreut.

 

 

Donnerstag, 17. November:

Momo

In dem Buch Momo von Michael Ende gibt es ein Kapitel über den Ort, wo die Zeit herkommt. Nicht die Uhrzeit, zu der man in der Früh geweckt wird. Nein. In dieser Geschichte wird die Zeit beschrieben, die uns geschenkt ist. Die Lebenszeit; das, worin Zeit und Ewigkeit auf geheimnisvolle Weise verbunden sind. An dem Ort, wo die Zeit herkommt, so wird es beschrieben, schwingt ein großes Pendel langsam und ruhig über einem stillen tiefen Teich. Im Hin- und Herschwingen des Pendels geht eine wunderbare Blüte nach der anderen auf - und verwelkt dann wieder. Immer neu taucht eine Blume aus der Tiefe des Wassers auf, um auch wieder zu vergehen. Die nächste Blume ist immer noch schöner als die vorherige, so meint man. Ein Moment, gelebt im Paradiese, und noch einer und wieder einer. Staunen, Stille, Hingerissensein von diesem Anblick. Dass die Zeit so groß und so schön ist, sagt Momo. Es ist nicht die Zeit, sagt der Meister der Uhren, es ist deine Zeit. Deine Zeit ist in der Ewigkeit zu Hause und geborgen. In der Ewigkeit ist für alles Zeit. Auch für Dich. Jeden Morgen neu. So stehst du auf und lebst auf wie die Blume im Rhythmus des Pendels, schwingst ein ins Aufwachen und Schlafengehen und wieder aufwachen, ins Ruhn und Tun in Zeit und Ewigkeit.

 

 

Freitag, 18. November:

Morgenmuffel

Es gibt so viele Kurse und Anregungen für alles Mögliche; aber ich habe noch keine Kurse für Morgenmuffel gefunden. Als Morgenmuffel bleibt man Zeit seines Lebens auf Suche nach wirkungsvollen Anleitungen, die das Aufstehen zum Vergnügen machen. Aber die gängigen Ratschläge sind immer nur für dann, wenn man schon wach ist. Man soll sich im Spiegel anlächeln, oder es wird eine leichte Gymnastik empfohlen ... aber dafür muss man schon aufgestanden sein. Wie viele Leute suchen dringend Tipps für vorher! Eine Hilfe, dass man nicht den Wecker abstellt und sich nicht noch einmal umdreht!

Die bislang wirkungsvollste Aufstehhilfe hat ein befreundetes Ehepaar gefunden, die beide Morgenmuffel sind. Der Trick geht so: Sie haben sich einen riesengroßen Wecker gekauft, so einen altmodischen mit zwei Schellen rechts und links. Wenn dieser Wecker nun anfängt zu scheppern, fängt er gleichzeitig auch an, sich zu bewegen. Durch die Erschütterung wandert er nämlich ganz langsam seitlich. Dieser Wecker wird abends aufgezogen und zum Wecken eingestellt. Dann kommt er oben auf die Kante des Kleiderschranks. Wenn er dann morgens anfängt zu scheppern, muss bald jemand aufspringen, um ihn aufzufangen, sonst fällt er auf den Boden und geht kaputt. Und so geht das nun jeden Morgen. Abwechselnd. Eine Woche steht er auf den Wecker zu fangen, die andere Woche sie. Und wenn man dann schon mal auf den Beinen ist, sieht die Welt schon ganz anders aus.

 

 

Samstag, 19. November:

Pu der Bär

Um 5 Uhr morgens weiß man noch nicht, was der Tag bringen wird. Man hat wohl einen Kalender oder weiß, dass montags der Einkauf ist und freitags der Hausputz, aber so wirklich weiß man es nie. Darum hat der Alltag immer etwas Spannendes und selbst die gewohnte Routine kann eine Überraschung enthalten. Ich weiß nicht, ob sich jemand an das Buch Pu der Bär erinnert, die Geschichten aus den Kindertagen. In diesen Geschichten gehören Routine und Überraschung einfach zusammen. Da gehen Pu-der-Bär und sein Freund, das kleine Ferkel, einmal miteinander spazieren. Und das Ferkel fragt den Bären: Wenn du morgens aufwachst, was sagst du dann als erstes zu dir? Pu sagt, er fragt immer als erstes, was es zum Frühstück gibt. Ferkel sagt, es fragt immer als erstes, was es denn heute Schönes und Aufregendes zu erleben gibt. Der Bär meint gedankenschwer: Frühstücken und etwas Schönes und Aufregendes erleben, das ist dasselbe. So kann der Tag schon schön und aufregend beginnen, wenn der Kaffee mit vertrauten Geräuschen durch die Maschine blubbert und der verlockende Duft die Nasenflügel erreicht; wenn man gekonnt das Frühstücksei köpfen und genüsslich in die knusprige Semmel beißen darf; wenn man dankbar spürt, wie die Lebensgeister so langsam erwachen. Tag für Tag dasselbe, aber immer wieder neu ein Erlebnis, auf das man sich freut.