Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

von Superintendent Paul Weiland

 

Sonntag, 25. Dezember 2005

Jetzt sind sie zu, die Geschäfte, wenigstens bis übermorgen, die Weihnachtsruhe kann wirklich einkehren. Ich wünsche Ihnen Stunden der Besinnung, der Erholung und des Kraftschöpfens, vielleicht auch des Nachdenkens über das Fest Weihnachten und seine eigentliche Bedeutung.

 

Viel war in den letzten Wochen die Rede davon, dass zu Weihnachten nur noch Kommerz und Konsum zählen. Ich möchte in diese Kerbe nicht hinein schlagen und es einmal von der anderen Seite her betrachten. Wie würden wir uns aufregen, wenn die Wirtschaft, und was alles so zum Leben gehört, von Weihnachten keine oder nur wenig Notiz nähme?

 

Weihnachten ist das Schenkefest. Gott hat damit angefangen. Er schenkt uns seinen Sohn, der das Licht der Welt wird, Leben bringt allen, die an ihn glauben, Versöhnung und Frieden. Ein gutes und wertvolles Geschenk.

 

Und Beschenkte schenken weiter.  Um ihre Freude auszudrücken und um anderen eine Freude zu machen. Und wenn sich in den Augen eines Kindes unbändige Freude widerspiegelt, oder sich die Mundwinkel eines Erwachsenen zu einem Lächeln formen angesichts der erhaltenen oder gegebenen Geschenke, dann ist im Innersten wenigstens ein Aspekt von Weihnachten erhalten: Wir sind beschenkt.

 

 

Montag, 26. Dezember 2005

Am 2. Weihnachtsfeiertag, da gibt es immer noch die Festtagsstimmung. Aber die stille Nacht, die heilige Nacht, die ist vorüber.

 

Noch ist nicht der Alltag da, aber auch nicht mehr die ganz besondere Stimmung, die Weihnachten eben kennzeichnet, die manche ganz sentimental, andere spendabel und wieder andere ganz friedlich und häuslich werden lässt und manche das alles zusammen. Weihnachten, das Fest der Familie, das Fest der Liebe, das Fest des Friedens.

 

Stimmt ja auch alles irgendwie, aber es ist nicht das Ganze, ja es ist nicht einmal das Eigentliche. Das Johannesevangelium, das sich deutlich von allen anderen Weihnachtsevangelien unterscheidet, beginnt so: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“

 

Es schildert nicht die Ereignisse um die Geburt von Jesus Christus, sondern stellt das Geschehen in den Gesamtzusammenhang der Welt und des Denkens und auch der Geschichte unseres Lebens. Nicht Stall und Krippe spielen hier die Hauptrolle, sondern das Leben an sich, von seinem Werden und Vergehen, von seinem Anfang und seinem Ende.

 

Die Orientierung für dieses Leben hier und für das Leben nach unserer Zeit ist der in Jesus Christus Mensch gewordene Gott, der Logos, das Wort, das Licht, das Fleisch geworden ist und unter uns wohnte.

 

 

Dienstag, 27. Dezember 2005

Vom Licht ist zu Weihnachten viel die Rede. Jesus sagt später als Erwachsener von sich: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“

 

Der Text aus dem Johannesevangelium ist gleichsam eine Vorschau auf die Bedeutung von Jesus Christus und eine Zusammenfassung der Weihnachtsbotschaft. Die Botschaft vom Licht und von der Liebe, die Mensch geworden ist, damit die Dunkelheit, unsere Dunkelheit, erhellt wird.

 

Da geht es nicht um Erleuchtung. Da geht es nicht nur darum, gerüstet zu sein für ein Stück des Weges. Nein, hier geht es um den Anspruch, Licht des Lebens zu sein. Das heißt, Zukunft zu haben, eins zu sein mit sich selbst, mit seinen Nachbarn und mit seiner Geschichte.

 

Der Schlüssel dafür ist dieser Jesus Christus, zu wissen, woher Jesus gekommen ist und wohin er geht. Und das heißt dann auch, zu wissen, woher ich gekommen bin und wohin ich gehen werde. Das ist nicht weniger als den Sinn in seinem Leben zu erkennen und damit nicht ein getriebener, sondern ein getragener Mensch zu sein, nicht ein ausgefüllter, sondern ein erfüllter Mensch zu sein.

 

Weihnachten ist deshalb nicht weniger als die Möglichkeit, die Beziehung zu meinem Schöpfer, zu Gott, wieder in das richtige Verhältnis zu bringen.

 

Wem das gelingt, der wird das Wort von Jesus Christus als Realität und Orientierung für sein Leben erfahren

 

 

Mittwoch, 28. Dezember 2005

Mindestens 20 Prozent der Österreicher bezeichnen sich selbst als unglücklich. Und dieser Gefühlszustand wird zu Weihnachten noch verstärkt. Das ist das zentrale Ergebnis einer vom Zukunftsforum Österreich präsentierten Studie zum Wohlbefinden der Österreicher.

Die Telefonseelsorgestellen der evangelischen und der katholischen Kirche machen eine ganz ähnliche Erfahrung. Die ohnehin schon starke Beanspruchung nimmt an großen Feiertagen wie Weihnachten deutlich spürbar zu.

Ganz offensichtlich wird das Fehlen von Geborgenheit und Liebe, die unbeantwortete Frage nach dem Woher und dem Wohin unseres Lebens gerade dann, wenn alle davon reden und gleichsam die ganze Welt davon voll ist, besonders schmerzlich erfahren.

Was dagegen zu tun ist? Ich blicke auf Weihnachten. Gott ist Mensch geworden, nicht symbolisch, sondern geboren von einer Frau, mitten hinein in die Welt, in eine armselige noch dazu, um voll dabei zu sein. Um mit zu leben, mit zu erfahren, mit zu leiden.

Das eigentliche Geheimnis von Weihnachten ist, dass Gott sich den Menschen konkret zugewendet hat. Vielleicht liegt das Geheimnis des Menschseins auch in ganz einfachen Zuwendungen: Zuhören und reden, mitleben und mitleiden, einfach da sein.

 

Donnerstag, 29. Dezember 2005

Vor kurzem habe ich von einem Bekannten eine Postkarte geschenkt bekommen. Er hat sie wiederum in Basel bei einem Antiquitätenhändler zufällig entdeckt. Die gut erhaltene Karte stammt aus dem Jahr 1898 und zeigt auf der Vorderseite eine der ersten Darstellungen der in dieser Zeit errichteten evangelischen Kirche in St. Pölten, auf der Rückseite stehen die gut lesbaren Grüße der Kartenschreiberin.

 

Ein schönes und interessantes Zeitdokument. Es hat seinen Platz in unserer Ausstellungsvitrine erhalten. Von unseren Grüßen wird in 100 Jahren wohl nicht mehr allzu viel vorhanden sein. Zwar haben heuer, so wurde in einem Bericht der zuständigen Stelle betont, noch ein Fünftel der Österreicher mittels Karten ihre Weihnachtswünsche übermittelt, aber schon jeder dritte Weihnachtsgruß in Österreich wurde per SMS versandt.

 

Da diese Art der Glückwünsche und der Kommunikation vor allem bei den jungen Menschen vertreten ist, ist es nur eine Frage der Zeit,  wann die gute, alte Weihnachtskarte nur noch ein Raritätenstück für besondere Anlässe ist.

Vielleicht hätte Jesus sich mit seinen Jüngern auch mit SMS unterhalten, oder sich die Evangelisten auf diese Art über das Leben Jesu ausgetauscht, wenn es damals schon möglich gewesen wäre. Aber eigentlich ein schrecklicher Gedanke. Denn was wäre dann heute noch vorhanden?

 

 

Freitag, 30. Dezember 2005

Jetzt zählen viele die Stunden, bis sie da ist, die Stunde 0.00, und damit ein neues Jahr beginnt. Der letzte Arbeitstag heuer, falls Sie nicht ohnehin Urlaub haben zwischen den Feiertagen. Schnell noch die Gelegenheit, Liegengebliebenes zu erledigen, Briefe, Telefonate, Gespräche, um möglichst wenig mitnehmen zu müssen in das Neue Jahr.

 

Gewiss stimmt, dass ein Tag wie der andere ist, dass wir am 1. Jänner 2006 trotz unserer guten Vorsätze so ziemlich die gleichen sein werden wie am 31. Dezember 2005.

 

Dennoch ist es gut, dass wir besondere Tage haben, diese auch anders und mit vom üblichen Ritual abweichenden Formen begehen. Diese besonderen Tage machen unser Leben einteilbarer und übersichtlicher. Sie helfen vor allem auch gegen den Trend der Vereinheitlichung und der Nivellierung.

 

Und sie geben Gelegenheit Innezuhalten, sich zu orientieren und vielleicht in der gleichen Richtung, vielleicht aber auch modifiziert auf dem Lebensweg weiter zu gehen.

 

Nun denkt ja niemand daran, Sylvester abzuschaffen. Aber was für das Jahr gilt, das gilt auch für die Woche. Eine Woche ohne Sonntag ist eine Verarmung nicht nur für religiöse Menschen, sondern für alle. Mein Wunsch für das Jahr 2006 ist, dass es vielen gelingt, wieder bewusster zu leben, den Werktag Werktag sein zu lassen, und den Sonntag Sonntag.

 

 

Samstag, 31. Dezember 2005

Jetzt noch schnell ein Schweinchen oder ein Rauchfangkehrer. Und die notwendigen Utensilien für das Bleigießen. Nicht zu vergessen auch das richtige Essen will geplant und eingekauft sein. Am besten etwas vom Schwein oder ein Fisch, nur ja nichts von einem Tier, das nach hinten kratzt, denn das bringt Unglück. Wäsche darf auch keine aufgehängt sein.

 

Jetzt kann sie kommen, die Sylvesternacht, die uns in das Neue Jahr führt. Glück und Gesundheit wünschen wir einander, gute Vorsätze fassen viele von uns.

 

Und über allem schwebt ein Hauch von Geheimnis, auch von Hoffnung. Besser möge es werden, und manche fügen hinzu, wenigstens nicht schlechter als es jetzt ist.

 

Wie es wirklich kommen wird und was das neue Jahr bringen wird, das weiß keiner von uns. Auch die nicht, die vorgeben, es voraussagen zu können.

 

Aber eines weiß ich: Auch das Jahr 2006 steht unter der Begleitung Gottes. Dietrich Bonhoeffer, der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer, der im Jahr 2006 vor genau 100 Jahren geboren worden ist, hat diese Erfahrung in einem Lied so ausgedrückt:

 

„Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“