Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Altbischof Johann Weber

 

 

Sonntag, 1. Jänner 2006:

Zu Neujahr wird viel Gescheites gesagt. In Ansprachen, bei Glückwünschen, am Telefon. Es ist doch mehr als ein bloßes Datum von irgendwem – schließlich ist es ja auch mein ganz persönliches eigenes neues Jahr.

Und allerhand Lockeres sagen wir auch, es geht ja nicht, nur immer tiefsinnig reden. Und was dann mit dem ersten Tag machen? Da liegen ebenfalls lockere Antworten nahe: Auf jeden Fall einmal ausschlafen, eventuell den Kater von Silvester pflegen und so.

Und dann wird uns schon noch was einfallen. Wir müssen ja dann sowieso ein Jahr lang Pflichten erfüllen.

 

Aber dennoch gibt’s eine ganze Menge von Leuten, die ohne Pflichtenkrampf, wenn auch vielleicht mit Kopfweh, in den Kirchenbänken sitzen, Vormittag, Nachmittag, am Abend. Sie prosten sich nicht zu, sie beten, singen, schweigen. Weil’s Gewohnheit ist? Ist auch gut.

Vor allem aber, weil sie wissen: alles Mögliche können wir fabrizieren, die Zeit  aber können wir nicht machen. Dann ist es gleich besser, auf Gott hinzuschauen und – so gut es halt geht – über das begonnene Jahr mit ihm zu reden. So gut es halt geht – ein Minimalprogramm? Wenn damit Gottvertrauen gemeint ist, dann ist das viel, sehr viel.

Also – einen wirklich guten Morgen!

 

 

Montag, 2. Jänner 2006:

Langsam versinkt der Neujahrstag. Aber halt: ich hätte ja noch Neujahrswünsche anbringen sollen. Und bedanken muss ich mich auch noch.

Aber: wem alles schreiben, in welcher Tonart? Wer ist vergessen, und wem mag ich eigentlich nicht antworten? Und wer gewissenhaft ist – und das möchten wir doch alle sein – hat das noch größere Problem: Was sollte ich eigentlich wünschen?

Die Gesundheit sicher: das ist ganz klar. Aber dann? Würde es passen: Viel Segen! Klingt recht gut, aber was ist das eigentlich?

Aber wer so hinschreibt, braucht gar keine Erklärung – irgendwie weiß man es: Das hat doch mit Gott zu tun und dass er in der Nähe ist, greifbar. Ja und dass er nach mir die Hand ausstreckt, nicht rabiat, sondern so, wie wir unsere große Erwachsenenhand und das kleine Händchen eines lieben Kindes zusammentun. Weil es mir ganz, ganz wichtig ist, dass es ihm gut geht.

Das sind Geschichten für kleine Kinder? Ich glaube nicht - das Jahr ist zwar auch noch sehr klein. Doch wenn es vom Segen Gottes umgeben ist, dann wird es wachsen, gut wachsen und es kann eine große Sache werden. Ein kleiner Brief mit 55 Cent Porto könnte zum großen Kapital der Hoffnung beitragen.

 

 

Dienstag, 3. Jänner 2006:

Ganz in der Nähe gab’s das, was man eine Greißlerei nennt. Und meine Mutter drückte mir kleinem Buben abgezähltes Geld – auf den Groschen genau – in die Hand und ich musste dort etwas holen, einen Wecken Brot oder ein Achtelkilo Butter.

Überall war Geld knapp. Aber mir kommt vor, es wurde damals weniger davon geredet, dass alles so teuer sei und noch teurer wird. Aber vielleicht irre ich mich.

Manche sagen es locker, andere wieder recht besorgt: „Du wirst sehen, heuer wird alles wieder teurer!“

Da wären nun kluge Reden angebracht über einfacheren Lebensstil und so. Das ist leicht im warmen Zimmer und mit einem sicheren Posten.

 

Im Evangelium heißt es immer wieder, dass Jesus jemanden in Zuneigung angeschaut hat. Ich denke, Österreich ist in Gefahr, dass wir einander zu leicht den Rücken zuwenden. Dann sieht man einander nicht.

Dann ersparen wir uns den beklemmenden Blick, dass es anderen in unserer Welt des Reichtums sehr schlecht gehen kann.

Nicht den Rücken, sondern den Blick zuwenden. Nicht neugierig, sondern in Achtung und Nachdenklichkeit.

Das gilt „zur ebenen Erde“ und an den Schaltstellen unseres Landes. Solidarität braucht Ordnungen, aber ebenso ein bewegtes Herz. Das wäre auch ein Prosit Neujahr!


Mittwoch,  4.Jänner 2006:

Gott sei Dank, es kommt ein langes Wochenende. Heuer geht es sich öfter so gut aus. Also jetzt gleich einmal Dreikönig, dann Samstag und schließlich Sonntag.

 

Gewünscht wird ja das schöne Wochenende unzählige Mal.

Aber irgendwie – und ich möchte ja nicht pitzelig sein – passt es mir nicht recht, dass der Sonntag nur so etwas wie ein Schlusspunkt sein soll, sozusagen nur zum Erholen, eventuell zum Wunden pflegen, und dann, ja dann am Montag käme das Eigentliche, der Anfang von Arbeit, Leistung, Pflicht, Verdienen. Es klingt fast danach: Das ist das eigentliche Leben.

 

Meine eigene Woche schaut ja auch nicht viel anders aus. Aber ich möchte doch einen Unterschied machen: Der Sonntag verdient es, erster Tag der Woche genannt zu werden!

Wir Katholiken machen es auch so, wenn wir am Sonntag Gottesdienst feiern. Ganz einfach deswegen, weil es ein Sonntag war, an  dem Jesus Christus den Tod  überwunden hat – der Tag der Auferstehung.

 

Haarspaltereien? Ich glaube nicht. Zurückschauen ist wichtig, in Ordnung bringen, wenn es geht. Aber leben tun wir vom Vorausschauen, auch über die Grenze des Lebens.

Und der Sonntag ist die geduldige Erinnerung: Da vorn will Gott mir neues Leben schenken.

So meine ich schon, dass der Sonntag alle Ehre verdient. Damit ehren wir uns selber.

 

 

Donnerstag,  5.Jänner 2006:

Da trappeln sie auf der winterlichen Straße – die Kinder in bunten Kleidern, mit einer Papierkrone auf dem Kopf. Und einen goldenen Stern gibt es auch.

Die Kommentare sind verschieden – von „Ach, wie schön“ bis „Immer diese Bettlerei“!

Gut so – ein Kinderbrauch wurde wieder herausgeholt: Dreikönigsingen. Und dass gegen 100.000 in Österreich mittun, das ist schon sehr beeindruckend.

Kinderbrauch, Kinderspaß – wenn es auch oft trotz der wehen Füße und der müden Stimmbänder recht lustig zugeht – das wird wohl nicht reichen, um soviel in Bewegung zu setzen.

Vielmehr denke ich, in unzähligen Wohnungen, wie immer man sie aufnimmt, legen sie ein Samenkorn einer neuen, einer anderen Weltpolitik: Grenzen überschreiten in Liebe, in Selbstlosigkeit und dafür etwas ernten, was beinahe unbezahlbar ist: die Ahnung einer Welt, wie sie sein könnte, nie ganz erreichbar und trotzdem an sie glauben, dafür was probieren!

Kinder tun also mit und ohne sie ginge es ja gar nicht. Da fällt mir ein, dass Gott auch mit einem Kind uns in Bethlehem eine neue Welt angekündigt hat. Und er wird es ja wissen.

 

 

Freitag, 6. Jänner 2006:

„Die meisten Österreicher sind ja eh gegen die Ausländer!“ Ich fürchte, es gibt kaum etwas, worüber so locker geredet wird, wie über die Ausländer. Man kann sie ein Problem nennen. Und das gibt es sicher, mit vielen Fragen und Standpunkten. Es ist ja nicht allzu lange her, dass es überhaupt noch gar kein Thema war.

 

Und wie wird es weitergehen? Wer kann schon sagen, er hätte ein Konzept, das alle Fragen löst.

Aber eines möchte ich anbringen:

mir geht es nicht gut, wenn es mehr oder weniger nur heißt: Problem, Thema, Konzept. Ich meine: diese feierlichen Wörter, die schnell Gestalt annehmen in generellen Meinungen, in Gesetzen, in Parolen sollen nicht dazu dienen, die Gesichter zuzudecken. Und ein solches haben alle.

 

In der schönen Botschaft am heutigen Dreikönigstag kommen auch Ausländer, irgendwoher „aus dem Osten“, um einem neugeborenen Kind ins Gesicht zu schauen. Seine Familie ist arm und wiederum aus einem anderen Volk.

Seit 2000 Jahren glauben die Christen, dass durch dieses Kind die Würde eines jeden Menschen und eines jeden Volkes angezeigt ist. Darauf zu vergessen, das wäre das größere Problem.

 

 

Samstag, 7. Jänner 2006:

Ach, schon wieder eine Woche vorbei, es war ja grad Neujahr! Und dazu die allgemeine kleine Lebensweisheit: Wie schnell die Zeit vergeht!

Allerdings kommt mir vor, dass – obwohl wir gern und locker und oft genug aus Langeweile oder Verlegenheit über die Zeit reden – es nicht recht passt. Sie lässt spüren, dass sie keinen Spaß verträgt. Aber traurig macht mich das auch wieder nicht, wenn auch die Lebensjahre schon recht zahlreich geworden sind und logischerweise die Frage immer vernehmbarer wird: Wie lange noch?

 

Vielmehr braucht man es eigentlich nicht mühsam lernen, sondern einfach das Gemüt offen halten:

Jedes Jahr hat auch eine ganze Menge Chancen.

Einige davon sind absolut sicher: Die 52 Wochen haben auch 52 Sonntage.

Meine frühesten Kindererinnerungen haben immer auch mit dem Sonntag zu tun, bis zum besseren Essen in der damals so kargen Zeit.

Sehr feierlich nennt man den Sonntag „Tag des Herrn“. Ich möchte da lieber meine Kindersprache hervorholen. So sage ich halt: „Der Tag vom lieben Gott“. Und noch was dazu: Der Tag mit dem lieben Gott. Dann bekommt das eilige Jahr etwas von Gelassenheit und Vertrauen.

Das kann ich Ihnen gern empfehlen.