Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Karin Leiter

 

 

Sonntag, 8.1.2006

Rosa

Es ist schon viele Jahre her, dass ich Rosa, eine sehr weise  alte Frau im Sterben begleitet habe. Sie hatte ein sehr schweres und entbehrungsreiches Leben hinter sich. Trotzdem strahlte sie eine zufriedene Gelassenheit aus und in ihrem Gesicht hatten sich tiefe Lachfalten eingegraben.

Sie hatte mir viel von ihren Jugendträumen, ihren Ideen und Vorstellungen erzählt. „Trauerst du eigentlich nicht deinen unerfüllten Träumen nach?“ fragte ich sie.

Rosa lachte nur und meinte: „Warum soll ich darum trauern? Weißt du, es war ganz einfach so: Du träumst von Italien, vom herrlichen Meer, der Sonne, den wundervollen Kunstschätzen, dem Duft von Zitronen- und Olivenhainen. Und du packst deine Koffer und steigst ins Flugzeug. Aber durch irgendeine Wetterkapriole, einen Irrtum oder sonst was Ungeplantes muss der Flieger seinen Kurs ändern und landet – sagen wir - in Holland. Du kannst jetzt dasitzen und jammern, dass Dir Italien fehlt, dass du hier frierst mit deiner falsch eingepackten Kleidung … Du kannst dir aber auch einen neuen Pullover kaufen und dich aufmachen, Holland mit seinen berühmten Tulpenfeldern, seinen Windmühlen und Krachten, seinem Meer und seinen Menschen zu entdecken. Italien wäre schön gewesen, Holland war schön!“   

 

 

Montag, 9.1.2006

Rabbi Mendel

Zu Rabbi Mendel  kam eines Tages ein sehr aufgeregter Mann.

„Rabbi, die Tora hat ein Loch! Es heißt doch: Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Frau!“

„Ja“, bestätigte Mendel.

„Und ich hab nichts gefunden, wo es heißt, die Frau soll nicht begehren! Das kann doch nicht sein.“

„Wenn da nichts steht, dann ist das so. Da ist kein Loch!“

Moische schaute mit großen Augen: „Dann darf die Frau begehren?“

„Ja“, sagte der Rabbi, selbst etwas nachdenklich geworden.

Sarah, die Frau des Rabbi, hatte das aufregende Gespräch bis in die Küche gehört. „Mendel, Dein Sohn muss gewickelt werden und beim Abwasch könnte ich Hilfe brauchen. Deine Hilfe!“, setzte sie unmissverständlich nach. Seine Frau legte ihm seinen Sohn in den Arm, zwinkerte ihm aufmunternd zu und sagte: „Mendel, das begehr ich von Dir!“

Mendel wickelte das Baby und kam zum Abwasch in die Küche. Für heute hatte er genug studiert, stellte er verwundert fest.

Meine Damen! Technische Genies, die Festplatten formatieren und DVD-Recorder fußballbereit programmieren können, die können auch mit Waschmaschinen, Staubsaugern und Bügeleisen umgehen lernen. Geben Sie Ihren Söhnen und Männern die Chance, ihre schlummernden Talente zu entdecken. Sie werden staunen.

 

 

Dienstag, 10.1. 2006

Kartoffel-Entscheidung

Ein alter Professor machte Urlaub auf einem Bauernhof. Er saß nach dem Frühstück vorm Haus, vor sich auf dem Tisch einen Berg beschriebener Zettel. Als der Bauer vorbeikam, raufte sich sein Urlaubsgast gerade seine grauen Haare und stöhnte: „Immer diese Entscheidungen!“

Der Bauer meinte: „Wenn’s nur darum geht, dann kann ich dir helfen, Professor!“

Bevor der hochstudierte Gast auch nur wirklich erstaunt sein konnte, sagte der Bauer unmissverständlich: „Komm mit!“

Er führte ihn in den Kartoffelkeller, nahm von einem riesigen Berg Kartoffeln zwei Stück und zeigte sie dem Professor: „Also, pass auf. Eine Saatkartoffel hat viele Augen, wie die da und eine Esskartoffel hat kaum welche, wie die.“ Der Bauer warf die Saatkartoffel auf einen leeren Platz am Boden. „Jetzt sortier die Saatkartoffeln aus. Da kannst du Entscheiden üben!“ Sagte es, ging und ließ den Professor bei dem Berg Kartoffeln stehen.

Als der Bauer nach vielen Stunden von der Feldarbeit zurückkam, sah er die Luke zum Kartoffelkeller immer noch offen stehen und weit und breit keinen Professor.

Er stieg in den Keller hinunter und da saß der Professor auf dem unveränderten Berg Kartoffeln, hielt in jeder Hand eine Knolle und seufzte „Ich kann mich einfach nicht entscheiden!“

 

 

Mittwoch, 11.1.2006

Bauer und Esel

Es war einmal ein Bauer, der wollte zum Markt und seine Ernte verkaufen. Er holte seinen Esel, den er sehr liebte und für den er alles tat, wie er immer wieder sagte. Dann packte er Körbe und Taschen voll mit Gemüse, Obst und Kräutern, lud sich alles selbst auf den Rücken, band sich vollgefüllte Gurte um den Bauch, stellte sich einen Hocker neben den Esel und stieg auf das Tier, das unter der Last fast zusammenbrach. Langsam machten sie sich so auf den langen Weg zum Markt.

Sie begegneten einem Wanderer, der sehr verwundert schaute, als er die Beiden sah.

„Warum hast du dir denn die ganzen Körbe auf den Rücken geladen?“ fragte er den Bauern. Der Bauer saß auf dem Esel oben und sagte:

„Ich liebe meinen Esel so sehr, ich will nicht, dass er so schwer zu tragen hat!“

Kennen sie so einen Bauern? Oder sind Sie vielleicht sogar selber einer? Oder noch provokanter gefragt: Sind sie vielleicht so ein Esel? Und wie geht die Geschichte eigentlich aus?

Sagt der Wanderer dem Bauern, was da nicht stimmt?  Bricht der Esel zusammen? Geht er nicht mehr weiter, weil er nicht mehr kann oder so einfach nicht geliebt werden will?

Vielleicht fallen ihnen noch ganz andere Möglichkeiten ein, wie diese Geschichte weitergehen könnte.  Vielleicht wächst aber auch da und dort ein Hallo-Wach-Kraut gegen solche wirklich vorkommenden Geschichten.

 

 

Donnerstag, 12.1.2006

Gemeindebau

Ich wohne seit nunmehr rund 19 Jahren in einem Wiener Gemeindebau aus den 20er Jahren in Meidling, dem 12. Bezirk. Ich liebe diese alte Burg mit ihren vier Innenhöfen, diese Haus  mit dicken, alten Ziegelmauern und den großen, hellen Fenstern.

Diese Liebe hat aber vor allem wegen einer Geschichte so nachhaltig begonnen:

Ich war erst einige Monate in meiner neuen Wohnung und kannte kaum jemanden von meiner Stiege, geschweige denn von den anderen Treppenhäusern. Man grüßte sich eben höflich im Begegnen im Gang oder im Hof. Nette Leute.

Und dann eines Tages – es war gerade irgendeine Fußballweltmeisterschaft im Gange – gab es einen abendlichen Stromausfall, der ganz Meidling lahm legte. Im Stiegenhaus und im Hof wurde es laut. Ich ging mit einer größeren Tischkerze hinaus. Taschenlampen fuchtelten aufgeregt. Je länger das alles dauerte, umso stiller wurde es. Wir setzten uns auf die Stufen. Der Strom war schon gut zwei Stunden wieder da, als meine Nachbarn und ich immer noch bei Kerzenlicht auf den Stufen saßen. Irgendwer hatte inzwischen Tee gemacht und wir unterhielten uns angeregt über Gott und die Welt.

Seit diesem Stromausfall liebe ich die alte Burg so sehr. Und der Briefträger und der Paketdienst wissen, dass wir füreinander Post entgegennehmen und dass darauf Verlass ist.

„Wie geht es ihnen?“ ist keine leere Höflichkeitsfloskel sondern eine wirkliche Frage.

 

 

Freitag, 13.1.2006

Die Tante und der Schweinehund

Meine Tante hatte 13 Kinder. Immer nach dem Mittagessen nahm sie sich eine Tasse Kaffee, ein Buch und setzte sich an den Küchentisch. Mitten in der Horde, die da mit Protest Geschirr spülte, raufte, Schulsachen durcheinander warf, herumhüpfte, sang, pfiff und brüllte. Sie saß am Tisch und las, trank genüsslich Kaffee und schien nichts zu sehen und zu hören. Nach einer halben Stunde schlug sie das Buch laut zu und übernahm wieder das Kommando. „Ohne die heilige halbe Stunde würde ich verrückt werden!“, sagte sie mit Nachdruck und hat ihr Ritual bis ins hohe Alter bewahrt. Sie genießt es nach wie vor. In einer Schar von Ur- und Ururenkeln.

Haben Sie einen inneren Schweinehund, den sie ständig bekämpfen müssen? Dass Sie ständig auf der Hut sind vor ihm, dass Ruhe und Zeit für sich selber, dringend notwendige Muße für sie schon das Knurren von Faulheit aufkommen lässt oder auch die Angst, dass in der Stille Gedanken tanzen könnten, die Sie nicht denken wollen?

Bekämpfen Sie ihn nicht, Ihren inneren Schweinehund, sondern zähmen Sie ihn. Bauen Sie vor ihr Seelenhaus eine Veranda und schenken Sie Ihrem inneren Schweinehund eine Hängematte zum Entspannen. Das ist Balsam für die Seele und setzt gesunde Grenzen im Alltagsstress.

 

 

Samstag, 14.1.2006

Handy

Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich als Teenager immer die Augen verdreht und die Ohren relativ schnell auf Durchzug geschaltet habe, wenn so ein Satz kam wie „Zu unserer Zeit…“ oder „Früher…“ So als wäre diese Zeit nicht mehr die „unsere“ und früher war ja sowieso alles viel schwerer, aber viel besser – irgendwie oder so.

 Stellen sie sich jetzt einmal vor, vor 10, oder sagen wir vor 15 Jahren wäre jemand auf der Straße gegangen, laut sprechend, aber allein, gestikulierend mit den Armen.  Da hätte ich wahrscheinlich den nächsten Polizisten darauf aufmerksam gemacht und in meinem Kopf wären Bilder einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung aufgetaucht. Heute nennt sich das Handy und ist ein unentbehrliches Utensil geworden. Ich stand lange auf dem Standpunkt, dass ich so was nicht brauche und gar nicht dauernd erreichbar sein will. Ich habe aber  gelernt, dass ein Handy sehr praktisch und auch mitunter geradezu notwendig ist, besonders seit es immer weniger Telefonzellen gibt. Ich muss deshalb nicht immer erreichbar sein. Ich bin froh, mich einen wichtigen Schritt von meinem Standpunkt entfernt zu haben. Es erleichtert vieles.

Das Abenteuer Leben bleibt allemal spannend in unserer Zeit. Und das ist gut so.