Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 


von Msgr. Dr. Ernst Pöschl (Eisenstadt)

 

 

Sonntag, 5.2.2006
Meine Nichte Martina war immer schon eine begeisterte Zeichnerin. Als sie etwa fünf Jahre alt war, hat sie mir voll Stolz eine Zeichnung gezeigt. Was mir aufgefallen ist: Eine Person stand ganz oben auf dem Dach. Ich habe sie ge­fragt, warum das so ist? Und ihre spontane Antwort: „Aber Onkel. Der muss doch da oben sein, damit er alle anderen sehen kann."

Für das Denken im Alten Testament  musste Gott einen erhöhten Platz einnehmen, um die Übersicht zu haben. Wenn er auf der Erde wäre, hätte er nach diesem Denken nur seine nächste Umgebung gesehen. So musste er uns überragen, um uns mit den Augen folgen zu können. Er musste  oben im Himmel sein, um uns auf  der Erde sehen zu können.

Wir, die modernen Menschen, können uns vorstellen, dass eine geistige Gegenwart von Raum und Zeit unabhängig ist.  Uns sind Menschen, die wir lieben, auch wenn sie weit von uns entfernt sind, viel mehr gegenwärtig als jene, die etwa in der Straßenbahn neben uns stehen oder sich auf dem Fußballplatz neben uns drängen.

 Gott kann mit jedem von uns sein, ohne ihn vom Himmel herab betrachten zu müssen.

 

Montag, 6.2.2006

Der bekannte französische Journalist André Frossard hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Gott existiert. Ich bin ihm begegnet."

 

Das besondere Erlebnis, die Gottesbegegnung, ereignete sich an einem Sommerabend, in einem kleinen Gotteshaus. Frossad ist schon des Wartens müde, über das nicht enden wollende Gebet seines Freundes mit dem er verabredet ist. Daher betritt  er die Kapelle. Er bleibt neben der Türe stehen und späht nach seinem Freund.

 

In dem Augenblick hört er die Worte: „Geistliches Leben", und zwar so, als würden sie von einer Person neben ihm mit leiser Stimme gesprochen. Kaum hat er die letzte Silbe gehört, da sieht er Farben, die er nie zuvor gesehen hat. Wenn er ein Maler wäre und es ihm gegeben wäre, unbekannte Farben zu schauen, wie sollte er sie malen? Es war für ihn wie ein Kristall von einer klaren Durchsichtigkeit. Von einer beinahe unerträglichen Helligkeit, so als ob sich für ihn der Himmel öffnete. André Frossard schreibt, dass es ihm nicht möglich ist, mit Worten dies zu beschreiben, was er gesehen hat.

Da wird ihm klar, mit einer Einsicht, die für ihn unbegreiflich ist, das ist Gegenwart Gottes. Gott hatte er noch vor einigen Minuten geleugnet und jetzt erfuhr er Gott in seiner Güte, die selbst das härteste Herz erweicht.

 

Dienstag, 7.2.2006

Auf einer Expedition in Afrika machten eines Tages die Lastenträger Halt. Sie legten das, was sie trugen, auf die Erde. Sie gingen keinen Schritt mehr weiter. Der Expeditionsleiter drängte sie zum Weitergehen. Die Männer aber sagten: „Wir sind zu schnell gelaufen. Jetzt müssen wir warten, bis unsere Seele nachkommt.“

 

Auch wir müssen Rast machen, einmal unsere Lasten ablegen, unbeschwert sein und zur Ruhe kommen. Jeder von uns braucht seine Oase im Alltag. Orte und Zeiten, an denen wir unbeschwert sein können und zur Ruhe kommen.

 

Ein zehnjähriges Mädchen machte eine besondere Erfahrung. Voll Freude erzählt sie ihrer Tante: „Wenn ich in der Früh bete, geht es mir den ganzen Tag viel besser.“

 

So hat es dieses Mädchen erlebt. Sie möchten doch auch an diesem Tag, der vor ihnen liegt, glücklich sein. Welche Erfahrungen haben Sie schon gemacht? Wie haben Sie es erlebt, wenn sie dafür gesorgt haben, dass ihre Seele nachkommen kann? Madeleine Delbrel, die als Sozialarbeiterin in einer Vorstadt von Paris arbeitete sprach von: INSELN GÖTTLICHER ANWESENHEIT, DIE ES ZU SCHAFFEN GIBT, DAMIT GOTT UNS BEWEGEN KANN, SEINE FREUDE ZU ERLEBEN.

 

 

Mittwoch, 8.2.2006

Wie ich mit meinen Lehrlingen in der Berufsschule über das Leben nach dem Tod gesprochen habe, da hatten sie immer wieder das Problem, wo dann alle Platz haben werden, weil doch  schon so viele Menschen gestorben sind.

Ich habe einen Mann besucht, der schwer krank in seinem Haus auf mich gewartet hat. Auch er hat mir dieses Problem gesagt. Darauf erklärte ich ihm, dass die Wissenschaft errechnet hat, wie groß das Weltall eigentlich ist, Milliarden von Lichtjahre. Dabei ist die Entfernung eines Lichtjahres etwa 9 ½  Billionen Kilometer. Allein unsere Milchstraße, zu der wir gehören, umfasst etwa 10 Milliarden Sonnen. Unsere Milchstraße, auf der wir leben ist nur als ein kleiner Nebel am Firmament auszunehmen. Milchstraßen dieser Art gibt es etwa 10 Millionen, sagen die Fachleute. Manche von ihnen sind viele Billionen Kilometer von uns entfernt. Warum sollten die Milliarden von Menschen, die schon gelebt haben, dort keinen Platz haben? Dazu kommt noch, dass wir im Himmel nicht einen Platz brauchen, wie wir ihn uns vorstellen.

Das hat diesen Mann, den ich besuchte beruhigt. Seine Angehörigen haben mir später erzählt, dass eines seiner letzten Worte war: „Ich bin schon neugierig, wie es im Himmel sein wird....."

 

 

Donnerstag, 9.2.2006

Vor Jahren habe ich den Kindern in der Volksschule das biblische Gleichnis vom Hochzeitsmahl erzählt. Um seinen Zuhörern die Freude des Himmels zu beschreiben, hat Jesus den Vergleich mit dem Hochzeitsmahl gewählt. Einer der Buben aus der Klasse in meiner Religionsstunde hatte eine ganz andere Vorstellung von der Freude. Er meinte: „Und ich stell mir vor, dass ich im Himmel immer Fußballspielen werde." Das war auch verständlich. Was bedeutete schon eine Hochzeit für einen neunjährigen Buben. Aber Fußballspielen, der Traum, ein berühmter Spieler zu werden, das war schon etwas für ihn. Er hatte aber noch ein Problem: „Was ist, wenn uns der Ball da runterfliegt?" Ich habe ihn beruhigt, dass es mit dem Ball keine Probleme geben wird.

Ein anderer Bub meinte damals: „Ich stell mir vor, ich werde im Himmel immer auf einer Wolke sitzen und Torte essen.“ Das war etwas für ihn, weil man ihn von Süßigkeiten fern gehalten hat mit der Bemerkung, dass er doch schon so dick sei.

Beide Buben haben eine richtige Vorstellung vom Himmel gehabt. Für sie war der Himmel das Schönste, was sie sich vorstellen konnten.

 

 

Freitag, 10.2.2006

In den ersten Jahrhunderten nach Christus lebten Mönche in der Wüste Ägyptens.

 

Einer von ihnen vergleicht den Mönch mit einem Hund, der einem Hasen nachläuft. Im Mund hat er den Geschmack des Hasen und lässt nicht nach, bis er ihn gefasst hat. Andere Hunde sehen ihn und rennen ihm nach. Aber nur der, der den Geschmack des Hasen im Mund hat und ihn selbst gesehen hat, wird nicht ermüden und umkehren. Er wird sich auch durch Gesträuch und Dornen nicht abhalten lassen, den Hasen zu verfolgen.

Wir brauchen nicht in die Wüste zu gehen, um Gott zu finden. Es genügt schon eine Zeit der Stille im Laufe eines Tages. Ich persönlich erlebe die Zeit am Morgen als am geeignetsten. Wenn ich in dieser Zeit etwas von der Freude, die Gott im Herzen schenkt, erlebt habe, dann werde ich nicht aufgeben. Wenn ich mir diese Zeit nur deshalb nehme, weil ich es irgendwo gelesen habe oder weil es andere auch tun, werde ich bald ermüden und aufgeben. Meinen Sie nicht auch, dass es sich lohnt, etwas von diesem Geschmack im Mund zu haben, der uns geschenkt werden kann und uns glücklich macht?

 

 

Samstag, 11.2.2006

Viele klagen über die Jugend von heute. Seit 40 Jahren bin ich Jugendseelsorger und ich sehe das ganz anders.

 

Noch immer habe ich ein Erlebnis vor Augen, das mich tief beeindruckt hat. Burschen und Mädchen waren als ehrenamtliche Helfer dabei, Behinderte zu betreuen. Sie haben dies mit einer Hingabe getan, die ich nicht vergessen kann.

 

Es war dies in Lourdes in Frankreich, wo heute, an diesem Tag, genau vor 180 Jahren die Gottesmutter Maria erschien. Seither pilgern Millionen von Menschen jedes Jahr dorthin.

 

Am Vormittag jeden Tages gibt es dort eine Prozession mit Rollstühlen von den zahlreichen Herbergen der Stadt zur Grotte. Jeder der Behinderten hat seinen Betreuer. Es hat mich tief beeindruckt, wie die Burschen und Mädchen mit den Kranken umgegangen sind. Als Helfer haben sie sich den ganzen Tag um sie gekümmert. Viele von ihnen hätten ohne ihre Hilfe keine Möglichkeit gehabt, nach Lourdes zu kommen.

 

Viele Kranke wurden schon in Lourdes geheilt. Darunter waren wunderbare Heilungen. Viele sind gekommen und wurden nicht geheilt und dennoch: mit einem ganz großen Trost sind sie in ihre Heimat zurückgekehrt. Für mich sind das die größten Wunder, die in Lourdes geschehen sind.