Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Pfarrer Peter Karner (Wien)
Sonntag, 19.2.2006
„Es
ist umsonst, dass ihr früh aufsteht – und dann lange herumsitzt,
und euer Brot mit Sorgen esst. Denn seinen Freunden gibt er es im
Schlaf“. Mit diesem Psalmwort – Übrigens in populärer Version:
„Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf“ – erklären die
Erfolgreichen gern augenzwinkernd ihren Erfolg.
„Den
Seinen gibt’s der Herr im Schlaf?“ Nein, Blödsinn, schön wärs
ja, aber spieln tan sas net! Viele werden aggressiv, wenn sie so
einen Satz hören: viele Menschen, die sich ein Leben lang plagen
und abrackern mussten.
„Ja,
den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf“, schmunzelt der
„gelernte Österreicher“. Denn er gehört bestimmt zu den
Seinen.
„Den
Seinen gibt’s der Herr im Schlaf“, sage ich jetzt und gehe
schlafen. Und Gott nimmt mir, wie
im Traum, alle Traurigkeit und Ratlosigkeit weg. Im Schlaf lädt
Gott meine „Glaubenbatterie“ wieder auf. Und ich träume mich gläubig
und gesund.
Ist
das vielleicht der Grund, warum viele Menschen so gern und so lang
schlafen? Warum viele Menschen am Sonntag nicht und nicht aus dem
Bett herauszukriegen sind? Vielleicht sind sie gar nicht nach dem
Schlaf süchtig, sondern nach dem Herrn, der es ihnen wirklich im
Schlaf gibt. Aber dann ist schlafen wohl eine Form von Frömmigkeit:
Ich grüße alle, die noch schlafen, und wünsche ihnen einen guten
Tag.
Montag, 20.2.2006
Wer
freut sich schon, wenn man von ihm sagt: „Er ist ein Narr“? Aber
der Apostel Paulus hat sich nicht geniert, die Christen,
insbesondere die Pfarrer als „Narren“ zu bezeichnen. So schreibt
er an die Christen in Korint: „Wenn einer unter euch glaubt, weise
zu sein in dieser Welt, so soll er ein Narr werden, damit er dann
weise wird. Denn die Weisheit dieser Welt ist Narrheit bei Gott.
Also
der Pfarrer als Narr – aber wo wird heutzutage so originell
gepredigt, wie es Paulus systematisch entwickelt hat? Also: Predigen
a la Paulus, Jesus, Luther, Zwingli, Abraham a Sancta Clara , das würde
bedeuten: sich genau so narrisch zu verhalten oder zu reden, um so
die narrischen Sachen unserer Zeit ad absurdum zu führen.
Und
warum wenden die heutigen Prediger diese paulinische Predigtform
nicht an? Könnte es sein, dass ihnen der Mut fehlt, in der Rolle
des Narren aufzutreten? Wenn also die Leut von ihrem Pfarrer sagen:
„Er ist ein Narr!“ – das könnte im biblischen Sinn ein
Kompliment sein.
Der
spießbürgerliche Glaube des 19. Jahrhunderts hat übrigens den
Apostel Paulus auf den Kopf gestellt. Eine polizeiliche Vorschrift
hat allen Laien verboten, als Mönch, Nonne oder Pfarrer verkleidet
zu einem Kostümball zu gehen.
Dienstag, 21.2.2006
Es
ist wahrscheinlich eine religiöse Faszination, die so viele Leute
in den Zirkus lockt. Hier finden die biblischen Wunder jeden Abend
statt. Da gibt es Menschen, denen man ansieht, dass sie Gott nach
seinem Vorbild geschaffen hat. Denn sie springen, schlagen Räder,
machen dreifache Saltos, fliegen durch die Luft wie Vögel und
machen atemberaubende Jongleurkunststücke. Artisten, sportlich
begabt wie die Engel, der Mensch ein potentieller Artist? Aber
Vorsicht – Jesus ist auch nicht vom Jerusalemer Tempeldach
gesprungen, als ihn der Teufel zu diesem Glaubenskunststück
provozieren wollte. Mensch und Tiere agieren im Zirkus friedlich
nebeneinander. Menschen verstehen Löwen und Tiger: Daniel und
Daniela in der Löwengrube.
Aber
auch der Zirkus ist keine „heile Welt“. Clowns – in einem verrückt
verfremdeten Priestergewand – spielen den Menschen ganz ungeniert
deren Sünden vor: „Schaut nur her, so seid ihr!“ Und die
Zuschauer lachen, weil sie noch nicht wissen, dass sie gemeint sind.
Im Zirkus ist die Welt so bunt, wie sie sich der Schöpfer
vorgestellt hat. Vielleicht ist Gott sogar ein allerhöchster
Zirkusdirektor und die Welt eine riesige Zirkusvorstellung. Wer
schwach ist im Glauben, sollte schleunigst in den Zirkus gehen.
Mittwoch, 22.2.2006
Im
Wiener Prater gibt es einen Ort, wo jede Woche ein paar Mal das Böse
besiegt wird: das Kasperltheater. Und es ist ganz typisch, dass das
Kasperltheater als eine Inszenierung für Kinder gilt. So als sei
der Sieg des Guten über das Böse eine kindliche Illusion. Aber
eigentlich beneiden die Erwachsenen den Kasperl, denn: Er versteht
eben die Kinder. Wie der mit ihnen reden kann. Vom Kasperl könnten
Eltern, Lehrer und Pfarrer eine Menge lernen. Und was die Kinder dem
Kasperl alles zutrauen. Jeder Pfarrer kann glücklich sein, wenn ihm
seine Gemeinde so vertraut, wie die Kinder dem Kasperl.
Wenn
das böse Krokodil ein Kaninchen fressen will, dann rufen die Kinder
nur „Kasperl, Kasperl !“ und schon kommt er und haut dem
Krokodil eine aufs Maul. Wenn der böse Räuber die Prinzessin entführen
will, dann rufen die Kinder nur „Kasperl, Kasperl!“ und schon
kommt der Retter. Ist es
dann ein Wunder, dass die geistliche Dichtung den „Retter“
Kasperl einen Jünger Christi genannt hat?
Und
der Herr Martinelli, ein gelernter Großvater, hat nach einem
Kasperltheaterbesuch zu seiner Frau gesagt: „Die Kinder haben’s
gut, aber wen können denn eigentlich wir zu Hilfe rufen, wenn der
Teufel kommt? Und seine Frau hat ihm ausnahmsweise Recht gegeben.
Donnerstag, 23.2.2006
Können
sich die Menschen ändern? Kann man die Menschen ändern? Der Wiener
Barockprediger Pater Abraham a Sancta Clara war da eher skeptisch.
Er wusste aus Erfahrung, dass sich viele Menschen in ihren Sünden
so richtig sauwohl fühlen. So hat er vor allem gegen die sieben
Todsünden gewettert: also Geiz, Neid, Stolz, Trägheit, Wollust, Völlerei
und Zorn. Aber genügt es schon, wenn die Leute nicht mehr geizig,
neidig, eingebildet, faul, geil, verfressen und aggressiv sind? Wo
bleibt das Positive?
Es
genügt nicht, wenn einer nicht geizig ist. Er sollte bereit sein zu
teilen oder großzügig zu werden. Es genügt nicht, wenn einer
nicht neidig ist. Er sollte sich gegen eine Gesellschaft zur Wehr
setzen, die mit seinem Neid gute Geschäfte machen will.
Es
genügt nicht, wenn einer nicht faul ist. Er sollte ein neues Verhältnis
zur Arbeit aller Menschen gewinnen.
Es
genügt nicht, wenn einer persönlich keusch lebt – was immer er
auch darunter verstehen mag. Denn unsere Welt leidet an einer
schrecklichen Lieblosigkeit.
Es
genügt nicht, wenn einer auf „das große Fressen“ verzichtet
und zwei Drittel der Menschheit hungern weiter. Und
so könnte man alle Todsünden behandeln.
Die
Menschen sind so konstruiert, dass sie sich ändern können. Und das
Christentum ist eine Veränderungsreligion!
Freitag, 24.2.2006
Jede
Zeit hat ihre mehr oder weniger geistreichen Slogans. Einer der dümmsten
Slogans unserer Zeit ist wohl: Geiz ist geil. Der große Realist
Luther sagt ganz ungeniert über den Geiz: „Der Geiz macht, dass
wir nichts mit Lust und Freude gebrauchen können. So mancher
Geizwanst sitzt auf großem Gut und kann es doch nicht mit Lust
genießen.“
Bei
Luther kann man leben lernen. Für ihn ist Geiz nicht nur eine Sünde,
sondern eigentlich eine Verrücktheit: Denn der Geizige hat gar
nichts von seinem Geiz. Denn ständig ist er in Angst, er könnte
alle die schönen Sachen da, die er angehäuft hat, verlieren –
oder jemand könnte sie ihm wegnehmen. Luther war auch ein großer
Genießer. Er war überzeugt davon, dass Gottes Gaben zu genießen
eine „göttliche Lebensqualität“ ist. Ja, dass dieser fromme
Genuss den Menschen erst zum Menschen macht. In Luthers Pfarrhaus in
Wittenberg ist gut gegessen und getrunken worden – herrliche
Karpfen und gutes Bier.
Und
du, lieber Zeitgenosse, komm nicht um vor lauter Sparsamkeit. Freu
dich doch endlich an den vielen schönen Dingen, die du hast. Und
lade dir viele Gäste ein, um mit ihnen zu essen und zu trinken. Sei
fröhlich und lobe Gott, unsern Herrn. Denn wer geizig ist beim Säen,
der wird auch nichts ernten. Geiz ist dumm.
Samstag, 25.2.2006
Die
Kassandra-Rufe der Unheilspropheten, die das „Ende der Spaßgesellschaft“
verkünden, irritieren derzeit unser Gesellschaft. Aber wer weiß
denn, ob es sie wirklich gegeben hat, die „Spaßgesellschaft“,
auch wenn jetzt gewisse Kreise ihr Ende heraufbeschwören. Natürlich:
es gibt seit dem alten Ägypten eine Gesellschaftsschicht, die es
sich leisten kann, ein Leben mit vielen Freuden, Vergnügen und
Vergnügungen zu führen.
Wenn
sich aber, aus welchen Gründen auch immer – der Kreis derer, die
ein vergnügliches Leben führen können, ausweitet, ja wenn sich
womöglich gewisse Bevölkerungsschichten ihren Spaß noch mit
Gewalt erkämpfen, ja dann greifen die etablierten Spaßeliten
erwartungsgemäß zur kulturpessimistischen Kritik: „Jetzt kann
sich schon jede Proletin einen Nerzmantel leisten, ja und jeder
Prolet einen Mercedes!“ Das Problem ist also nicht der Spaß,
sondern seine zunehmende Demokratisierung. Und hier gibt es natürlich
die Unterstützung aus dem Eck der puritanischen
„Neidgesellschaft“.
Aber
vielleicht ist das ganze Gerede von einer Spaßgesellschaft die
pseudointellektuelle Matschkerei von ein paar Neidhammeln, die ihren
Zeitgenossen keinen Spaß gönnen. Wer sieht, wie es in der Welt
zugeht, wird sowieso nicht auf den Gedanken kommen, dass die
Menschen zuviel Spaß haben könnten. Und jedes Mehr an Freude für
die Menschen wird sicherlich dem lieben Gott gefallen.
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