Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Morgengedanken
von Dompfarrer Anton Faber (Wien)
Sonntag, 2. 4.2006
Wenn man derzeit das Innere des
Stephansdomes betritt wird einem schlagartig klar, dass wir am Ende
der Fastenzeit stehen. Die Flügel des „Wiener Neustädter Altars“ im
nördlichen Seitenschiff sind geschlossen und das große Bild des
Hochaltars, das während des Jahres die Steinigung des Dompatrons
Stephanus und den geöffneten Himmel zeigt, ist mit einem violetten
Tuch verhüllt. Und mit dem heutigen Tag, dem „Passionssonntag“,
werden nach altem kirchlichen Brauch auch die Kreuze verhüllt. So
bleibt es bis zum Karfreitag, nach dem Ende der Osternachtsliturgie
werden dann auch die Bilder wieder enthüllt. Dann ist Ostern.
Manche Besucher von St. Stephan
beschweren sich, dass Bilder verhüllt sind und der Blumenschmuck
sehr schlicht ist. Doch tut es unseren Augen gut, wenn sie auf das
Wesentliche gerichtet werden oder sich auch einmal ausruhen können.
Der Dom ist wie fast alle Kirchen nach Osten ausgerichtet. Der
derzeit unbeleuchtete und verhüllte Hochaltar steht im Osten, dort,
wo die Sonne aufgeht. Die Fenster links und rechts des Altares sind
noch mit den mittelalterlichen Glasscheiben geschmückt und ich liebe
es, wenn an sonnigen Tagen in der Früh das Sonnenlicht durch die
bunten Scheiben dringt und den Altar beleuchtet. Dies ist schon so
etwas wie der Beginn des Ostermorgens, ein Hauch von Ostern, eine
Ahnung von Auferstehung. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine
gesegneten Sonntag und dann sonnige Ostern!
Montag, 3. 4.2006
Der Wiener Stephansdom ist nicht
nur das bekannteste Gebäude Österreichs, sondern auch das
Meistbesuchte. An die dreieinhalb Millionen Menschen durchschreiten
jedes Jahr seine Portale. Wenn ich selbst im Dom bin, beobachte ich
manchmal die Eintretenden und werde dabei ganz nachdenklich. Viele
gehen absolut gedankenlos in die Kirche hinein. Es gibt auch andere
Besucher: Sie machen den Eindruck, als würden sie sehr bewusst die
„heilige Schwelle“ überschreiten. Sie nehmen den Hut ab, tauchen die
Finger ins Weihwasser, bekreuzigen sich und beugen das Knie vor dem
Tabernakel. Diese „Schwellenrituale“, die schon unsere Vorfahren
kannten, helfen auch mir beim Innehalten. Ich möchte in den Dom
nicht hineinstolpern, sondern diesen Raum, der seit Jahrhunderten
von Gebeten erfüllt ist, ehrfurchtsvoll betreten.
Wenn ich selbst über den
Haupteingang, den wir „Riesentor“ nennen, in den Dom gehe, schau ich
gerne auf die Figur im Bogenfeld des Tores. Sie zeigt Christus in
seiner Herrlichkeit als Weltenrichter. Er hält seine rechte Hand zum
Segen erhoben, so als ob er jeden Eintretenden segnen möchte. Er
wählt nicht aus, wer seines Segens würdig ist und wer nicht. Ja
Herr, segne alle, die Frommen und die Gedankenlosen! Sie alle
brauchen deinen Segen, damit sie ihr Leben bewältigen können. Sie
alle brauchen deine Hilfe, damit sie selbst für andere zum Segen
werden können!
Dienstag, 4. 4.2006
Eine Besonderheit im
Wiener Stephansdom sind die vielen Heiligenfiguren auf den
Domsäulen. Für die Menschen des Mittelalters, die meistens nicht
lesen konnten, waren diese Säulenheiligen besonders wichtig. Sie
waren für sie wie Geschichtenerzähler, die ihnen auf eine naive,
liebevoll ins Detail gehende, aber immer tief fromme Weise das Leben
und Sterben der Heiligen nahe brachten. Blickt man von der
Westempore in die Domkirche, dann scheint es wirklich, als würden
die Heiligenfiguren geschützt durch „Steinbaldachine“ wie eine Reihe
gotischer „Marterln“ auf den mächtigen Domsäulen hin zum Hauptaltar
Spalier stehen. Sie begleiten den Besucher hin zum Zentrum, bis hin
zu Christus.
Der einfache, gläubige
Betrachter fand sich in den vielen Heiligen wieder – sie waren ihm
vertraut und sprachen den Betrachter sofort an, als Schutzpatrone
vor Unwetter, Seuchen oder sonstigen Gefahren. Durch die Darstellung
der verschiedenen Stände und Schichten konnte sich jeder Besucher,
ob Bauer, Handwerker, Bürger, Mönch, Geistlicher, Fürst oder
Bischof, in einer der Darstellungen bzw. in „seinem“ Heiligen wieder
finden und Hoffnung schöpfen. Das geht natürlich auch heute noch.
Auch ich lass mich bei meinen Wegen durch den Dom gerne mitnehmen
und mitziehen vom Spalier der Säulenheiligen. Es ist als wollten sie
mir sagen: „Auch du kannst in den Himmel kommen. Auch du kannst es
schaffen!“
Mittwoch, 5. 4.2006
In der Turmhalle des
Nordturmes von St. Stephan steht die Büste des so genannten „Zahnwehherrgotts“.
Dieser kuriose Name rührt von einer Legende her: Es war üblich, am
Fronleichnamstag die Gnadenbilder außen am Dom mit Blumen zu
schmücken. So banden fromme Frauen dieser Christusfigur ein Tuch um
das Gesicht und steckten Blumen hinein, so dass es aussah, als ob
Jesus mit einem Blumenkranz geschmückt wäre. Mit der Zeit verdorrten
die Blumen und fielen herab, nur das Tuch blieb der Figur
umgebunden. Betrunkene Männer durchquerten einmal bei ihrem Heimgang
von einer Zechtour den Stephansfriedhof und machten sich über den
Gesichtsausdruck des Schmerzensmannes und das umgebundene Tuch
lustig: „Der Herrgott hat Zahnweh.“ In der gleichen Nacht wurden sie
von starken Zahnschmerzen gepeinigt und erst als sie zum
Zahnwehherrgott pilgerten und Abbitte leisteten, linderten sich ihre
Schmerzen.
Es gibt schlimmere Leiden
als Zahnweh. Aber auch damit darf man zum Zahnwehherrgott kommen.
Schließlich steht er für den Gottessohn, der vor dem eigenen Leiden
nicht zurückgeschreckt ist, der sich der Leiden der ganzen
Menschheit angenommen hat.
Gott leidet mit uns. Ihm
ist es nicht egal wie es uns geht. Man kann es ganz einfach auch so
sagen: Gott hat ein Herz für uns.
Und: Wir liegen Gott am
Herzen und nicht im Magen.
Donnerstag, 6. 4.2006
Im nördlichen Seitenschiff des
Wiener Stephansdomes, gleich neben dem Eingang zum Aufzug zur
Pummerin, ist an der Wand ein eigenartiger Balkon zu sehen. Diese
reich verzierte Empore gehört zu den berühmtesten Sehenswürdigkeiten
der Domkirche. Meister Anton Pilgram hat dieses Kunstwerk
geschaffen, bei dem der Meister selbst sich aus einem Fenster
blickend dargestellt hat. Für viele Betrachter von heute schaut er
ziemlich ernst und grimmig drein. Seine Gesichtszüge verraten
Unsicherheit und Last.
Ich kenne das auch von meinem
Alltag her. Manchmal bedeutet mir meine tägliche Arbeit Last und
Belastung, drückt mich regelrecht nieder, macht mich
niedergeschlagen und missmutig. Wahrscheinlich schau ich dann auch
ziemlich grantig drein wie der Meister Pilgram. Natürlich darf es
solche Phasen geben, aber eigentlich ist es schade um die Zeit.
Ich bin geschaffen zum Lobpreis des Herrn. Auf dem Balkon, der die
Schultern des Dombaumeisters niederdrückt, stand die Orgel. Ihre
Musik erfreute die Menschen, trug bei zur Festlichkeit der Liturgie.
Dieser Gedanke gefällt mir: Wenn ich mich wieder einmal im eigenen
Missmut wälze, dann will ich mich an Meister Pilgram erinnern: wie
er mit seinem grantigen Gesicht doch dazu geholfen hat, anderen das
Leben schön zu machen! Auch wenn der Alltag mich manchmal zu
erdrücken scheint, kann ich doch immer auch zum Wohlklang für andere
und mit anderen werden.
Freitag, 6. 4.2006
Der Stephansdom in seiner
heutigen Gestalt ist über Jahrhunderte gewachsen, viele Generationen
haben ihn gestaltet, ihn verändert und ergänzt. Doch der Dom ist
nicht nur ein architektonisches Meisterwerk. Er ist auch „Stein
gewordene Verkündigung“! Er weist über sich selbst und das Irdische,
über die Begrenztheit dieser Welt hinaus. Die Architekten und
Künstler wollten im Bauwerk auch ihrem Glauben Ausdruck verleihen.
Wenn ich Besuchern den Dom zeige,
dann weise ich während meinen Ausführungen immer darauf hin, dass
sie ihren Blick auch nach oben wenden sollen. Man ist leicht
abgelenkt von den Altären und Sehenswürdigkeiten, die sich sozusagen
auf Augenhöhe befinden und vergisst zu schnell den Blick ins
Gewölbe. Besonders wenn man quer durch die Schiffe hinauf schaut ist
es beeindruckend. Erst diese Gesamtschau zeigt, dass St. Stephan
eine „Stein gewordene Symphonie“, ein harmonisches Ganzes ist, ein
Stück vom Himmel auf Erden. Die mächtigen Säulen streben allesamt
nach oben und verlieren sich im Gewölbe mit den sich vernetzenden
Steinrippen und der eigentümlichen Ornamentik, die sich daraus
ergibt. Das Gewölbe im Stephansdom ist für mich ein Symbol für den
Unendlichen, den Transzendenten, für Gott, den kein Bild
darzustellen vermag. Und gerade dieser unfassbare Gott will in
meinem Herzen wohnen!
Samstag, 8. 4.2006
Die Berühmtheit des Wiener
Stephansdoms kommt unter anderem auch von seinem Hohen Turm, der im
Volksmund liebevoll „Steffl“ genannt wird. Am 10. Oktober 1433
konnte man das Turmkreuz aufsetzen, damit hatte Wien für einige
Jahre den höchsten Kirchturm Europas.
Die Fundamente des Steffl sind
relativ seicht, nur etwa dreieinhalb Meter tief. Dies ist ein
deutliches Zeichen für die ausgezeichnete Statik des Gebäudes. Es
spricht aber auch für die Genialität der mittelalterlichen
Architekten. Die Basis des Turmes bildet ein Quadrat, das sich im
Emporwachsen allmählich zu einem Achteck entwickelt. Aus diesem
Oktogon wächst schließlich die dreiteilige Turmspitze hervor, die an
der Basis von zwölf kleinen Türmchen umgeben wird.
Dies ist geradezu eine „Stein
gewordene Predigt“ über die Berufung des Menschen: Die zwölf kleinen
Türmchen stehen für die zwölf Apostel, die Jesus auserwählt hatte.
Die Turmspitze selbst ist in ihrer Dreiteilung ein Symbol für den
dreiteiligen Gott, aber auch für Jesus Christus und den Einen Gott.
Der Südturm, der Mittelpunkt und
das Wahrzeichen der Stadt, zieht den Blick unweigerlich nach oben
und weist uns als „Zeigefinger Gottes“ den Weg. So wie es beim
Apostel Paulus heißt: „Ihr seid mit Christus auferweckt, darum
strebt nach dem, was im Himmel ist!“
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