Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Superintendent Paul Weiland, St. Pölten, NÖ
Ostersonntag, 16.April 2006
Mit dem Tod ist alles aus. Das ist
ein Satz von gestern. Heute gilt: Er ist auferstanden von den Toten.
Das ist die Botschaft des Ostersonntags. Maria von Magdala, eine
Jüngerin und Begleiterin von Jesus, ist die erste, die diese neue
Realität erfährt und sie weitererzählt.
Der erste Satz, der von gestern, der
orientiert sich an der Wirklichkeit unserer Welt, an unseren
menschlichen Erfahrungen, Maßstäben und Kriterien.
Der zweite Satz, der von heute, der
weiß, dass es nicht nur die eine Welt, die materielle, diesseitige
Wirklichkeit gibt, sondern auch die andere, die transzendente, über
unseren kleinen Horizont hinausreichende, genannt Gott.
Wo diese beiden Wirklichkeiten
einander begegnen, dort kann Neues entstehen. Wirklich Neues, nicht
nur die Fortsetzung von etwas, das verbessert worden ist, gleichsam
irgendwie runderneuert.
Der erste Ostermorgen nach dem
Karfreitag, der ist so ein Hereinbrechen der anderen Wirklichkeit in
die Realität unserer Welt.
Auf einmal ist alles ganz anders.
Statt Trauer Freude, statt Aussichtslosigkeit Hoffnung, statt
Resignation neue Perspektiven. Auch wo es nach menschlichen
Maßstäben keinen Ausweg, keine Zukunft gibt, dort sagt der
auferstandene Jesus: Es ist nicht vorbei. Ihr habt noch Chancen,
legt ab eure Ängste, eure Hoffnungslosigkeit. Lasst euch ein auf das
Leben.
Ostermontag, 17.April 2006
Das leere Grab ist auch nach den
biblischen Berichten kein schlüssiger Beweis für die Auferstehung
von Jesus Christus.
Sie bleibt im tiefsten ein
Geheimnis, ein Mysterium des Glaubens. Nicht verstandesmäßig oder
philosophisch nachweisbar, aber konkret erfahrbar und erlebbar.
Erfahrbar und erlebbar allein und ausschließlich in der Begegnung
und in der Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus.
An die Auferstehung zu glauben, das
heißt, Jesus Christus als einen zu erfahren, der mein Leben
begleitet, der für mich da ist, der mich bei meinem Namen nennt, der
meinem Leben Sinn und Ziel gibt.
Und es kann schon sein, dass diese
Erkenntnis nicht bei jedem von uns immer gleich da ist, so wie das
auch bei Maria Magdalena am leeren Grab auch zunächst der Fall war.
Karfreitag und Ostern sagen uns
aber: Gott will Begegnung mit jedem von uns. Gott will Begegnung
über den Tod hinaus. Das ist das Neue, das mit Jesus Christus
Wirklichkeit in unserer Welt geworden ist. Dafür hat er gelebt und
gelitten. Dafür ist er gestorben und auferstanden.
Seither haben viele Menschen in der
Begegnung mit Jesus erfahren, dass er lebt. Sie haben erfahren, dass
Gott sie liebt. Sie haben erfahren, dass Jesus Christus für sie da
ist, wenn sie ihn brauchen. Und sie haben erfahren, dass Vergebung
und Neuanfang möglich sind.
Dienstag, 18.April 2006
Die mich am meisten berührende
Osterszene ist die Begegnung von Maria von Magdala mit dem
auferstandenen Jesus. Sie ist geblieben, obwohl die anderen Jünger
fassungslos das leere Grab verlassen haben. Sie weint. Der Verdacht
der Leichenschändung vermehrt ihren Schmerz.
Und dann der erste Dialog. „Frau,
warum weinst du? Wen suchst du?“, fragt er, der Auferstandene, so
als wüsste er nicht, worum es geht.
Maria ist immer noch ahnungslos.
„Wenn du den Leichnam weggetragen hast, dann sage mir wohin“,
antwortet sie dem vermeintlichen Gärtner. Er aber sagt: „Maria“. Da
erkennt sie ihn, den Auferstandenen. Sie läuft zu den Jüngern und
verkündet ihnen: „Ich habe den Herrn gesehen.“ Als Jesus Maria beim
Namen nennt, da erkennt sie und sie kann neu leben.
Maria von Magdala ist der Beweis,
dass Frauen zu Lebzeiten Jesu und in der Geschichte der ersten
Christen eine wichtige, eine gleichberechtigte und gleichwertige
Rolle gehabt haben. Sie wird im Lukasevangelium an erster Stelle
unter den Frauen genannt, die Jesus geheilt hat und die ihn dann
begleiten und unterstützen. Sie stand beim Kreuz Jesu, sie war beim
Begräbnis Jesu dabei, im Gegensatz zu vielen Jüngern und sie ist am
Ostermorgen beim Grab und verkündet als erste: der Herr ist
auferstanden.
Mittwoch, 19.April 2006
Manchen Institutionen und
Einrichtungen geht es nicht gut. Nein, ich möchte heute nicht über
politische Parteien oder über den Gewerkschaftsbund reden. Ich
bleibe beim Thema Kirche. Manche diagnostizieren eine Krise der
Kirche und des Glaubens. Ich widerspreche ihnen.
Es gibt zwar eine Krise des Glaubens
als persönliche Erfahrung des Angesprochenseins, es gibt sie aber
nicht als grundsätzliche Infragestellung. Die Sehnsucht nach dem
Wissen des Woher und Wohin, die Sehnsucht nach Erfüllung und
Lebenssinn, die Sehnsucht nach dem Besonderen und Heiligen, die -
und das bestätigen alle Untersuchungen und Befragungen - die ist
heute stärker denn je vorhanden. Mit allen diesen Fragen sind
Menschen verwiesen auf den Glauben. Manchmal als Wissende, manchmal
als Fragende und Suchende. Nicht selten ist jeder und jede einmal
Wissender und darin auch wieder Fragender.
Dass nicht alles in Ordnung ist, das
kann man nicht wegdiskutieren. Krisen gibt es. Aber ich sehe diese
Krisen in uns Menschen angelegt. Die Hauptkrise ist, dass wir so
selten bereit sind, neu anzufangen. Dass wir oft wenig Zutrauen
haben in die Kraft der Vergebung und der Liebe, die die Grundlage
für einen Neuanfang sind. Dass wir oft auch wenig Zutrauen haben zu
Gott selbst, der aus dem Tod neues Leben geschaffen hat und uns
damit ermutigt, neue Wege zu gehen.
Donnerstag, 20.April 2006
Das Schöne am Glauben ist, dass er
ermutigt, nicht aufzuhören, Träume und Visionen zu haben. Er ist
damit manchmal ganz konträr zu unseren Einsichten und Vorstellungen.
Die gehen eher in die Richtung der gut gemeinten Ermahnung: „Hör auf
zu träumen.“
Im Buch des Propheten Joel heißt es
über die zukünftige Zeit: „Ich will meinen Geist
ausgießen über alles Fleisch, und
eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume
haben und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen. Auch will ich zur
selben Zeit über Knechte und Mägde meinen Geist ausgießen.“
Gottes Geist lässt uns träumen und
schenkt Visionen. Er lässt uns damit über den Tellerrand des
Alltäglichen hinausblicken. Und das gilt nicht nur für einige
Auserwählte, nein, die Söhne und Töchter, die Alten und die Jungen,
ja auch die Knechte und die Mägde, sagt der Bibeltext, sind dafür
ausgewählt. Da finde ich ausnahmslos alle von uns wieder in dieser
Aufzählung. Da ist niemand ausgeschlossen.
Christlicher Glaube ist kein
Geheimwissen, kein Bund verschworener Untergrundkämpfer, sondern
eine Quelle der Erneuerung, ein Ort des Vertrauens, ein Begleiter in
den Umbrüchen in religiösen und gesellschaftlichen Entwicklungen.
Das macht unser Leben frei und unaustauschbar. Unterwegs mit Gott
können wir uns unsere Träume und Phantasien leisten.
Freitag, 21.April 2006
Auf den Geist kommt es an. Das
spüren wir, wenn wir soziale Einrichtungen besuchen oder auch wenn
wir zu Gast bei einer Gemeinschaft sind. Die Atmosphäre, das
Miteinander umgehen, das Klima, alles hängt von diesem Geist ab.
Auf den Geist kommt es an, auch
dort, wo über unsere Gesetze beraten und beschlossen wird. Nicht
zuletzt davon hängt es ab, ob Gesetze lebensbejahend oder
lebenseinengend sind.
Auf den Geist kommt es an. Aber
nicht auf irgendeinen. In der Bibel ist viel von diesem Geist die
Rede. Im Brief des Apostel Paulus an die Römer wird dieser Geist so
definiert: Es ist der Geist, der zu Kindern Gottes macht.
Mit zu Kindern machen ist hier nicht
gemeint, unmündig oder gar kindlich zu machen, sondern ganz im
Gegenteil: als Kind mit hinein genommen zu sein in die Familie
Gottes, als gleich- und erbberechtigtes Mitglied dieser Familie. Mit
hinein genommen auch in die Verantwortung.
Es ist ein Geist, der nicht in die
Unfreiheit oder Ängstlichkeit führt, der nicht Angst und Schrecken
verbreitet, sondern der atmen und leben lasst, es ist ein Geist, der
mutig macht.
Und jeder von uns kann diesen Geist
haben. Weil Gott zu jedem von uns sagt: ich möchte dich haben. Und
das nicht nur am Sonntag, sondern jeden Tag der Woche. Auf den Geist
kommt es an, auch in unserem Zusammenleben in den Familien, in den
Gemeinden und Städten.
Samstag, 22.April 2006
Ganz schön spannend können Wahlen
sein, wie die letzten Urnengänge in unseren Nachbarländern Ungarn
und Italien bewiesen haben. Eine Stimme zu haben oder nicht ist
wahlentscheidend.
Eine Stimme zu haben ist auch im
ganz wortwörtlichen Sinn wichtig. Wie wichtig unsere Stimme ist, das
merken wir dann, wenn wir keine Stimme haben, zum Beispiel, weil wir
heiser sind. Menschen die stumm sind, ersetzen die fehlende
Sprechmöglichkeit zum Beispiel mit der Gebärdensprache. Das ist dann
ihre Stimme.
Jemandem oder Etwas eine Stimme zu
geben, das ist auch im übertragenen Sinn ein Anliegen, das mit
entscheidend ist für die Qualität unseres Zusammenlebens.
Den so genannten Stummen und
Sprachlosen und ich meine damit Menschen, die keine Lobby in den
Machtzentren der Gesellschaft haben, ich meine damit ausgegrenzte
und wenig angesehene Menschen oder Menschen, die keine Hoffnung
haben, ihnen eine Stimme zu geben, das ist ein urchristliches
Anliegen.
Der Frieden zum Beispiel ist auch so
etwas, der unsere Stimme braucht. Gott hat durch Kreuz und
Auferstehung von Jesus Christus dem Leben gegen den Tod eine Stimme
gegeben. Das ist eine Stimme für eine neue Lebensperspektive. Sie
macht frei, weil sie sagt, dass das Böse nicht siegt, das Leid nicht
triumphiert und der Tod nicht das letzte Wort hat.
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