Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrer Roland Werneck, Studienleiter an der Evangelischen Akademie Wien

 

 

Sonntag, 11. Juni 2006

Religion ist Privatsache!

Diesen Satz höre ich oft in Diskussionen.

Es gehört zu den Grundrechten jedes einzelnen Menschen, über sein Religionsbekenntnis selbst zu bestimmen. Insofern kann ich dem Satz zustimmen.

Aber richtig ist auch: wenn Religion nur Privatsache wäre, gäbe es z.B. für niemanden einen arbeitsfreien Sonntag. Kein Sonntag, kein Wochenende – unvorstellbar! Unser Leben, unsere Kultur, unsere Gesetze in Europa sind ohne das Christentum nicht zu denken.

Und das Christentum ist ohne seine Wurzel im Judentum nicht zu denken. „Am siebenten Tag sollst Du ruhen!“ heißt es in den 10 Geboten. Der jüdische Sabbat, ein heiliger Ruhetag, ist so zum Geschenk für die ganze Welt geworden.

Die Einteilung unserer Zeit in siebentägige Wochen ist nicht naturgegeben. Ein arbeitsfreier Tag, der regelmäßig wiederkehrt, ist nicht selbstverständlich.

Ob wir selbst  einer Religionsgemeinschaft angehören oder nicht: wir verdanken den Sonntag der Bibel und den Menschen, die die Gebote Gottes bewahrt haben.

Es ist nicht selbstverständlich, dass der Sonntag bei uns immer ein besonderer Tag bleibt. Viele setzen sich dafür ein: Kirchen, Gewerkschaften, auch manche Männer und Frauen aus Wirtschaft und Politik.

Der Sonntag betrifft uns alle. Religion ist nicht nur Privatsache.

 

 

Montag, 12. Juni 2006

Meine Religion ist Privatsache!

Wir sind es in Österreich nicht gewohnt, offen über Religion zu reden.

Für manche ist dieses Thema noch intimer als Sexualität oder die Frage nach der Höhe des Gehaltes.

Es gibt sicher gute Gründe, über Religion nicht öffentlich sprechen zu wollen.

Niemand will sich gerne in den Fragen des Glaubens etwas dreinreden lassen.

Manchmal aber kann es gut sein, sich darüber auszutauschen, wie wir unser Glaubensleben gestalten.

Vor kurzem war ich bei einem Treffen in Innsbruck, wo in einer überschaubaren Runde genau über diese Fragen gesprochen wurde. Eine muslimische Frau, die aus Deutschland stammt, unterhielt sich mit einer Jüdin und einer griechisch-orthodoxen Christin.

Ich war überrascht, wie offen diese drei Frauen über ihre Erfahrungen als Angehörige religiöser Minderheiten sprechen und wie gut sie einander zuhören konnten. Sie sprachen über Gemeinsamkeiten, aber auch über die Unterschiede in ihren Religionen. Aber das Wichtigste war: sie sprachen miteinander und regten auch die anderen Anwesenden dazu an, ihre Erfahrungen mit der Religion im alltäglichen Leben auszutauschen.

Ich fühlte mich nach diesem Nachmittag beschenkt und erleichtert.

Wenn die Religion die Leute so friedlich zusammenbringt, wäre es schade, sie nur als Privatsache zu betrachten!

 

 

Dienstag, 13. Juni 2006

Meine Religion ist Privatsache!

Wer das sagt, hat meistens selbst schlechte Erfahrungen mit einer bestimmten Religion gemacht.

In Österreich darf niemand in Sachen Religion benachteiligt werden. Das ist ein großer Fortschritt. Das weiß ich als evangelischer Christ, der zu einer Minderheit gehört, sehr gut.

Es ist noch nicht so lange her, dass Evangelische in unserem Land wegen ihres Glaubens benachteiligt wurden.

Was Religionen betrifft, gibt es viele Vorurteile. Viele denken immer noch: diese  Religion ist  rückständig, oder: jene passt sich immer nur dem Zeitgeist an.

Gegen Vorurteile gibt es kein besseres Rezept, als miteinander zu reden. Begegnungen zwischen Religionen sind heute wichtiger denn je. Aber es genügt nicht, wenn nur die Bischöfe, Imame und Rabbiner bei offiziellen Treffen zusammenkommen.

Religion ist zu wichtig, um sie einigen wenigen Funktionären zu überlassen.

In Wien gibt es in manchen Bezirken Initiativen, die z.B. Straßenfeste für Angehörige aller Religionen veranstalten. Miteinander feiern, kochen, essen, musizieren – das alles gehört zur Begegnung der Religionen dazu. Das schöne Sprichwort „beim Reden kommen die Leut z´samm“ wird so umgewandelt: „bei der Religion kommen die Leut z´samm.“

Wer das einmal erlebt hat, wird mir zustimmen: Religion ist nicht nur Privatsache – Gott sei Dank!

 

 

Mittwoch, 14. Juni 2006

Religion ist Privatsache!

Dieser Satz ist verständlich, wenn wir daran denken, wie viele Kriege im Namen Gottes geführt worden sind. Die Religion wurde in der Geschichte schon oft dazu missbraucht, um zur Gewalt gegen Andersgläubige oder Andersdenkende aufzurufen. Ob Christen, Muslime, Juden oder Hindus - jede Religion hat sozusagen ihre Leichen im  Keller.

Doch wir sollten das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Wenn die Religion nur mehr als Privatsache angesehen wird, geht der Gesellschaft etwas Wichtiges verloren.

Denn in jeder Religion gibt es neben der gewaltbereiten Tradition Gott sei Dank  die Botschaft der Versöhnung und des Friedens. Viele religiöse Menschen lehnen Gewalt und Krieg in jeder Form ab. Martin Luther King und Mahatma Gandhi sind nur zwei prominente Beispiele aus der Geschichte. Ich habe vor kurzem erlebt, wie ein kroatischer Katholik und ein bosnischer Moslem, die einander im Krieg vor 10 Jahren bekämpften, gemeinsam einen Weg zum Frieden ohne Gewalt suchen.

Die sogenannte goldene Regel  gibt es in vielen Religionen. Wir kennen sie oft als Sprichwort: „Was Du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“

Ich meine, die Religionen sind es der Gesellschaft heute schuldig, immer wieder auf diese eindeutige Botschaft gegen Gewalt hinzuweisen und sie selbst vorzuleben.

Es geht letztlich um Glaubwürdigkeit.

Wenn Religion mehr sein will als Privatsache, müssen ihre Angehörigen öffentlich Frieden stiften!

 

 

Freitag, 16. Juni 2006

Ist Religion Privatsache?

Gott sei Dank haben wir in Österreich Religions- und Gewissensfreiheit. Das war nicht immer so.  Es gab Zeiten, als auch bei uns die Religion von den Mächtigen für politische Zwecke missbraucht wurde. Diese Zeiten wünscht sich niemand zurück.

Politiker in verschiedenen Ländern unserer Welt berufen sich auch heute gerne auf Gott, ob in den USA oder im Iran. Religion kann manchmal ziemlich unberechenbar, manchmal auch gefährlich sein. Deshalb finde ich es wichtig, sich damit zu beschäftigen, was die Menschen mit der Religion machen können und was die Religion mit den Menschen machen kann.

Der Glaube an Gott kann  auch dazu führen, den Mächtigen mutig zu widersprechen. Die Propheten des Alten Testaments widersprechen offen der Politik ihrer Könige. Wer sich von Gott geliebt weiß, braucht sich vor keinem irdischen Machthaber zu fürchten. In der Bibel gibt es den schönen Satz „Der Glaube kann Berge versetzen“. Ein solcher Glaube bleibt nicht im privaten Bereich stehen. Ein solcher Glaube will Grenzen überschreiten, zwischen den Generationen, den Geschlechtern, den Kulturen.

In meiner täglichen Arbeit an der Evang. Akademie Wien habe ich viel mit solchen Grenzgängern zu tun. Sie suchen nach Gerechtigkeit, sie suchen nach Frieden und Versöhnung.

Oft reden sie gar nicht viel über ihren Glauben, aber sie leben ihn.

Ich empfinde diese Form von Religion als ein Mutmachmittel. Ich wünsche mir, dass dieser Mut nicht privat bleibt, sondern möglichst viele ansteckt.

 

 

Samstag, 17. Juni 2006

Religion ist Privatsache!

In manchen Kreisen bei uns gilt es fast als peinlich, sich zu seiner Religion zu bekennen, wenn man danach gefragt wird. In anderen Ländern und Kulturen haben die Menschen weniger Hemmungen. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft z.B. gibt es Spieler aus Lateinamerika und Afrika, die sich vor dem Spiel bekreuzigen oder unter ihrem Nationaltrikot ein Unterhemd mit einem Bibelspruch tragen, den sie beim Torjubel zeigen. Diese unbekümmerte Art, den Glauben öffentlich zu machen, ist für mich als aufgeklärten Mitteleuropäer irgendwie befremdlich. Ich ertappe mich dabei, zu lächeln und mich darüber erhaben zu fühlen. Ist diese religiöse Begeisterung echt oder ein Marketing-Trick? Ist ein solches Verhalten nicht auch ein wenig naiv?

Es gibt im 21. Jahrhundert sehr unterschiedliche Formen von Religiosität. Aber das europäische Christentum in den traditionellen Konfessionen ist weltweit gesehen längst eine kleine Minderheit. Die Christen in Lateinamerika und Afrika leben eine andere Frömmigkeit, die uns manchmal sehr fremd vorkommt. Als ich vor Jahren einen evangelischen Gottesdienst in Tanzania besucht haben, wurde drei Stunden lang getrommelt, gejubelt, getanzt. Eine solche Hingabe und Ausdauer hatte ich in Europa in keiner Kirche erlebt – höchstens im Fußballstadion!

Manchmal wünsche ich mir, dass diese ehrliche Begeisterung auch bei uns wieder in die Kirchen einzieht. Dann würde es auch niemandem mehr peinlich vorkommen, sich zu seiner Religion zu bekennen.