Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

„Gott in allen Dingen suchen und finden“

Morgenanwendungen eines Wortes von Ignatius von Loyola, Gründer des Jesuitenordens und Begründer der „Ignatianischen Exerzitien“

zu seinem 450. Todesjahr

von Schwester Christa Baich

 

 

Sonntag, 10. 9. 2006

Gott im Leib

Beim morgendlichen Strecken und Aufstehen, beim Waschen und Anziehen, beim Zähneputzen, Frisieren und Eincremen, bei der Verdauung und beim Frühstück beschäftigen wir uns mit unserem Leib. Entgegen mancher Vorstellungen sagt das Christentum „ja“ zur Welt, zur Geschichte und zum leiblichen Dasein in der irdischen Wirklichkeit. Der Leib, der wir sind, ist ein Geschenk Gottes, und zwar ein gutes Geschenk. Er ist das Medium, durch das wir mit anderen kommunizieren und uns in unserer Identität ausdrücken können. So manche Heilige haben später erkannt, dass sie ihrem „Bruder Esel“, wie Franz von Assisi den Leib liebe- und humorvoll nannte, zu strenge Askese abverlangt haben. Für viele Menschen heute besteht eher die Gefahr, ihn durch zu viel Essen oder zu wenig Bewegung zu verweichlichen, oder aber ihm durch fehlende Lebensrhythmen, einen ungesunden Lebensstil oder falsche Schönheitsideale Gewalt anzutun.

Ohne ihn zu vergötzen, sollen wir unseren Leib schätzen und pflegen, fördern und fordern. Er ist ja, wie Paulus sagt „Tempel des Heiligen Geistes“, und wir tun gut daran, den Rat der Mystikerin Teresa von Avila zu befolgen: „Tu deinem Leib Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen!“

 

 

Montag, 11. 9. 2006

Gott im Morgenritual

Ich weiß von einem alten Jesuitenpater, der legt sich jeden Morgen flach auf den Boden, breitet, am Rücken liegend, seine Arme aus und verharrt einige Augenblicke in dieser Haltung. So nimmt er den neuen Tag von Gott entgegen.

Eine Freundin von mir beginnt den Tag, wenn immer möglich, mit einem kurzen Spaziergang in der Natur, um sich bewusst zu werden: dieser Tag ist Teil ihrer Lebenszeit, Gabe und Aufgabe zugleich.

In Exerzitien erzählte mir einmal eine ältere Ordensschwester, dass sie sich als erstes in der Früh eine Tasse Kaffe kocht und, diese genießend, mit Jesus über das spricht, was sie in Gedanken an den kommenden Tag bewegt.

Und vom großen Cellisten Pablo Casals weiß man, dass er von Kind an bis ins hohe Alter jeden Morgen mit einem Präludium und einer Fuge von Bach begonnen und dabei, wie er schreibt, das Wunder ausgekostet hat, ein Mensch zu sein.

Ich selbst versuche beim Öffnen des Fensters und Spüren der kühlen Luft, die auf mich einströmt, auch mich dem Tag mit allem, was er bringen mag, zu öffnen.

Für wahrscheinlich viel mehr Menschen, als wir vermuten, gehört ein Morgengebet in irgendeiner Form zum Beginn eines neuen Tages.

Haben auch Sie ein Morgenritual, um den Tag zu begrüßen?

 

 

Dienstag, 12. 9. 2006

Gott im Spiegel

Der morgendliche Blick in den Spiegel ist ja nicht immer dazu angetan, unsere Seele zu erheben. Und doch: Genau so wie ich mir da entgegenblinzle, verschlafen und unfertig, bin ich von Gott geliebt – vom Anfang des Tages an, noch bevor ich mich „derfangen“, gewaschen, zurecht- und frisch gemacht, verschönert, geschminkt, frisiert habe. Ebenso war ich vom Beginn meines Lebens an, noch bevor ich aus mir selbst etwas machen konnte, von Gott gewollt und angenommen, ja von Ihm ins Dasein geliebt, wie es ein schönes Wort sagt.

So wie ich mir im Spiegel begegne: Gerade im Ungeschönten des Leibes, vielleicht mit ein paar vagen Traumfetzen im Kopf, vielleicht mit mehr Ahnung als sonst von den undurchschaubaren, chaotischen, trüben Seiten meiner selbst, gerade so, wie ich eigentlich von anderen Menschen nicht unbedingt gesehen werden will – weder von außen noch von innen – blickt Gott mich mit all seinem Wohlwollen an und lächelt mir gleichsam ermutigend zu.

Ob ich vor dem Spiegel – diesen, seinen Blick auf mich – vielleicht von Ihm lernen könnte?

 


Mittwoch, 13. 9. 2006

Gott in den ersten Begegnungen

Das Christentum wird auch „Religion der Nächstenliebe“ genannt. Wobei uns die Liebe zum Übernächsten, der nicht mit uns lebt und uns morgens nicht in die Quere kommt und das Badezimmer besetzt, bisweilen noch leichter fällt.

Wie sehen die ersten Begegnungen meines Tages aus? Gehe ich davon aus, dass die anderen meinen Morgengrant selbstverständlich ertragen, am besten noch als Stimmungsaufheller fungieren?

Vielleicht könnte ich den Spieß einmal umdrehen und auf meinen Beitrag achten, dass der Tag für den anderen gut beginnt! Ihn oder sie bewusst wahrnehmen und mich fragen: Wie will Gott mir durch ihn, durch sie begegnen? Vielleicht könnte ich den anderen damit überraschen, dass ich ihm herzlich und ehrlich „Guten Morgen“ wünsche; oder dass ich ihn nicht als erstes mit Forderungen oder Organisatorischem überfalle; oder dass ich pünktlich erscheine und keinen Stress verbreite; oder dass ich mich beim Frühstück nicht als erstes in die Zeitung vergrabe. Vielleicht könnte ich mir einfach die Frage stellen: Was würde ihr oder ihm gut tun?

Alle Menschen brauchen mehr Liebe, als sie bekommen. Das gilt auch für die Menschen, mit denen ich lebe.

 

 

Donnerstag, 14. 9. 2006

Gott im Straßenverkehr

Für viele gehört der Weg zur Arbeit zum Beginn eines Tages: Mit Auto, Straßenbahn, Fahrrad, Bus, U-Bahn oder vielleicht auch zu Fuß muss man ihn halt hinter sich bringen. Man ärgert sich über den Stau, man empfindet die anderen Verkehrsteilnehmer im Grunde genommen als Hindernisse des eigenen Fortkommens. Der Weg zur Arbeit ist ein lästiges Übel; das Positivste an ihm ist, wenn er vorbei ist.

Oder ist die alte Weisheit, dass auf dem Unterwegssein ein eigener Segen liegt, auch auf unsere hektische Zeit anwendbar? Gibt es Möglichkeiten diesen Weg sogar zu nützen – als zusätzliche, von Gott geschenkte Zeit? Ich könnte zum Beispiel, statt mich fruchtlos und ungeduldig zu ärgern, aufmerksam in mich selbst hineinhören: Was bewegt mich eigentlich? Was oder wer erwartet mich heute? Die Gedanken daran, oder auch ein vorbei geschobener Kinderwagen oder die Sirene eines Rettungsfahrzeuges könnten Impuls zu einem Stoßgebet werden, zu einer Bitte um Gottes Hilfe oder Segen oder zu einem Dank. Die anderen Verkehrsteilnehmer könnten in meinem Bewusstsein von Konkurrenten, die leider auch auf der Straße sind, zu Mitgeschöpfen Gottes werden, denen ein Lächeln, eine Höflichkeitsgeste, ein Dank oder einfach nur ein wohlwollender Gedanke gut tun.

 

 

Freitag, 15. 9. 2006

Gott in der Zeitung

Ob die schlauen Bücher Recht haben, laut denen Männer nicht nur besser einparken und schlechter zuhören können, sondern auch lieber Zeitung lesen als Frauen? Die morgendliche Zeitungslektüre ist jedenfalls für viele Menschen wichtig. Für mich auch. Da finde ich Informationen, Erheiterndes und Klatsch, positive Meldungen, aber auch Schreckensnachrichten von Katastrophen und Verbrechen. Da kann schon der Gedanke auftauchen: In welch seltsamer Welt wir doch leben! Und eine jüdisch-christliche Grundüberzeugung erscheint dann fast als Zumutung: nämlich der Glaube daran, dass es Gott um diese konkrete Welt geht. Dass er kein Gott ist, der die Welt – vielleicht – einmal in Gang gesetzt und sich danach zurückgezogen hat, sondern darin heute wirkt und zwar zum Heil von uns Menschen.

Vielleicht möchten Sie sich beim morgendlichen Zeitung lesen einmal bewusst begleiten lassen vom Gedanken: Gott ist das alles nicht egal. Er will und wird das alles – letztlich – zu einem guten Ende führen. So zu denken erfordert den Verzicht auf ein vorschnelles Urteil über Gott, der in seiner Allmacht die Welt doch wohl besser hätte einrichten können. Ein solcher Gedanke ist ein wirklicher Akt des Glaubens und des Vertrauens.

 

 

Samstag, 16.9. 2006

Gott im Aufstehen

Mit dem Aufstehen beginnt für die meisten Menschen der Tag – eine banale Feststellung. Was aber, wenn jemand mit dem linken Fuß aufgestanden ist oder wenn jemand nicht so recht auf seine Füße kommt?

Sich morgens bewusst auf beide Füße zu stellen, zu spüren, dass ich getragen bin von einem festen Boden, dass ich wie alle Mitgeschöpfe des Menschen dieser Erde angehöre, und zugleich aufgerichtet bin nach oben, zum Himmel hin – diesen Akt des Aufstehens bewusst zu vollziehen, könnte uns etwas über unsere Bestimmung als Menschen sagen.

Jesus war die heilende Aufrichtung einer gekrümmten Frau so wichtig, dass er dafür das strenge Sabbatgebot übertrat. Und im Alten Testament spricht Gott zum Propheten Jeremia bei dessen Berufung: „Stell dich auf deine Füße!“

Aufrechte, aufrichtige Menschen, die mit beiden Füßen auf der Erde stehen, Menschen mit aufrechtem Gang und mit Rückgrat, die sich hinstellen und für etwas einstehen können: Solche Menschen braucht Gott. Solche Menschen braucht die Kirche und braucht unsere Gesellschaft.