Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
„Kommunikation oder: Vom
Versuch einander zu verstehen“
von Mag.a Hemma Spreitzhofer, Kommunikationstrainerin in Wien
Sonntag, 17.9.2006
Besonders berührende Momente in meiner Arbeit als Kommunikationstrainerin
erlebe ich, wenn ich die Teilnehmenden bitte, sich in kleinen
Gruppen zusammenzusetzen und wenn sie einander noch nicht kennen,
darüber zu phantasieren, was jede einzelne unbekannte Person gut
kann, welche positiven Eigenschaften sie haben könnte. Und wenn die
Menschen einander kennen, dann bitte ich sie, einander zu erzählen,
was sie aneinander besonders schätzen, was sie an Wohltuendem
bereits erfahren haben. In diesen Minuten geschieht ganz
Unterschiedliches: manchen ist es fast peinlich, ja unangenehm,
soviel Anerkennung zu hören: Kann es stimmen, dass ich tatsächlich
ein so wunderbarer Mensch bin? Steht da in manchem Gesicht
geschrieben. Und andere sitzen da, hören zu und nehmen jedes
einzelne Wort auf. Sie erinnern mich dann an die so genannte Rose
von Jericho, die über Jahre in der Wüste trocken zusammengerollt
liegen kann und dann – innerhalb kürzester Zeit wieder aufgehen und
grün werden kann, wenn sie wieder Wasser bekommt. Wenn Menschen sich
erlauben, einander nährende Worte der Anerkennung und der
Wertschätzung zu schenken, dann können sie einander zum Blühen
bringen.
Montag, 18.9.2006
Vom hl. Franziskus und dem hl. Dominikus wird erzählt, dass sie bei ihrer
ersten Begegnung kein einziges Wort gesprochen haben. Sie seien
vielmehr einfach stumm zusammen gesessen. Und als sie auseinander
gegangen sind, hatte einer dem anderen sein Leben mitgeteilt. Zwei
begabte Schweigende.
In meinem Alltag erlebe ich oft das Gegenteil. Menschen reden einander
nieder, prasseln aufeinander ein mit einem Schwall an Worten. Und
ich werde manchmal das Gefühl nicht los, dass es dabei weniger um
den Inhalt geht, als um die Botschaft: Hör mir zu! Ich bin wichtig.
Ich will deine Aufmerksamkeit. Und wir glauben: wenn das bisher
Gesagte noch nicht hilft, muss man noch mehr sagen, damit der andere
versteht. Doch das Gegenteil ist der Fall. Oft geschieht das
Wesentliche in Gesprächen gerade nicht im Reden, sondern in den
Momenten des Zuhörens. Wenn man sich erlaubt, in den anderen
hineinzuhören und das Gesagte in sich aufzunehmen. Zuhören ist eine
Form der Askese. Denn man verzichtet auf die vielen eigenen Worte
und gibt dem Anderen Raum. So wie das offensichtlich Franziskus und
Dominikus geschafft haben.
Dienstag, 19.9.2006
Das Wort Kommunikation kommt aus dem lateinischen communicare und das
bedeutet „teilen, mitteilen, teilnehmen lassen“; und auch „gemeinsam
machen, vereinigen“. Miteinander kommunizieren heißt also auch,
etwas miteinander teilen – nämlich die Welt miteinander teilen. Und
da geht es nicht darum, den anderen über den Tisch zu ziehen,
sondern wie die Wortbedeutung auch sagt „etwas gemeinsam zu machen“.
Wenn wir unsere Gedanken und Gefühle mit Sprache, mit Gestik und
Mimik austauschen, dann geht es nicht darum, einander mit fixen
Meinungen und Positionen zu attackieren, sondern etwas von sich
herzugeben, an den eigenen Gedankengängen teilhaben zu lassen, damit
der oder die andere verstehen kann. Und im gegenseitigen Austausch
kann sich etwas „vereinigen“, was vielleicht davor sogar noch
gegensätzlich war. Damit man etwas teilen kann, muss man wissen, was
man hat. Das heißt, wer sich mit-teilt, muss nicht nur mit dem
anderen, sondern auch mit sich selbst im guten Kontakt sein, damit
er sich nicht verliert. Kommunikation gelingt, wenn Menschen
einander begegnen und ihr Leben miteinander teilen. Dann kann auch
in der Kommunikation das kleine Wunder geschehen, dass durch Teilen
noch mehr wird….
Mittwoch, 20.9.2006
In vielen Gesprächen erlebe ich Menschen, die darüber klagen, dass sie
ihre Kolleginnen und Kollegen, ihren Partner, ihre Partnerin einfach
nicht verstehen können. Sie können es nicht fassen, dass jemand so
anders, so fremd sein kann, obwohl man meint ihn oder sie doch so
gut zu kennen. Aus der anfänglichen Faszination beim Kennen lernen
entwickelt sich ganz unmerklich ein Umerziehungsprogramm, damit man
aus dem noch nicht ganz so tollen Menschen vielleicht doch noch der
perfekte Partner, die perfekte Partnerin zusammenzimmern kann.
Dummerweise wehren sich die anderen in der Regel gegen wohlgemeinte
pädagogische Konzepte. Auch meine Umerziehungsprogramme sind
kläglich gescheitert. Um mich von meinen Umerziehungsideen zu
verabschieden, hilft mir immer wieder ein Bild des amerikanischen
Psychotherapeut Carl Rogers. Er hat Menschen mit Sonnenuntergängen
verglichen: „Menschen sind so wunderbar wie ein Sonnenuntergang,
wenn ich sie sein lassen kann. Ja vielleicht bewundern wir einen
Sonnenuntergang gerade deshalb, weil wir ihn nicht kontrollieren
können. Wenn ich einen Sonnenuntergang betrachte, höre ich mich
nicht sagen: Bitte das Orange etwas gedämpfter in der rechten Ecke
und etwas mehr Violett am Horizont und ein bisschen mehr Rosa in den
Wolken.“
Donnerstag, 21.9.2006
Für mich ist Beten eine Form von Kommunikation. Kommunikation mit Gott.
Und aus dem wie man betet, kann man viel für die Kommunikation mit
Menschen und umgekehrt lernen. Die einen meinen, Beten das ist Reden
mit Gott, wo man seine Anliegen und Wünsche möglichst gut
formulieren muss, damit man erhört wird. Beten ist für mich immer
mehr zu einer Übung geworden, „Gott zuzuhören“. Und um Gott zuhören
zu können, ist es gut, sich zu öffnen wie eine leere Schale und mit
neugierig-offenem Blick zu warten was da kommen mag. In dieser
leeren Schale sind keine Spinnweben alter Vorstellungen, wie Gott zu
sein hat. Diese leere Schale ist auch nicht dazu da, dass sie mit
mechanischen Gewohnheiten bis obenhin angefüllt wird. Die leere
Schale ist dazu da, in jedem Augenblick das aufzunehmen was ist, dem
was ist Raum zu geben. Und alles was dann geschieht ist das
Geschenk, wirklich diesen Augenblick zu leben und vielleicht eine
Ahnung davon zu bekommen, wer oder was Gott sein könnte. Und genau
das geschieht auch, wenn Menschen einander begegnen. Sie öffnen sich
füreinander wie offene Schalen, nehmen den Augenblick in sich auf
und geben dem was ist, Raum. Und dann eine Ahnung davon zu bekommen,
wer dieser andere Mensch sein könnte. Jeden Augenblick neu.
Freitag, 22.9.2006
Meine Freundin hat einen sehr großen Freundes- und Freundinnenkreis.
Und als ich sie einmal gefragt habe, ob ihr das nicht manchmal
zuviel werde, so viele Menschen um sie herum. Und sie hat etwas sehr
Bemerkenswertes geantwortet: „Ich bekomme soviel aus Begegnungen,
weil jeder Mensch etwas anderes aus mir heraus-liebt.“ Etwas wird
durch andere Menschen aus mir heraus-geliebt… Dieses Bild bewegt
mich seither, denn es bedeutet, dass Menschen im Kontakt miteinander
Seiten zum Vorschein bringen können, die sie alleine für sich gar
nicht entdecken könnten. Menschen können einander helfen, immer mehr
zum eigenen Wesen vorzudringen, das eigene Wesen-tliche zu erkennen.
Das ist möglich, wenn Menschen die vorgefassten und fein säuberlich
bereiten inneren Schubladen wie „das ist der immer Nörgler“, „die
ewig Unpünktliche“, „der schon wieder Langsame“ nicht bei jeder
Gelegenheit aufmachen, weil man meint, den oder die andere ohnehin
schon längst zu kennen. Etwas herauszulieben gelingt, wenn man sich
dessen bewusst ist, dass dieser Mensch mit all seinen Fehlern und
Schwächen in seiner gott-gewollten Einzigartigkeit größer,
vollkommener ist als er gerade in diesem Moment vielleicht
erscheint. Etwas herauszulieben gelingt, wenn man sich erlaubt, in
jedem Menschen das Vollkommene zu sehen. Vielleicht gibt gerade der
heutige Tag Gelegenheit dazu…
Samstag, 23.9.2006
Am öftesten streiten mein Partner und ich, wenn ich glaube, er
schenkt mir zu wenig Aufmerksamkeit und er meint, ich schenke ihm zu
wenig Interesse. Beide haben wir den Eindruck, wir bekommen zu
wenig. Ähnliches erlebe ich in vielen Unternehmen. Wenn ich mit
Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen spreche, dann kommt am öftesten:
wir bekommen zu wenig Anerkennung. Auf der einen Seite stimmt es,
dass wir noch zuwenig Kultur des Lobes und der Anerkennung
entwickelt haben. Auf der anderen Seite habe ich zumindest von mir
oft den Eindruck, dass ich wie am Tropf der Anerkennung von anderen
hänge, dass ich abhängig von ihrem Lob bin, weil ich mir selbst zu
wenig davon schenken kann. Oder wie oft kann ich tatsächlich im
Brustton der Überzeugung sagen: Hej, das hast du wirklich gut
gemacht! Stattdessen hoffe ich sehnsüchtig darauf, dass es andere zu
mir sagen, weil ich es mir selbst nicht glauben kann. Ich habe immer
gemeint, ich sei unabhängig von allem und jedem, aber die
existenziellste Abhängigkeit habe ich lange ausgeblendet: Die
Abhängigkeit von der Anerkennung der anderen. Sich von der Meinung
der anderen unabhängig zu machen, kann über den Weg des Glaubens
führen. Denn wenn ich glauben kann, dass dieser unbändig liebende
Gott mich in allem, was und wie ich bin anerkennt, und von Grund auf
liebt, kann ich mich befreien aus der Abhängigkeit vom Lob anderer
Menschen.
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