Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Morgengedanken
von Dr. Stefan Schlager (Linz)
Sonntag, 24.9.2006
Lust auf Glauben?
„Lust auf Glauben? Nein danke, eher nicht!“ – So wird wohl die Antwort
nicht weniger Zeitgenossinnen und Zeitgenossen ausfallen. Ein Grund
für diese Zurückhaltung könnte darin liegen, dass vielen Menschen
der Sinn von Glauben, sein Reiz, sein Nutzen für das Leben abhanden
gekommen ist. All zu lange wurde der Glaube mit einem Führwahrhalten
von bestimmten „Satz“-Wahrheiten verwechselt – zumal mit Wahrheiten,
die meilenweit vom „wirklichen Leben“ entfernt zu sein scheinen. So
verwundert es nicht, dass es Vorbehalte, Desinteresse, manchmal auch
Ablehnung gegenüber dem christlichen Glauben (bzw. dem, was dafür
gehalten wird) gibt.
Andererseits steckt in dieser Glaubenskrise auch eine Chance, nämlich die
Chance, wieder genau hinzusehen und die Lebensnähe, die
Lebensweisheit, den Reichtum des Christentums neu zu entdecken.
Anselm Grün hat das Christentum einmal mit drei Worten erklärt: glauben –
lieben – loben. Damit meint er: „Jesus hat uns nicht eine Fülle
neuer Gebote auferlegt, sondern er hat uns zuerst gelehrt, unser
Leben, die Welt und Gott neu zu sehen. Und aus dieser neuen Sicht,
die er uns selbst vorgelebt hat, erwächst dann von selbst auch ein
neues Verhalten und ein neues Daseinsgefühl.“ Jesus hat also den
Glauben als neue Sehweise, die Liebe als neue Verhaltensweise und
das Loben als Ausdruck unseres neuen Daseinsgefühls ermöglicht.“
Montag, 25.9.2006
Glaube - lebensnah
Es ging so schnell, dass er nicht einmal mehr flüchten konnte. Die Wand
stürzte ein und begrub meinen Großvater unter sich. Und so lag er
nun da, die Beine abgesperrt, der Oberkörper zugeschüttet, unfähig
sich zu bewegen. Und dabei hatte mein Großvater viel Erfahrung am
Bau. Er war ein geschickter Arbeiter. Nach dem ersten Besuch auf der
Intensivstation wurden seiner Frau Brille, Zahnprothese, Schuhe mit
nach Hause gegeben. Für sie ein Zeichen der Bedrohlichkeit seiner
Lage. Aber er hat es geschafft und erholte sich wieder. Nur seine
Beine wollten und konnten nicht mehr so gut. Wieder zuhause
entwickelte er seine eigene Therapie: Indem er auf dem Küchenboden
Kästchen für Kästchen vorrückte – am Anfang vom Sessel aus und mit
Schmerzen – erlangte er ganz langsam einen guten Teil seiner
Mobilität wieder.
Durch seine Art zu leben, durch seine Weise, Menschen und Ereignisse
wahrzunehmen und das Leben zu gestalten, habe ich erahnt, was
Glauben bedeuten kann.
Der große deutsche Theologe Dietrich Bonhoeffer, der 1945 als 39-Jähriger
von den Nazis hingerichtet wurde, notierte einmal: „Ich dachte
(früher), ich könnte glauben lernen, indem ich selbst so etwas wie
ein heiliges Leben zu führen versuchte... Später erfuhr ich und ich
erfahre es bis zur Stunde, dass man erst in der vollen
Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt.“
Dienstag, 26.9.2006
Den Humor wieder „ernster“ nehmen
Humor – der Milchbruder
des Glaubens
Diese Begebenheit werde ich nie vergessen: Obwohl durch einen
Gehirnschlag halbseitig gelähmt, zog mein Vater für einige Schritte
sein behindertes rechtes Bein übertrieben nach sich. Auch seinen
gelähmten rechten Arm ließ er besonders schwerfällig hängen. Dabei
grinste er verschmitzt und augenzwinkernd in die Runde. So wie ich
meinen Vater kennen gelernt habe, wollte er mit dieser
„humoristischen Einlage“ zeigen, wie sehr er damals seine schweren
Einschränkungen wahrnahm. Noch mehr zeigte er damit aber, dass er
sich nicht entmutigen ließ. Er, der auch seine Sprache verloren
hatte, trotzte auf ganz spezielle Weise seinem Leid – und war für
mich dabei der eindeutige Sieger! In dieser Begebenheit leuchtet für
mich bis heute die Lebensbejahung meines Vaters hell auf. Hier
schillert, verpackt in eine Parodie, seine Menschlichkeit, sein
Lachen, sein Humor.
Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber nannte den Humor einmal
treffend den „Milchbruder des Glaubens“ und begründet das so: „Wenn
ein Mensch nur Glauben hat, steht er in Gefahr bigott zu werden. Hat
er nur Humor, läuft er Gefahr, zynisch zu werden. Besitzt er aber
Glaube und Humor, dann findet er das richtige Gleichgewicht, mit dem
er das Leben bestehen kann.“
Wäre es nicht an der Zeit, den Humor endlich wieder „ernster“ zu nehmen?
Mittwoch, 27.9.2006
Den Alltag heilsam
unterbrechen
Das Kreuzzeichen
Vor 70 Jahren erschien der Charlie-Chaplin-Film „Modern Times“. Chaplin
spielt darin einen Heimatlosen, der durch Akkordarbeit am Fließband
zu Geld kommen will – und dabei wortwörtlich unter die Räder kommt.
Er wird Opfer der modernen Zeit mit ihrer enormen Beschleunigung.
Die Erfahrungen, die Chaplin in diesem Film verarbeitet, sind bis
heute nicht überholt. So haben viele ebenfalls das Gefühl, ihr Leben
in einem engen, genau getakteten Zeit-Korsett zu verbringen.
Hilfreich inmitten dieser Alltagshektik ist die Erfahrung einer
Unterbrechung, einer Unterbrechung, die eine andere Perspektive
eröffnet als das bloße „Funktionieren-Müssen“. Die bekannteste
Unterbrechung des Alltags ist für Christinnen und Christen das
Kreuzzeichen. Der große Münchener Theologe Romano Guardini schrieb
einmal in einer Meditation: „Du machst das Zeichen des Kreuzes,
machst es richtig. Kein hastiges, verkrüppeltes, ... Sammle dich
recht; alle Gedanken und dein ganzes Gemüt sammle in dieses Zeichen,
wie es geht von der Stirn zur Brust, von Schulter zu Schulter. Dann
fühlst du: ganz umspannt es dich, Leib und Seele; nimmt dich
zusammen, weiht dich, heiligt dich.“
Donnerstag, 28.9.2006
Lebenskünstler
„Tipps“ für mehr
Lebensfreude
Fast 3 Millionen Treffer gibt es zur Zeit zum Stichwort „Lebensfreude“ im
Internet. Wirklich Tiefgründiges und Gehaltvolles habe ich dort
jedoch nicht entdeckt. Fündig bin ich erst in Büchern geworden,
eines davon stammt von Dietrich Bonhoeffer. Bonhoeffer, der vor
seiner Hinrichtung durch die Nazis im Kerker saß, hat dort tiefe,
klare und berührende Gedanken geschrieben, die im Buch „Widerstand
und Ergebung“ Eingang gefunden haben. Darin kommt er – angesichts
der erlebten „Verpöbelung“ im NS-Staat – auch auf eine neue
Lebenskultur zu sprechen, auf eine Lebenskultur, der es um Qualität
geht. Bonhoeffer schreibt:
Qualität ist der stärkste Feind jeder Art von Vermassung.
Gesellschaftlich bedeutet (Qualität) den Verzicht auf die Jagd nach
Positionen, …, die Freude am verborgenen Leben, wie den Mut zum
öffentlichen Leben. Kulturell bedeutet das Qualitätserlebnis die
Rückkehr … von der Hast zur Muße und Stille, von der Zerstreuung zur
Sammlung, von der Sensation zur Besinnung, ... vom Snobismus zur
Bescheidenheit, von der Maßlosigkeit zum Maß.“
Ist nicht jeder Tag eine Chance, wieder aufs Neue auf Qualität zu achten
– bei der Wahl der Freunde, in meiner Arbeit, bei der Gestaltung
meiner Freizeit und meiner Religion?
Freitag, 29.9.2006
Was bei uns oben ist
Vor einiger Zeit räumten wir alte Bücher ein, als wir inmitten dieser
„Flohmarkt-Schätze“ auf eine Schachtel stießen. Wir öffneten sie und
fanden Fotos aus vergangenen Zeiten. Die Gestik und Mimik, die Haar-
und Bartmode, die Kleidung, die Umgebung – all das ließ uns raten,
wann denn diese Fotos gemacht wurden, wie und wo die hier
Abgebildeten gelebt haben. Eines fiel bei den Fotos noch auf: der
Einfluss und das Wirken des „Zeit-Geistes“!
So ist etwa im Foto eines k. u. k. Soldaten bis heute erkennbar, was zur
damaligen Zeit „ganz oben“ gestanden ist. In den Fotos aus den 30er
und 40er Jahren spiegelt sich ein anderer „Zeit-Geist“ wider. Das
Hakenkreuz an den Uniformen oder bestimmte Haar- und Bartmoden
zeigen, was und wer damals an erster Stelle zu stehen hatte. Dann
die Fotos aus den 50er und 60er Jahr: Unübersehbar ist darauf der „american
way of life“.
Wilhelm Willms, Literat und Priester, schreibt in einem seiner Gedichte:
„je nachdem was bei uns oben ist/
was für uns oben ist/
das kommt auch auf uns herab/
für jeden ist etwas anders oben/
als hitler für das deutsche volk oben war/
da konnte auch nur der geist dieses mannes
auf das deutsche volk herabkommen/
wenn der mammon oberstes prinzip ist/
dann kann auch nur der geist des mammon
auf uns herabkommen/...
sehen wir also zu/
was über uns ist/
was für uns oben ist/
wer für uns oben ist“.
Samstag, 30.9.2006
„Alles Karma oder was ...“
„Christentum im Abstieg? Esoterik im Aufwind?“ – Diese Frage stellen sich
heute immer mehr Menschen, auch auf dem Land. Besondere Faszination
übt dabei der „Karma“-Gedanke aus: Egal, ob es um Krankheit geht, um
einen Schicksalsschlag, um den Verlauf des eigenen Lebens, all das –
so die Esoterik – hat mit Karma zu tun.
Karma wird hier verstanden als „Prinzip der gerechten Vergeltung“: Alles,
was im persönlichen Leben geschieht, ist Resultat der vorherigen
Handlungen. Bleibt ein Mensch etwas schuldig („negatives Karma“),
muss er das in diesem Leben oder in den nächsten Leben „aufarbeiten“
bzw. „abarbeiten“.
Der esoterisch-interpretierte Karma-Gedanke wirkt auf den ersten Blick
verlockend logisch – genau betrachtet aber bürdet er Menschen, die
ohnehin schon großes Leid zu tragen haben, noch eine zusätzliche
Last auf: karmische Schuld.
Wie anders ist hier doch das Christentum! Auch Christinnen und Christen
kennen Schuld. Doch die eigene Schuld – so groß sie auch ist –
spannt nicht automatisch ein in ein enges und „folgenschweres
Verrechnungssystem“. Im Gegenteil: Menschen können und dürfen ihre
Schuld „abladen“. In Jes 38,17 heißt es, dass Gott unsere Sünden
hinter seinen Rücken wirft. Sie haben keine Geltung und Wirkkraft
mehr.
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