Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrerin Margit Geley, Evang. Pfarrgem. Salzburg-West in Taxham

 

  

Sonntag, 1.10.2006

Menschen sehnen sich nach paradiesischen Zuständen, das Schlaraffenland, in dem einem die gebratenen Hendln in den Mund fliegen ist legendär. Ich denke, dass das so ist, weil wir das Paradies schon selbst erlebt haben – jede und jeder einzelne. Als wir noch winzig kleine Menschenkinder im Bauch unserer Mutter waren, da waren wir im Paradies. Immer war es schön warm, nie war es zu laut, nie zu leise, immer waren wir satt, nie mussten wir warten, bis unsere Bedürfnisse befriedigt wurden. Wir mussten nichts leisten, nichts wurde erwartet von uns. Wir haben nichts gewusst von unserer Mutter, haben sie nie gesehen, hatten keinen Beweis, dass sie da war. Wir konnten sie nicht berühren, denn wir waren in unserer eigenen kleinen Welt. Trotzdem war sie um uns herum, die ganze Zeit war sie da. Es hat viele Zeichen gegeben, die Geräusche ihres Körpers, die Stimme, die so oft zu hören war, der Druck, den es so oft von außen gegeben hat.  Die Mutter hat uns alles zum Leben gegeben, was wir gebraucht haben. Nahrung, Sauerstoff, Wärme, Geborgenheit.

 

Ich glaube, dass es auch heute so ist. Ich glaube, dass wir Gott so erfahren können in unserem Leben, wie ein ungeborenes Kind seine Mutter spürt.

 

 

Montag, 2.10.2006

Wahrscheinlich haben sie heute auch schon in den Spiegel geschaut. Sie haben sich selbst gesehen, eine Frau, einen Mann – vielleicht noch müde, vielleicht auch schon voller Tatendrang. Sie haben ihr Spiegelbild gesehen, so wie Gott sie geschaffen und gewollt hat.

Am Anfang der Bibel steht: „Gott schuf die Menschen nach seinem Bild, er schuf sie als Mann und Frau.“ Wir denken Gott meistens männlich, doch das ist zu kurz gedacht. Gott spiegelt sich im Männlichen UND im Weiblichen – Gott ist also Mann UND Frau und darüber hinaus. Gott spiegelt sich in uns, in aller Vielfalt, die es gibt – in Frauen, in Männern, in Kindern, in Menschen jeder Hautfarbe. So können wir auch sagen: Gott ist eine Frau, Gott ist schwarz, Gott ist ein Kind, Gott ist hell, Gott ist dunkel. Gott ist mehr als ein weißer Mann  - wie ihn unsere Kultur oft denkt. In Gott sind alle Gegensätze aufgehoben, in Gott gibt es diese Unterschiede nicht mehr -  da gehören alle Gegensätze zusammen, wie verschiedene Seiten einer Medaille. So finden wir Gott in uns, wenn wir in den Spiegel schauen. In uns, in unseren ganz eigenen Fähigkeiten und Schwächen spiegelt sich Gott wieder – so hat er uns gewollt und geschaffen. Er hat einen Teil von sich selbst in jede und jeden von uns hinein gelegt.

 

 

Dienstag, 3.10.2006

Heute bewegt mich die weibliche Vergangenheit des Heiligen Geistes. In der hebräischen Sprache, in der der erste Teil der Bibel geschrieben ist; da heißt der Heilige Geist „ruach“ und ist weiblich. Ruach ist verwandt mit dem Begriff „Weite“, sie schafft Raum, sie setzt in Bewegung, führt aus der Enge in die Weite und macht so lebendig. Ruach kann dann Atem, Wind, Sturm, Lebenskraft, Schöpferkraft bedeuten (Wörterbuch der fem. Theologie, Verlag Gütersloh, S146) . Die Kraft Gottes hat immer etwas mit Bewegung zu tun, sie bewegt Menschen, schafft neue Möglichkeiten, tut Türen auf.

Die Kraft Gottes macht aktiv und schenkt Bewegung, die Kraft Gottes führt uns aus engen Lebenssituationen zu neuer Weite.

 

Die Kraft Gottes, die Ruach ist weiblich, sie ist der dritte Teil der Dreiheit Gottes. Gott, der Vater, Jesus der Sohn, die Ruach, der Heilige Geist, die Mutter, die Leben schenkt und Kraft gibt.  So haben wir in Gott auch eine Mutter. Diese mütterliche Seite Gottes schenkt uns Energie, wenn wir kraftlos sind. Diese mütterliche Seite Gottes lässt uns neue Perspektiven entstehen, wenn wir keinen Ausweg wissen. Diese mütterliche Seite gibt uns jeden Tag neue Kraft zum Leben – auch heute.

 

 

Mittwoch, 4.10.2006

Im Buch des Propheten Jesaja in der Bibel, da sagt Gott: „Ich tröste euch, wie eine Mutter tröstet“. Gott ist wie eine Mutter, dieses Bild kommt im ersten Teil der Bibel immer wieder vor. Gott tröstet, wie eine Mutter tröstet, das berührt mich sehr.

Als Mutter bin ich für mein Kind da, ich kenne es, ich weiß und spüre, was es braucht. Wenn es sich weh tut, dann beruhigt sich mein Kind in meinen Armen. Wenn es sich fürchtet, wird es wieder mutig. Wenn ihm alles zuviel wird, sucht es bei seiner Mutter Zuflucht und Geborgenheit. Wenn ein Kind traurig ist, dann wird es im Arm seiner Mutter wieder froh.

 

Gott tröstet, wie eine Mutter tröstet. So dürfen wir uns Gott vorstellen, so dürfen wir zu Gott kommen. Wenn wir Angst haben, finden wir bei Gott Frieden – denn bei Gott, unserer Mutter wird kein Heldentum verlangt. Wenn die Last des Alltags zu schwer ist und wir nicht weiter wissen, dann finden wir bei Gott Entlastung – denn bei Gott, unserer Mutter wird keine Perfektion verlangt. Gott tröstet, wie eine Mutter tröstet. Eine Mutter ist für ihr Kind da, sie hält zu ihm, sie liebt es, auch wenn es eigene Wege geht. Gott tröstet, wie eine Mutter – Gott liebt uns wie eine Mutter.

 

 

Donnerstag, 5.10.2006

In unserer Bibel wird von Gott oft auch als Mutter gesprochen. Wenn ich mir eine Mutter vorstelle, dann denke ich zuerst an eine schwangere Frau mit ihrem ungeborenen Kind.

Die Mutter umgibt ihr Kind, ist von allen Seiten um ihr Kind herum, immer ist sie da. Sie versorgt ihr Kind mit allem, was es zum Leben braucht, sie schützt es, sie sorgt sich um ihr Kind. Sie kennt und liebt es, auch wenn sie es noch gar nicht gesehen hat. Eine Mutter ist für das Kind die Welt, in der und von der es lebt.

 

Gott ist für uns wie eine Mutter für ihr Kind. Eine Mutter fragt nicht nach, ob das Kind in ihrem Bauch weiß, dass es sie gibt. So denke ich auch, dass es für Gott keinen Unterschied macht, ob wir wissen, dass es ihn gibt. Für Gott sind wir wichtig, weil wir sind. Er sorgt sich um uns, er gibt uns alles, was wir zum Leben brauchen. Auch wenn wir seine Zeichen in dieser Welt nicht sehen. Gott ist uns auch Mutter, so wie er uns Vater ist. Eltern lieben ihre Kinder, sie stellen keine Bedingungen für ihre Liebe.

Trotzdem macht es für mich als Menschen einen Unterschied, ob ich Gott in dieser Welt sehen kann. Ich erfahre die Zuneigung, die mir zuteil wird. Ich weiß mich gewollt in dieser Welt – über das menschliche Maß hinaus. Die Vorstellung von Gott als Mutter gibt mir das Gefühl großer Geborgenheit.

 

 

Freitag, 6.10.2006

Eine Woche neigt sich wieder dem Ende zu. Vieles haben wir geleistet, manches hat uns bewegt. Das Wochenende steht vor der Tür – für viele eine Zeit des Ausspannens und des zur Ruhe kommens.

Mir fällt die Geschichte von Jesus und Nikodemus ein: Sie sprechen darüber, wie jemand zu glauben beginnt. Und Jesus sagt dann: „wer nicht neu geboren wird aus dem Wasser und der Kraft des Geistes, kann nicht in Gottes Reich kommen!“ (Joh3/5). Nikodemus versteht ihn nicht und fragt nach: „ aber ich kann doch nicht wieder in den Bauch meiner Mutter gehen....“. Nikodemus hat aber doch richtig verstanden: es gibt die mütterliche Kraft in Gott, die neues Leben schenkt – auch wenn es nicht so körperlich gemeint war. Eine Geburt ist ein Ereignis, das Spuren hinterlässt, eine Geburt bezeichnet gleichzeitig ein Ende und einen Anfang – das sagt Jesus dem Nikodemus: dein altes Leben wird zu Ende sein und ein neues Leben wird beginnen – dann wird die Kraft Gottes dich in eine neue Weite des Lebens führen.

 

Neu geboren zu werden, das verspricht uns Jesus, wenn wir die Welt und Menschen mit seinen Augen zu sehen lernen. Da beginnt etwas Neues, jenseits aller unserer menschlichen Maßstäbe. Mit Jesu Augen zu sehen bedeutet, dass wir alte Sichtweisen verrücken können, auch auf die Gefahr hin, dann als verrückt zu gelten.

 

 

Samstag, 7.10.2006

Spannende Tage liegen hinter uns. Viele fiebern wohl mit in diesen Tagen, wie eine neue Regierung aussehen wird.

Als Pfarrerin und Mutter gibt es viele Themen, die mir am Herzen liegen: ich möchte in einer Welt leben, in der Menschen in ihrer Vielfalt angenommen werden. Ich möchte in einer Welt, in einem Österreich leben, wo „Anders sein“ eine Qualität in sich birgt.

So denke ich an Jesus, der die „Anderen“ immer in den Vordergrund gestellt hat. Ich denke daran, dass er in einer Welt gelebt hat, die von Männern dominiert war.  Frauen galten als Besitz, sie mussten sich unterordnen.

Jesus hat dennoch Frauen in den Mittelpunkt gestellt und immer wieder hervorgehoben. Sie waren seine Jüngerinnen, seine Freundinnen, haben von ihm gelernt und haben mit ihm gelebt. Jesus wusste um die spirituelle Begabung von Frauen. Er wusste, dass sich Gott nicht nur im Glauben von Männern spiegelt, sondern ebenso im Glauben von Frauen. So hat Jesus gewusst, dass Menschen, die anders waren, immer auch einen Teil Gottes in sich tragen. So wusste Jesus, dass wir den ganzen Reichtum Gottes nur erleben können, wenn wir die, die anders sind annehmen. Denn sie tragen einen besonderen Teil Gottes in sich.