Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Eva-Maria Wernig, Pastoralassistentin und Präsidentin der Kath. Aktion Klagenfurt

 

 

Sonntag, 22.10.2006

Ich wünsche Ihnen und auch mir selbst einen guten Morgen.

Es freut mich, Ihnen heute und in den nächsten Tagen begegnen zu dürfen, zwar nicht persönlich auf der Straße, aber vielleicht doch auf Ihrem Lebensweg. Ich möchte Ihnen begegnen mit kurzen Morgengedanken und hoffe, dass wir uns von guten Worten beschenken lassen.

Was ist das Glück?

Ein glückliches und in jeder Hinsicht gelingendes Leben, das wünschen wir uns alle. Aber was ist eigentlich „Glück“? Die einen sehnen sich nach einer vollendeten und damit zugleich krisensicheren Partnerschaft, die andern nach Gesundheit oder unermesslichem Reichtum, der keine Wünsche offen lässt. Wie oft aber verwechseln wir das Glück des „Habens“, also der Anhäufung kontrollierbarer Dinge wie z.B. materieller Gegenstände, mit dem Glück des „Seins“, der im tiefsten Herzen spürbaren inneren Freiheit und Unabhängigkeit, die uns ermöglicht, uns an uns selbst und an der Fülle unserer Fähigkeiten und Begabungen zu erfreuen.

Wir können uns von Tag zu Tag darin einüben, die schöpferischen Kräfte in uns selbst aufzuspüren, um uns dadurch selbst auszudrücken und auf vielfältige Art und Weise zur Sprache kommen zu lassen. Wenn wir wieder mehr in unsere Tiefe hineinfühlen und wahrnehmen lernen, werden wir eine leise Ahnung davon bekommen, dass der eigentliche Reichtum unseres Lebens weder in einer Fülle von materiellem Überfluss noch in grenzenlosem Erfolg liegt.

Dann werden wir ein Gespür dafür entwickeln, dass der Schatz unseres Lebens tief in uns selbst verborgen ruht und nur darauf wartet, im Laufe der uns zur Verfügung stehenden Jahre gehoben zu werden.

So wünsche ich uns allen an der Schwelle des neuen Tages – aus der Tiefe kommendes Glück!

 

  

Montag, 23.10.2006

Guten Morgen!

Ich wünsche Ihnen heute eine gute Zeit. Die Zeit ist eine kostbare Gabe. Wir können sie nicht festhalten, besitzen, sondern nur nützen, sie sinnvoll erfüllen oder sie leer verstreichen lassen. Die Zeit ist eine der edelsten Gaben, weil sie nicht käuflich erworben werden kann. Wir können sie nur empfangen, weil sie uns geschenkt wird - in gleicher Weise den Jungen und Alten, den Reichen und Armen, den Traurigen und Frohen, den Weinenden und Lachenden. Das Leben ist schön. Aber nicht immer geht es uns gut.

„Klagen hat seine Zeit, Tanzen hat seine Zeit…

Suchen hat seine Zeit, Verlieren hat seine Zeit…

Schweigen hat seine Zeit, Reden hat seine Zeit…“

 

Ein Jahrtausende alter Text aus der Bibel, der sich simpel anhört, aber eine tiefe Lebensweisheit zum Ausdruck bringt. Im Leben geht nicht alles gleichzeitig. Da gibt es Zeiten, in denen wir trauern und klagen. Vielleicht, weil wir einen geliebten Menschen verloren haben. Oder weil etwas nicht stimmt in unserem Leben, wir eine Prüfung nicht bestanden haben, unglücklich verliebt sind, unseren Arbeitsplatz verloren haben. Das sind keine Situationen, die wir einfach übergehen können – oder sollten.

Das wird uns heute oft angeboten: Narkotisieren Sie sich doch mit Alkohol - besser klingt natürlich das ansprechende Motto aus der Werbung: „Sail away“. Oder: Fliehen Sie nach Mallorca, raus aus dem Alltag, weg von den Verpflichtungen und Verbindlichkeiten! Lasst uns doch alle abhauen!

NEIN. Augen auf und zulassen, spüren, ernst nehmen. Zum Leben gehören Höhen und Tiefen. Lassen wir uns ein auf die Zeit, die heute vor uns liegt!

 

 

Dienstag, 24.10.2006

Guten Morgen!

Einige Stunden des heutigen Tages haben Sie schon schlafend und vielleicht auch träumend verbracht. Jetzt sind Sie wach und blicken in den nächsten Stunden erwartungsvoll und hoffend auf einen guten Tag und auf viele gute Begegnungen. Auf meinem Lebensweg brauche ich Haltepunkte, an denen ich Bilanz ziehen kann, zurückschauen, prüfen, planen, mich orientieren, nach vorne blicken. Ich brauche Freudenfeste genauso wie Trauertage. Ich brauche Krisenzeiten und Erfolge. Ich brauche Feiertage zwischen den Alltagen, stille Tage und Vorbereitungstage, Tage des Kennenlernens und des Abschieds. Ich brauche Haltestellen, damit mein Leben kein Einheitsbrei wird und ich nicht nur mit anderen mitschwimme - unfähig, selbst eine Richtung einzuhalten. Ich brauche die Haltepunkte, um stehen zu bleiben, Atem zu holen und neu anzufangen. Es gibt Zeiten, in denen kommt es mir so vor, ich würde durch die Hölle gehen: Ein geliebter Mensch stirbt, oder ich glaube selbst, dem Tod ganz nahe zu sein. Ich halte die Schmerzen nicht mehr aus oder traue mich vor Angst und Unsicherheit nicht mehr unter die Menschen. Ich mag mich selber oft nicht mehr leiden. Leide unter Lieblosigkeit oder Brutalität meiner Mitmenschen.

Zum Glück geschieht das aber nicht oft. Zum Glück lebe ich meistens sehr gut. Zum Glück freue ich mich immer wieder meines Lebens. Zum Glück halten keine Enttäuschung und kein Schmerz auf Dauer an. Zum Glück überwinde ich irgendwann meine Angst. Zum Glück begegnen mir immer wieder liebevolle, freundliche Menschen.

Manchmal kommt es mir so vor, als würde mir der Himmel ganz nah sein. Ich erlebe, wie Menschen sich gegenseitig verzeihen. Ich erfahre viel Hilfsbereitschaft. Ich spüre, wie der Mut in mir wächst. Und mir wird deutlich, wie sehr ich die Menschen und das Leben liebe.

Ich wünsche Ihnen für den heutigen Tag, dass der Himmel Ihnen ganz nahe ist!

 

 

Mittwoch, 25.10.2006

Guten Morgen!

Begegnungen sind entscheidend für unser Lebensglück. Aber die Wege zu unseren Nächsten sind manchmal sehr weit und mühsam.

Ein irischer Weisheitsspruch lautet: „Auf dem Weg zu Deinem Freund soll kein Gras wachsen“. Erschrecken wir nicht manchmal, dass die Wege und Straßen, Pfade und Stege zu vielen Mitmenschen schon mit viel Gras oder gar mit Gestrüpp überwuchert sind? Oft genügt nur ein gutes Wort oder ein offener und ehrlicher Blick in die Augen des anderen und es erstrahlt neues Licht in den Alltag der flüchtigen Begegnungen. In einem einzigen Augenblick kann sich das Wunder einer tiefen Begegnung ereignen, denn die Augen sind die Türen unseres Herzens und die offenen Fenster des Inneren. Einem in die Augen schauen, heißt eins werden mit seiner Freundlichkeit und seinem Wohlwollen; heißt überrascht werden von seiner Offenheit und seiner Herzlichkeit; heißt eingeladen werden in die Fantasie der Freundschaft.

Einem in die Augen schauen, heißt Vergebung schenken und Verzeihung erbitten; heißt Not erkennen und Rätsel des Lebens annehmen; heißt Tränen der Trauer sehen und Ängste des Lebens erspüren; heißt oft einen gemeinsamen Weg aus erschreckender Einsamkeit finden.

Einem in die Augen schauen, heißt Anerkennung und Freundschaft, Anteilnahme und Begeisterung, Hilfe und Zuspruch, stille Übereinkunft und zärtliche Zuwendung. Im Augenblick einer solchen Begegnung finden wir im Gegenüber den Mitmenschen und in ihm Gott selbst!

Mutter Teresa aus Kalkutta schreibt in ihrem geistlichen Tagebuch: „Suchen wir Gott nicht über den Sternen, sondern in den leuchtenden oder erlöschenden Augen unserer Mitmenschen!

 

 

Donnerstag, 26.10.2006

Guten Morgen!

Ich hoffe, dass Sie gut geruht haben, denn mit ausgeruhten Augen sind sie wieder fähig, genau hinzuschauen, wo Menschen leben und oft auch leiden. Mit ausgeruhten Ohren fällt uns wieder leichter, aufmerksam zu sein und zu hören, was jemand sagen möchte. Mit ausgeruhtem Mund finden wir wieder das behutsame Wort, das im Schweigen geboren und im Gebet gewogen wird.

Der slowenische Dichter Tone Kuntner hilft uns sensibler, empfindsamer zu sein, wenn er uns folgendes sagt:

„Du siehst nicht alles, wenn du nicht auch siehst, was die Blinden sehen,

Du hörst nicht alles, wenn du nicht auch hörst, was die Tauben hören,

Du sagst nicht alles, wenn du nicht auch sagst, was die Stummen sagen.“

Beginnen wir den heutigen Tag mit der Neugierde eines Kindes, mit der Aufmerksamkeit eines Liebenden und der Behutsamkeit eines Suchenden nach Wahrheit, Liebe und Glück!

Der französische Dichter Antoine de Saint Exupery bittet im folgenden Gebet um die Weisheit jede Zeit als großes Geschenk zu erfassen: „Gott, ich bitte Dich nicht um große Wunder und Visionen, sondern nur um die Kraft für den Alltag.“

Schicke mir im rechten Augenblick jemand, der den Mut hat, mir die Wahrheit in Liebe zu sagen, dass die Zeit eine Leihgabe ist. Gib mir Gott, nicht, was ich wünsche, sondern was ich brauche - für den heutigen Tag und für alle folgenden! Hilf uns, die jetzige Stunde als die wichtigste zu erkennen.

 

 

Freitag, 27.10.2006

Guten Morgen!

Die Stunde vor Sonnenaufgang ist die dunkelste Stunde Nacht. Auch unser Leben hat oft dunkle Stunden, bevor wir das Licht wieder sehen können. Es gibt Zeiten, in denen wir glauben, von Gott verlassen zu sein. Zeiten, in denen uns die Mitmenschen viel zu schaffen machen. Und wiederum Zeiten, in denen wir uns selbst im Wege stehen und uns zur Last werden. Diese Phasen im Leben können für uns zu einem Kreuzweg werden, den wir weder abschütteln noch umgehen können. Im Hinblick auf das Ziel – die Erlösung und die Befreiung von allem Leid - werden wir ihn bis zu seinem Ende durchstehen können.

Dazu möchte ich Ihnen eine kurze und vielleicht auch schon bekannte Geschichte erzählen:

Eines Nachts hatte ich einen Traum. Ich ging am Meer entlang mit meinem Gott. Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten, Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben. Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand, meine eigene und die meines Herrn. Als das letzte Bild an meinen Augen vorüber gezogen war, blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte, dass an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur zu Sehen war. Und das waren gerade die schwersten Zeiten meines Lebens. Besorgt frage ich den Herrn: Als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein. Aber jetzt entdecke ich, dass in den schwersten Zeiten meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist. Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am meisten brauchte? Da antwortete er: Ich liebe dich und werde dich nie allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten. Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast, da habe ich dich getragen.

Wohin wir auch gehen, wir nehmen uns selber mit. Was und wo wir suchen, wir finden uns selbst.

Seinen Weg zu finden und zu gehen, wünsche ich uns nicht nur für den heutigen neuen Tag, sondern für Ihr ganzes Leben.

 

 

Samstag, 28.10.2006

Guten  Morgen !

Wagen, Lieben, Hoffen - drei Worte, die schon in sich ein ganzes Lebensprogramm darstellen! Sie stehen im Zentrum gelingenden Lebens. Ohne sie sind Wachstum, Reife, Glück, Freiheit und Beziehungsfähigkeit nicht denkbar. Sie zu verstehen, heißt, das Leben besser zu verstehen. Wenn wir nicht wagen, bewegen wir uns im Kreis. Wenn wir etwas wagen, begeben wir uns auf einen Weg. Zu wagen, lässt uns aufbrechen. Die Veränderungen in der Welt sind durch Wagnisse möglich geworden. Wagen wir es, uns von der Liebe leiten zu lassen. Nicht von einer verwaschenen Liebe, die nur hinter guten Gefühlen herjagt, sondern von einer Liebe, die aus der Tiefe kommt.

Wenn wir lieben, treten wir in Beziehung. Wir machen uns verletzbar, weil die Welt uns nicht gleichgültig ist. Wir entdecken, dass Liebe die Energie ist, von der wirkliches Leben ausgeht.

Wenn wir hoffen, glauben wir an eine Zukunft. Mit der Hoffnung stellen wir uns mit unserer ganzen Kraft auf die Seite des Lebens. Hoffnung gibt Perspektiven und die Kraft, sie auch zu leben. Jede dieser Haltungen wird durch die anderen beiden ergänzt, gefördert und gesund gehalten. Zusammen bilden die drei eine Einstellung zum Leben, die uns fähig macht, auch mit dem Schweren umzugehen und darin noch Sinn und Bedeutung zu finden. Es lohnt sich zu wagen, zu lieben und zu hoffen. Wenn es uns gelingt, so zu leben, werden wir die Welt verändern können!

Ich wünsche Ihnen und auch mir selbst, einen Liebenden, Hoffnungsvollen und schönen Tag!